In dieser Nacht versilberte ein Dreiviertelmond die See. Die Schatten an Land waren dunkel und undurchdringlich, während sich Hook für den Kampf rüstete. Er trug seine hohen Stiefel, lederne Kniehosen, ein Lederwams, ein Kettenhemd und einen Helm. An seinen linken Unterarm schnallte er den Armschutz aus Horn. Er tat das weniger, um seinen Arm gegen die Reibung der Sehne zu schützen, denn das würde schon das Kettenhemd tun, sondern vor allem, damit die Sehne nicht in den Kettengliedern hängen blieb. Ein Kurzschwert hing an seinem Gürtel, eine Kampfaxt über seinem Rücken und an seiner Seite eine leinene Pfeiltasche, aus deren Öffnung vierundzwanzig Pfeile ragten. Fünf Feldkämpfer und zwölf Bogenschützen würden mit Sir John an Land gehen, und sie stiegen alle in ein offenes Boot, das von Seeleuten zur Brandungslinie am Strand gerudert wurde. Weitere Boote von weiteren Schiffen waren auf demselben Weg. Niemand sagte ein Wort, auch wenn von Zeit zu Zeit ein leiser Ruf von einem der Schiffe herunterklang, um ihnen Glück zu wünschen. Wenn sich die Franzosen zwischen den Bäumen versteckten, dachte Hook, dann würden sie die Boote kommen sehen. Vielleicht zogen die Franzosen gerade in diesem Moment ihre Schwerter und spannten mit Hilfe von Winden die dicken Sehnen ihrer Armbrüste, die mit stählernen Bogenschäften ausgestattet waren.
Das Boot begann heftig zu schwanken, als die Wellen in der Nähe des Strandes steiler und kürzer wurden. Das Rauschen der Brandung wurde lauter. Es klang unheilvoll. Die Seeleute tauchten ihre Ruderblätter tief ins Wasser, um dem Sog der sich brechenden Wellen zu entkommen, aber mit einem Mal schien das Boot nach oben zu schießen, und das Wasser glitzerte weiß vom Mondlicht, raste und schäumte, und dann fiel es wie ein Stein herab, und mit einem schabenden Geräusch kratzte sein Kiel über den Strandkies. Dann drehte sich das Boot breitseits, und eine Welle stürzte in es hinein, bevor sie wieder ins Meer hinausgezogen wurde und an den Bootsplanken riss. «Raus!», zischte Sir John. «Raus!»
Die anderen Boote liefen ebenfalls auf Kies, Männer sprangen heraus und stapften mit gezogenen Schwertern über die Uferbank. Sie sammelten sich über der breiten Gezeitenlinie aus Tang und Treibholz. Riesige Felsblöcke lagen auf dem Strand, die dem Mond abgewandte Seite in tiefster Schwärze. Hook hatte erwartet, dass Sir John bei dieser ersten Landung die Führung übernehmen würde, doch es war ein sehr viel jüngerer Mann, der wartete, bis alle Boote ihre Insassen an Land gebracht hatten. Darauf schoben die Seeleute die Beiboote vom Strand weg und sicherten sie hinter der Brandungslinie. Falls die Franzosen sie erwarteten, konnten die Boote die gelandeten Truppen wieder aufnehmen, aber Hook bezweifelte dennoch, dass viele entkommen würden. Eher würde ihr Blut zwischen den Strandkieseln versickern. «Wir bleiben zusammen», sagte der junge Mann mit gesenkter Stimme, «Bogenschützen nach rechts!»
«Ihr habt Sir John gehört!», zischte Sir John Cornewaille. Der junge Mann war Sir John Holland, ein Neffe des Königs und Sir John Cornewailles Stiefsohn. «Goddington?»
«Sir John?»
«Stellt Euch mit Euren Bogenschützen weit genug weg auf, damit Ihr uns Flankenschutz geben könnt!»
Offenbar führte doch der alte Sir John den Befehl und ließ es nur so aussehen, als leite sein Stiefsohn die Truppe. «Vorwärts!», rief der junge Sir John, und die Reihe der Männer, vierzig Feldkämpfer auf der linken und vierzig Bogenschützen auf der rechten Seite, rückten weiter über den Strand vor.
Wo sie eine Verteidigungsanlage entdeckten.
Zuerst dachte Hook, er ginge einfach auf eine Erhöhung am Ende des Kiesstrandes zu, doch diese Erhöhung war von Menschenhand geschaffen und davor mit einem Graben abgesichert worden. Es war ein Damm, der als Verteidigungswall dienen sollte, und er hatte nicht nur einen Graben, sondern auch Bastionen, die auf den Strand hinausragten, von denen aus Armbrustschützen die Flanken jedes Feindes angreifen konnten, der vom Meer aus heranrückte. Der Wall, der noch kaum von Wind oder Regen beschädigt worden war, erstreckte sich über die gesamte Länge des geschwungenen Strandes, und Hook stellte sich vor, wie schwer ein Angriff wäre, wenn der Wall oben von Feldkämpfern mit Streitäxten verteidigt würde und von der Seite aus die Bolzen der Armbrustschützen einschlügen. Doch der Wall, dessen Errichtung Tage gedauert haben musste, war vollkommen verlassen.
«Haben sich viel Arbeit gemacht, die Arschfürze, was?», bemerkte Sir John Cornewaille höhnisch. Er trat gegen den Wall. «Was hat es für einen Sinn, eine Verteidigungsanlage zu bauen und sie dann aufzugeben?»
«Vielleicht wussten sie, dass wir hier landen würden», lautete Sir John Hollands verhaltene Vermutung.
«Und warum sind sie dann nicht hier, um uns willkommen zu heißen?», fragte Sir John. «Wahrscheinlich haben sie solche Wälle an jedem Strand der Normandie gebaut! Die Bastarde pissen sich in die Hosen und schütten Wälle auf. Bogenschützen! Ihr könnte alle pfeifen, oder?»
Seine Bogenschützen schwiegen. Die meisten waren von dieser Frage zu überrascht, um zu antworten.
«Ihr könnt alle pfeifen?», fragte Sir John erneut. «Gut! Und ihr kennt alle das Lied von Robin Hood?»
Jeder Bogenschütze kannte diese Melodie. Alles andere wäre auch erstaunlich gewesen, denn Robin Hood war ihr Idol, der Jäger mit dem Bogen, der gegen Lords und Prinzen und die Sheriffs von England aufgestanden war. «Also», erklärte Sir John, «wir steigen auf den Hügel! Die Feldkämpfer auf dem Pfad und die Bogenschützen zwischen den Bäumen! Kundschaftet bis oben zur Hügelkuppe alles aus. Und wenn ihr jemanden hört oder seht, dann kommt zu mir. Aber pfeift das Lied von Robin Hood, damit ich weiß, dass ein Engländer kommt und kein schwanzlutschender Franzose! Gehen wir!»
Bevor sie den Hügel ersteigen konnten, mussten sie einen düsteren, mondbeschienenen Streifen Marschland überqueren, der hinter der breiten Kiesbank und dem Erdwall lag. Eine Art Pfad wand sich über den feuchten Grund. Sir John Cornewaille hieß seine Bogenschützen zu beiden Seiten des Weges gehen, sodass sie von der Seite her mit ihren Pfeilen angreifen konnten, falls die Truppe in einen Hinterhalt geriete. Peter Goddington fluchte, als er zwischen Grasbüscheln hindurchwatete. «Der will uns wohl umbringen», knurrte er, als aufgeschreckte Vögel kreischend aus dem Marschland aufflogen und mit lautem Flügelschlag davonflogen. Hinter ihnen rollte die Brandung über den Kies.
Das Marschland war nur einen Bogenschuss breit, also etwas mehr als zweihundert Schritt. Hook konnte weiter schießen, aber das konnte auch jeder französische Armbrustschütze, und deshalb beobachtete er die schwarzen Schatten genau, die dort lagen, wo die Marsch in den Wald überging, während er sich mühsam darauf zubewegte. Angestrengt lauschte er auf das Geräusch eines Bolzens, der von einer Armbrust abgeschossen wurde. Die Franzosen hatten gewusst, dass die Engländer kamen. Sicherlich hatten sie von Kundschaftern die Schiffe in Southampton Water zählen lassen, und die Fischer hatten die Ankunft der großen Flotte an der französischen Küste gemeldet. Die Franzosen hatten sich die Mühe gemacht, sogar diese kleine Bucht mit einem ausgeklügelten Erdwall zu schützen, warum also hatten sie ihn nicht bemannt? Weil, so dachte Hook, sie im Wald auf den Feind warteten. Weil sie die Vorhut töten wollten, wenn sie den Streifen Marschland überquerte.
«Hook! Tom und Matt! Dale! Ihr geht rechts!»Goddington winkte die vier Männer an die Ostseite der Marsch. «Arbeitet euch den Hügel hinauf!»
Hook watete nach rechts. Die Zwillinge und William of the Dale folgten ihm. Hinter ihnen nahmen die Feldkämpfer auf dem Pfad Aufstellung. Jeder Mann, ob Lord oder Bogenschütze, trug auf dem Wappenrock das Zeichen von Sankt Georg. Die Beine der Feldkämpfer waren mit stählernen Schienen geschützt, die das Mondlicht hell zurückwarfen, während ihre gezogenen Schwerter aussahen wie Streifen aus reinstem Silber. Es schnellten keine Armbrustbolzen aus dem Wald. Wenn die Franzosen dort warteten, dann mussten sie weiter oben auf der Anhöhe sein.
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