«Der Priester war natürlich nicht sehr glücklich darüber», ergriff Matthew Scarlet das Wort, «aber unser Gemeindepriester war schon immer ein widerliches Stück Scheiße. Er hat unsere Mutter dafür vor das Hausgericht der Lordschaft gebracht! Sie hätte den Frieden gestört, hat er gesagt, aber Seine Lordschaft hat ihr drei Schillinge gegeben, damit sie sich neues Tuch für ein Kleid kaufen konnte, und außerdem einen Kuss, weil sie so glücklich im Leben war. Er sagte, sie könne in seiner Jauchegrube schwimmen, wann immer ihr danach sei.»
«Und? Hat sie es jemals getan?», fragte Peter Scoyle. Scoyle war eine Seltenheit: ein Bogenschütze, der in London geboren und aufgewachsen war. Er war bei einem Kammmacher in die Lehre gegangen und dafür verurteilt worden, eine tödliche Schlägerei angezettelt zu haben. Doch dann war er unter der Bedingung begnadigt worden, in der Armee des Königs zu dienen.
«Nein, niemals», sagte Tom Scarlet, «sie hat immer gesagt, dass ein Bad in der Scheiße fürs Leben ausreicht.»
«Ja, ein Bad reicht jedermann fürs ganze Leben!»Pater Christopher hatte offenkundig gehört, was die Zwillinge erzählt hatten. «Hütet euch vor der Reinlichkeit! Sankt Hieronymus, er sei gepriesen, weist uns darauf hin, dass ein reiner Körper eine unreine Seele bedeutet, und die heilige Sankt Agnes war stolz darauf, sich in ihrem ganzen Leben niemals gewaschen zu haben.»
«Da wäre Melisande aber anderer Meinung», sagte Hook, •«sie ist gern sauber.»
«Warne sie!», sagte Pater Christopher ernst. «Die Heilkundigen sind sich alle darüber einig, Hook, dass Waschen die Haut schwächt. Und dann finden Krankheiten Eintritt in den Körper!»
Als die Gräben ausgehoben waren, ritten Hook und eine Hundertschaft weiterer Bogenschützen in nördlicher Richtung das Tal des Flusses Lezarde hinauf. Dort begannen sie erneut mit dem Graben. Sie sollten im Flusstal einen enormen Damm errichten. In einem Dorf rissen sie ein Dutzend Häuser ein, die zur Hälfte aus Holzbalken gebaut waren, und benutzten diese, um den großen Erddamm zu verstärken, mit dem sie den Fluss stauten. Die Lezarde war nicht sehr breit, und es war ein trockener Sommer gewesen, dennoch kostete es vier Tage schwerer Arbeit, den Damm hoch genug aufzuschütten, um den größten Teil des Flusswassers nach Westen umzulenken. Als Hook und seine Gefährten nach Harfleur zurückkamen, war die Überschwemmung weitgehend zurückgegangen, wenn auch auf dem Boden um die Stadt herum noch die Feuchtigkeit stand und der Fluss selbst immer noch über seine Ufer trat und dadurch nördlich der Stadt einen See gebildet hatte.
Am nächsten Tag hoben sie flache Gruben für die Kanonen aus. Zwei Kanonen, eine davon wurde «Londoner»genannt, weil die Bürger von London dafür bezahlt hatten, standen schon an ihrem Platz, und ihre Steinkugeln fraßen sich in die riesige Bastion, die von den Verteidigern vor dem Leure-Tor errichtet worden war. Der Duke of Clarence, der auch der Bruder des Königs war, hatte einen Bogen um die Stadt geschlagen und griff Harfleur nun mit seinen Männern, die ein Drittel der englischen Armee ausmachten, von Osten aus an. Sie hatten ihre eigenen Kanonen, die sie mit viel Glück von einem französischen Versorgungstrupp erbeutet hatten, der auf dem Weg nach Harfleur gewesen war. Die holländischen Kanoniere, die angeworben worden waren, um Harfleur gegen seine englischen Feinde zu verteidigen, waren nur allzu bereit, das Geld der Engländer zu nehmen und ihre Kanonen nun gegen die Verteidiger der Stadt zu richten. Harfleur war umstellt. Kein weiterer Versorgungszug konnte die Stadt erreichen, es sei denn, er würde kämpfend am Heer der Engländer vorbeikommen oder an der königlichen Kriegsflotte vorbeisegeln, die den Eingang des Hafens bewachte. An dem Tag, an dem die Kanonengruben fertig waren, stieg Hook mit vierzig weiteren Bogenschützen auf den Hügel westlich des Lagers. Sie folgten dem Weg, auf dem die Armee Richtung Harfleur gezogen war. Gewaltige Eichen säumten den nächstgelegenen Hügelkamm, und sie hatten den Befehl, diese Bäume zu fällen, die geraden Äste abzuhacken, sie auf die Länge eines Bogenschafts zu sägen und auf Karren zu laden. Es war heiß an diesem Tag. Ein halbes Dutzend Bogenschützen blieb mit der enormen zweigriffigen Säge auf dem Weg, während sich die anderen auf der Hügelkuppe verteilten. Peter Goddington kennzeichnete die Bäume, die er fällen lassen wollte, und teilte für jeden Baum zwei Bogenschützen ein. Hook und Will of the Dale standen weiter südlich, nur noch die Scarlet-Zwillinge befanden sich näher an der See. Melisande war mit Hook gekommen. Ihre Fingerknöchel waren schon wund, so viel Kleidung hatte sie gewaschen, und im Lager wartete noch viel mehr Kleidung darauf, gekocht und geschrubbt zu werden, aber Sir Johns Verwalter hatte ihr erlaubt, Hook zu begleiten. Sie hatte sich die kleine Armbrust über die Schulter gehängt, ohne die sie Sir Johns Kompanie nie mehr verließ. «Ich töte diesen Priester, wenn er mich anfasst», hatte sie Hook erklärt, «und seine Freunde erschieße ich auch.»Hook hatte wortlos genickt. Sie könnte vielleicht, so war es ihm durch den Kopf gegangen, einen von ihnen erschießen, doch es benötigte so viel Zeit, diese Waffe neu zu spannen und zu laden, dass sie sich bestimmt nicht gegen mehr als einen einzigen Mann verteidigen konnte.
Die Bäume dämpften das gelegentliche Geräusch einer Kanone, die gerade abgefeuert wurde, und den Einschlag der . Steine in die Stadtmauer von Harfleur. Die Axtschläge allerdings waren laut. «Warum sind wir so weit vom Lager weggegangen?», fragte Melisande.
«Weil wir schon alle großen Bäume in der Nähe des Lagers gefällt haben», sagte Hook. Sein Oberkörper war nackt, seine enormen Muskeln trieben die Axt tief in den Stamm der Eiche. Holzsplitter spritzten von der Kerbe weg.
«Und so weit sind wir auch wieder nicht vom Lager entfernt», fügte Will of the Dale hinzu. Er war einen Schritt zurückgetreten und überließ Hook die Arbeit. Hook störte das nicht. Er war an den Gebrauch einer Holzfälleraxt gewöhnt.
Melisande spannte die Armbrust. Es fiel ihr sehr schwer, aber sie wollte sich nicht von Hook oder Will dabei helfen lassen, die Zwillingsgriffe der Kurbel zu drehen. Bis die Rückhaltesperre einrastete, um die Sehne in voller Spannung festzuhalten, stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Sie legte einen Bolzen in die Kerbe und zielte auf einen Baum, der weniger als zehn Schritt entfernt war. Sie runzelte die Stirn, biss sich auf die Unterlippe, zog am Auslöser und beobachtete, wie der Bolzen eine Armeslänge weit flog, um dann raschelnd ins Unterholz zu fahren. «Lacht nicht», sagte sie, noch bevor einer der beiden Männer hätte anfangen können zu lachen.
«Ich lache nicht», sagte Hook und grinste Will an.
«Das würde ich nie wagen», sagte Will.
«Ich werde es lernen», sagte Melisande.
«Du lernst es aber besser, wenn du deine Augen offen hältst», sagte Hook.
«Das ist schwer.»
«Sieh am Mittelschaft entlang», riet ihr Will, «halte die Armbrust ganz fest und löse den Abzug ruhig und langsam aus. Und möge Gott dir helfen, wenn du schießt», fügte er in einer Nachahmung von Pater Christophers schalkhafter Stimme hinzu.
Sie nickte und kurbelte dann wieder die Sehne nach oben. Es dauerte lange, bis der Haltemechanismus klickte, und dann legte sie die Waffe, statt zu schießen, auf die Lauberde und sah Hook zu, bei dem selbst das Fällen einer Eiche mühelos wirkte, ganz genau wie das Spannen eines Bogens.
«Ich sehe einmal nach, ob die Zwillinge Unterstützung brauchen», sagte Will of the Dale, «du brauchst nämlich keine, Nick.»
«Nein, brauche ich nicht», stimmte Hook zu. «Also geh und hilf ihnen. Die beiden sind schließlich Walkerssöhne, und das heißt, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Tag ordentlich gearbeitet haben.»
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