«Du bist reich, was?», sagte Hook. Die Jacke des Jungen, deren Kragen Hook immer noch festhielt, war aus feingesponnener Wolle. Seine Kniehosen und Schuhe wirkten kostspielig, und die Armbrust, die Hook mit der rechten Hand griff, sah aus, als sei sie speziell für den Jungen angefertigt worden, denn sie war viel kleiner als eine Männerarmbrust. Der Bolzenschaft war aus Nussholz und mit einer wundervollen Einlegearbeit aus Silber und Elfenbein geschmückt, die eine Hirschjagd in einem Wald zeigte. «Sie werden dich vermutlich hängen», sagte Hook heiter und ging auf den Weg hinaus. Den Jungen hatte er sich unter den linken Arm geklemmt, während er in der rechten Hand seinen eigenen Bogen und die kostbare Armbrust hielt. Er stieg die Anhöhe hinauf und wurde auf dem Kamm des Hügels von grinsenden Bogenschützen und den berittenen Feldkämpfern empfangen. «Hier ist der Feind, Sir John!», sagte Hook fröhlich und ließ den Jungen neben Sir Johns Pferd fallen.
«Ein tapferer Feind», sagte einer der Reiter bewundernd, und als Hook aufsah, hatte er den König vor sich. Henry trug eine Rüstung und einen Wappenrock in den königlichen Farben. Um seinen Helm war eine Goldkrone gelegt, doch das Visier war hochgeklappt, sodass sein Gesicht mit der langen Nase und der tief gefurchten Narbe zu erkennen war. Hook fiel auf die Knie und zog den Jungen mit sich zu Boden.
« Votre nom ?», verlangte der König von dem Jungen zu wissen, der nicht antwortete, sondern nur zornig zu Henry emporstarrte. Hook versetzte ihm einen weiteren Schlag auf den Kopf.
«Philippe», sagte der Junge verdrossen.
«Philippe?», fragte Henry. «Philippe und nichts weiter?»
«Philippe de Rouelles», antwortete der Junge trotzig.
«Wie es scheint, ist Master Philippe der einzige Mann Frankreichs, der es wagt, uns entgegenzutreten!», sagte der König laut genug, dass es alle auf der Hügelkuppe hören konnten. «Er hat zwei Armbrustbolzen auf uns geschossen! Du hast versucht, deinen eigenen König zu töten, Junge», fuhr Henry fort. Er sprach jetzt wieder französisch. «Und dieser König bin ich. Ich bin König der Normandie, König von Aquitanien, König der Picardie und König von Frankreich. Ich bin dein König.»Er schwang ein Bein über den Sattel und sprang vom Pferd. Ein Knappe eilte heran, um die Zügel des königlichen Pferdes zu halten, während Henry mit zwei Schritten bei Philippe de Rouelles war und auf ihn niederbückte. «Du hast versucht, deinen König zu töten», sagte er und zog sein Schwert. Die Klinge fuhr mit einem zischenden Geräusch aus der Scheide. «Was tut man mit einem Jungen, der versucht, einen König zu töten?», fragte Henry mit erhobener Stimme.
«Man tötet ihn, Sire», knurrte ein Reiter.
Die Klinge des Königs hob sich. Philippe zitterte, und in seinen Augen standen Tränen, doch aus seiner Miene sprach immer noch starrsinniger Trotz. Er blinzelte, als die Klinge niederfuhr.
Sie hielt einen Fingerbreit über seiner Schulter inne. Henry lächelte. Er tippte mit der Klinge zuerst auf die eine, dann auf die andere Schulter des Jungen. «Du bist ein tapferer Untertan», sagte er wohlgemut. «Erhebt Euch, Sir Philippe.»Die Reiter lachten, als Hook den Jungen, der die Augen weit aufgerissen hatte, auf die Füße zog.
Henry trug eine goldene Kette um den Hals, an der ein mächtiger Elfenbeinanhänger hing, in den wiederum eine Antilope aus Jettstein eingelassen war. Die Antilope war ein weiteres von Henrys Wappentieren und gehörte zu den persönlichen Insignien des Königs. Henry hob nun die Kette über seinen Kopf und legte sie Philippe um den Hals. «Eine Erinnerung an den Tag, an dem du hättest sterben sollen, Junge», sagte Henry. Philippe erwiderte nichts, sondern sah nur von dem prächtigen Geschenk zu dem Mann auf, der es ihm gegeben hatte. «Ist dein Vater der Seigneur de Rouelles?», fragte der König.
«Ja, Herr», antwortete Philippe mit kaum mehr als einem Flüstern.
«Dann sag deinem Vater, dass der rechtmäßige König gekommen ist und dass dieser König gnädig ist. Und jetzt geht, Sir Philippe.»Henry ließ sein Schwert in die Scheide zurückgleiten. Der Junge warf einen Blick auf die Armbrust in Hooks Hand. «Nein, nein», sagte der König, «deinen Bogen behalten wir. Deine Strafe wird in dem bestehen, was immer dein Vater für ihren Verlust als angemessen erachtet. Lass ihn gehen», befahl der König, an Hook gewandt. Doch er schien ihn nicht wiederzuerkennen.
Henry sah dem Jungen nach, wie er den Abhang hinunterrannte. Dann stieg er wieder in den Sattel. «Die Franzosen schicken ein Kind, das ihre Pflicht übernehmen soll», sagte er missmutig.
«Und wenn der Junge älter wird, Sire», bemerkte Sir John ebenso missmutig, «dann müssen wir ihn töten.»
«Er ist unser Untertan», verkündete der König laut, «und das ist unser Land! Diese Leute gehören zu uns!»Er starrte lange auf Harfleur hinunter. Die Stadt mochte dem Recht nach ihm gehören, doch ihre Bürger waren da anderer Ansicht. Ihre Tore waren geschlossen, an ihrer Stadtmauer hingen herausfordernde Banner, und ihr Tal war geflutet. Harfleur, das war nicht zu verkennen, war zum Kampf entschlossen.
«Lasst uns die Armee an Land holen», sagte Henry.
Der Kampf um Frankreich hatte begonnen.
Die Landung der Armee begann am Donnerstag, dem fünfzehnten August, dem Tag von Sankt Alipius, und dauerte bis zum Samstag, dem Tag von Sankt Agapetus. Dann erst waren der letzte Mann, das letzte Pferd, alle Kanonen und die gesamte Ladung an den Strand mit den Felsblöcken gebracht worden. Die Pferde taumelten, wenn sie ans Ufer kletterten. Sie wieherten und scheuten mit weit aufgerissenen Augen, bis die Pferdeknechte sie schließlich beruhigen konnten. Einige Bogenschützen verbreiterten den Weg vom Strand zum Kloster, in dem der König Quartier bezogen hatte. Henry verbrachte Stunden am Strand, um die Landung zu überwachen und die Männer zur Eile anzutreiben, oder er ritt auf die Hügelkuppe, auf der Philippe de Rouelles ihn zu töten versucht hatte, und blickte ostwärts auf Harfleur hinab. Sir Johns Männer bewachten den Bergkamm, doch es kamen keine Franzosen, um die Engländer ins Meer zurückzutreiben. Ein paar Reiter verließen die Stadt, doch sie hielten sich außerhalb der Schussweite und begnügten sich damit, den Feind auf dem Hügel aus der Entfernung zu beobachten. Die Überschwemmung breitete sich weiter um Harfleur aus. Einige der Häuser außerhalb der Stadtmauer standen schon bis zum Dach unter Wasser, doch es hielten sich zwei breite trockene Erdstreifen in der Senke, in der die Stadt lag.
Der Streifen, der näher zum Hügel hin gelegen war, führte zu einem von Harfleurs drei Stadttoren, und von der Höhe seines Aussichtspunktes konnte Hook mitverfolgen, wie der Feind eine riesige Bastion zum Schutz dieses Tores fertigstellte. Sie sah aus wie ein kleines Kastell, das die Straße blockierte, sodass jeder Angriff auf das Tor zuerst diese mächtige Abwehrbefestigung überwinden musste.
Am Freitagnachmittag, dem Fest von Sankt Hyacinthus, erhielt Hook zusammen mit einem Dutzend weiterer Männer den Auftrag, die letzten Pferde Sir Johns abzuholen, die von der Lady of Falmouth an Land schwammen. Die Tiere rutschten auf dem Kies aus, und die Bogenschützen banden ihr Zaumzeug mit einem Strick aneinander, um sie zusammenzuhalten. Melisande hatte Hook begleitet und streichelte Dell, ihre kleine gescheckte Stute, die sie von Sir Johns Frau bekommen hatte. Dann fing sie an, dem Tier beruhigende Worte zuzumurmeln. «Dieses Pferd spricht kein Französisch, Melisande!», sagte Matthew Scarlet. «Das ist eine englische Stute.»
«Aber jetzt lernt sie Französisch», sagte Melisande.
«Die Sprache des Teufels», sagte William of the Dale und ahmte dabei Sir John nach. Die anderen Bogenschützen lachten. Matthew Scarlet, einer der Zwillinge, führte Lucifer, Sir Johns großen Kampfhengst, der jetzt ausbrach. Einer von Sir Johns Pferdeknechten eilte Matthew zu Hilfe. Hook führte acht aneinandergebundene Pferde und ging mit ihnen zu Melisande, um Dell ebenfalls in die Reihe zu binden. Er rief Melisandes Namen, doch sie starrte nur über den Strand und runzelte dabei die Stirn. Hook folgte ihrem Blick mit den Augen.
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