«Was will uns scheiden von der Liebe Gottes?», fragte Sir Martin mit heiserer Stimme. «Kannst du mir das sagen, eh?» Immer noch grinsend, packte er mit der linken Hand den Ausschnitt ihres Gewandes. «Diese Frage stellt uns die Heilige Schrift, Mädchen. Was will uns scheiden von der Liebe Gottes? Was soll dich und mich scheiden, eh? Nicht Trübsal, so lautet das Wort des Herrn, nicht Angst, nicht Verfolgung, nicht Hunger, hörst du mir zu?»
Melisande nickte. Immer einen Fingerbreit zog sie den Beutel auf sich zu und tastete nach seiner Öffnung.
«Das Wort Gottes, mein kleines Mädchen», sagte Sir Martin, der sich jetzt tatsächlich biblischer Worte bediente, «geschrieben uns zum Trost vom gebenedeiten Paulus selbst. Weder Gefahr noch das Schwert soll uns von der Liebe Christi scheiden, und auch nicht, so sagt der Apostel, die Blöße!» Und damit schlitzte er mit dem kurzen Messer den Ausschnitt ihres Gewandes auf und riss es mit einer zuckenden Grimasse nach unten, sodass ihre Brüste nackt waren.
«Fürwahr», sagte Sir Martin ehrfürchtig, «fürwahr, fürwahr, fürwahr. Deine Blöße wird dich nicht von der Liebe Christi scheiden, mein Kind, so lautet das Versprechen der Heiligen Schrift. Du solltest beglückt über mein Erscheinen sein. Du solltest darüber frohlocken.» Er hatte sich neben sie gekniet, um ihr Leinengewand bis zum Saum aufzureißen. Dann betrachtete er in stummer Andacht ihren blassen Körper. Melisande lag reglos da, doch nun hatte sie ihre rechte Hand in den Beutel geschoben.
«Wir sind nackt gegangen, Mädchen, bevor die Frau die Sünde in die Welt gebracht hat», sagte Sir Martin, «und es ist nur recht und billig, dass die Frau für diese Ursünde bestraft wird. Findest du nicht auch?» Eine Windbö trug Schreie vom Hochplateau herüber, und der Priester wandte sich kurz nach der Hügelkuppe um. Melisande schob ihre Hand tiefer in den Beutel und tastete nach einem der kurzen lederbefiederten Bolzen. Als sich Sir Martin wieder zu ihr herumdrehte, erstarrte sie. «Sie spielen dort oben ihre Spiele», sagte er. «Sie lieben den Kampf, das tun sie, aber diese Partie werden die Franzmänner gewinnen! Es sind Tausende von den Bastarden! Dein Nick wird fallen, Mädchen. Unter dem Schwert eines Franzmanns. Du bist doch selbst eine kleine Französin, oder? Eine hübsche kleine Französin. Es tut mir nur leid, dass dein Nick niemals erfahren wird, dass ich dich für deine Sünden bestraft habe. Die Frau hat die Sünde in die Welt getragen, und die Frau muss bestraft werden. Es würde mir gefallen, wenn dein Nick in dem Wissen stirbt, dass ich dich bestraft habe, aber das wird er nicht, so ist es eben, so soll es sein, so hat es unser gütiger Gott beschlossen. Mein Thomas wird vermutlich auch sterben, und das ist ein Jammer, ich mag meinen Thomas nämlich, aber ich habe noch andere Söhne. Schenkst du mir vielleicht auch einen?» Er lächelte bei dieser Vorstellung und zerrte seine Kutte hoch. «Ich werde nicht sterben. Die Franzmänner töten keine Priester, weil sie nämlich nicht zur Hölle fahren wollen. Und wenn du lieb zu mir bist, meine Kleine, dann stirbst auch du nicht. Du darfst leben und ein Baby von mir bekommen. Sollen wir es Thomas nennen? So machen wir es! Und jetzt nimm deine zarten Schenkel auseinander.»
Melisande rührte sich nicht, doch der Priester trat ihr auf die Knie, und dann trat er noch einmal härter zu, sodass er seinen Fuß zwischen ihre Schenkel zwängen konnte. «Unser Henry hat seine Männer geradewegs in den Scheißekübel des Teufels geführt, nicht wahr?», sagte er. «Und jetzt werden sie bald allesamt tot sein. Sie werden allesamt tot sein, und nur du und ich bleiben übrig, kleines Mädchen, nur du und ich, und deshalb kannst du ebenso gut lieb zu mir sein.» Er zog das schwarze Priestergewand über seine Hüften hoch und grinste sie an. «Hübsch ist er, findest du nicht? Und jetzt, meine Kleine, heiß ihn willkommen.»
Er zwang seine Knie zwischen ihre Beine.
«Das wollte ich schon so lange tun», sagte er, während er über ihr kniete, «schon so unendlich lange.» Er zuckte krampfartig zusammen, dann beugte er sich vor und stützte sich auf der linken Hand ab, während er ihr mit der rechten wieder das Messer an die Kehle hielt. Ein zweiter Beutel hing neben einem hölzernen Kruzifix an einer Lederkordel um seinen Hals, und sowohl das Kruzifix als auch der Beutel schwangen hin und her und störten den Priester. «Die brauchen wir jetzt nicht, oder?», fragte er. «Die sind bloß im Weg, Mädchen.» Mit der Messerhand zog er sich die Kordel über den Kopf. Der Inhalt des Beutels klimperte, als er ihn auf die Uferböschung warf, und das Geräusch brachte ihn zum Grinsen. «Das ist Franzosengold, kleines Mädchen, Gold, das ich in Harfleur gefunden habe, und wenn du lieb zu mir bist, gebe ich dir einen Groschen oder zwei. Du wirst doch lieb sein, nicht wahr? Ganz still und lieb wie ein gutes kleines Mädchen?»
Melisande schob ihre Hand tiefer in den Beutel und fand, was sie suchte.
«Ich werde lieb sein», sagte sie mit ängstlich bebender Stimme.
«Oh, das wirst du», gab Sir Martin heiser zurück und legte das Messer wieder an ihren Hals. «Das wirst du ganz bestimmt.»
Sir John trat zurück. Zwei Schritt genügten. Zuerst hatte er befürchtet, den Befehl zu früh gegeben zu haben, und wieder hatte er geglaubt, es wäre zu spät, denn seine Füße steckten im Schlamm, doch er zerrte sie heraus, stolperte zwei Schritt zurück, und die angreifenden Franzosen schrien auf, weil sie glaubten, die Engländer wollten davonlaufen, dann stießen sie ihre Lanzen in die leere Luft, und der Schwung der Stöße brachte sie aus dem Gleichgewicht, und in diesem Moment schlug Sir John zu. «Jetzt!», brüllte er. «Zuschlagen!» Er rammte seine Lanze vorwärts, spießte die Eisenspitze in den Schritt des nächsten Feindes. Die englischen Lanzen waren ebenso wie die französischen gekürzt worden, doch die Franzosen hatten die Schäfte stärker gekürzt und hatten mit ihren Waffen deshalb eine geringere Reichweite als die Engländer. Sir Johns Lanze bohrte sich in Metall, und er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht in den Stoß, sah den Feind vorwärts zusammenklappen, zerrte die Lanze zurück, sah den Mann fallen und stieß erneut zu.
Die Franzosen, deren Hieb in die Leere gelaufen war, kamen ins Stolpern. Sie waren erschöpft, konnten ihre Füße kaum noch aus dem schweren Boden ziehen, und die Gewalt der englischen Lanzenstöße ließ sie stürzen. Rechts und links von Sir John lagen Männer auf den Knien, und er rammte die Lanze mit aller Kraft in das visiergeschützte Gesicht eines Mannes in der zweiten Reihe, um ihn rückwärtstaumeln zu lassen. Dann schleuderte er die Lanze auf den Boden und streckte die rechte Hand nach hinten aus. «Kampfaxt!»
Sein Junker gab ihm die Waffe.
Und das Töten begann.
Eine Lanze traf Sir Johns Kopf. Er hatte kein Visier, und der Franzose hatte versucht, Sir John das Auge auszustechen, doch der Hieb glitt am Helm ab, und Sir John schob sich einen Schritt nach vorn, schwang in einer knappen Bewegung seine Kampfaxt und schmetterte sie gegen den Helm des Mannes. Der Helm brach auf, und ein weiterer Mann krümmte sich im Schlamm. Etliche Männer in der französischen Linie waren zu Fall gekommen, und Sir John sorgte dafür, dass sie am Boden blieben, indem er die bleibeschwerte Hammerseite seiner Axt auf ihre Helme niederfahren ließ. Der Mann, der als Erster in Sir Johns Lanze hineingelaufen war, mühte sich, wieder aufzustehen, und Sir John hieb ihm die Klingenseite der Axt in die Rückenpanzerung und brüllte seinem Junker zu, dem Mann endgültig den Garaus zu machen. «Offne sein Visier», rief er, «töte ihn!» Dann suchte sich Sir John einen festen Stand und begann, sich seine Feinde auszusuchen.
Beinahe die gesamte erste Reihe der Franzosen war zu Boden gegangen, wo sie eine blutende Masse aus verschlungenen Körpern und gefährlich scharfen Waffen bildeten, und die nachfolgenden Reihen stolperten über diese Hindernisse, und dabei wurden sie mit Axtklingen, Keulen und Lanzenspitzen angegriffen. Das wäre jedoch noch nicht allzu schwer ins Gewicht gefallen, wenn die Franzosen die Hindernisse in Ruhe hätten überwinden können, doch sie wurden von den eigenen nachfolgenden Reihen nach vorne gedrängt, sodass sie unmittelbar in die englischen Klingen hineinstolperten. «Tötet sie!», brüllte Sir John. «Tötet sie! Tötet sie! Tötet sie!» Und in diesem Moment kam der Rausch der Schlacht über ihn, das schiere Glücksgefühl, ein Kriegsherr zu sein, gerüstet und bewaffnet, gefährlich und unbesiegbar. >Mit dem Hammerende der Kampfaxt schlug er Feinde in ihren Rüstungen nieder. Der Hammer musste die Rüstung nicht durchbohren, das vermochten ohnehin nur wenige Waffen, doch allein seine Wucht konnte einen Mann betäuben, und gewöhnlich genügte ein Hieb, um ihn niederzuwerfen oder gar für den Rest seines Lebens zum Krüppel zu machen.
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