«Pfeile!», brüllte Hook, doch da waren keine mehr, bis auf die wenigen, die die Bogenschützen der hinteren Reihen noch übrig hatten, und diese Männer hüteten ihre Geschosse. Die Bogenschützen wurden nun Zuschauer. Sie standen zwischen ihren Stöcken, nur wenige Schritte von der nächsten Keilformation der Franzosen entfernt, die inzwischen ebenfalls bis auf wenige Schritte an die englische Kampflinie herangekommen war.
Seigneur de Lanferelle war imstande, in voller Plattenrüstung über den Rücken seines Pferdes hinwegzuspringen, er tanzte manchmal sogar in seiner Rüstung, nicht nur weil den Frauen ein zum Kampf gerüsteter Mann gefiel, sondern auch, weil er gern vorführte, dass er mit Rüstung leichtfüßiger und gewandter war als die meisten Männer ohne. Doch jetzt konnte er sich kaum mehr bewegen. Jeder Schritt war ein Kampf gegen den saugenden Boden. An manchen Stellen sank er bis zur Mitte des Unterschenkels ein und konnte sich kaum wieder aus dem zähen Schlamm herausziehen, doch Schritt für Schritt kam er voran. Gelegentlich stützte er sich auf seinen Nachbarn, um seinen gepanzerten Stiefel aus dem zähen Morast zu zerren. Er versuchte, in die Ackerfurchen zu treten, in denen der Regen stand, denn diese Furchen hatten den festesten Boden. Durch die kleinen Löcher seines Visiers konnte er kaum etwas sehen, doch er wagte es nicht, das Visier aufzuklappen, denn überall um ihn schlugen lärmend Pfeile ein. Eine Ahlspitze traf ihn an der Stirn, sodass sein Kopf nach hinten gerissen wurde und er beinahe gestürzt wäre, doch einer seiner Männer stützte ihn und richtete ihn wieder auf. Ein anderer Pfeil traf seinen Brustpanzer, riss seinen Wappenrock auf und fuhr mit lautem, schrillem Kreischen an seiner Panzerung entlang. Seine Rüstung hielt beiden Pfeilen stand, doch andere Männer hatten dieses Glück nicht. Alle paar Augenblicke hörte man unter dem metallenen Pfeilregen einen Mann keuchen, schreien oder um Hilfe rufen. Lanferelle sah sie nicht stürzen, er hörte sie nur, und ihm war bewusst, dass ihr Vorstoß den Zusammenhalt verlor, denn Männer drängten sich von links, von wo die meisten Pfeile kamen, zur Mitte der Linie und störten so die Schlachtordnung. Rüstung schlug gegen Rüstung. Lanferelle selbst wurde so dicht gegen seinen rechten Nachbarn geschoben, dass er nicht einmal mehr den Arm mit der Lanze heben konnte. Er brüllte lautstark und versuchte angestrengt, einen Schritt vor den Mann zu kommen. Er drehte seinen Kopf von einer Seite zur anderen, um etwas Sinnvolles in dem grauverschwommenen Bild zu erkennen, das durch die Sehlöcher hereindrang. Die Engländer hatten, so stellte er fest, ihre Visiere aufgeklappt. Sie mussten keine Pfeile fürchten. Lanferelle wagte es immer noch nicht, sein Visier zu öffnen, weil vor ihm zwischen den englischen Kampfeinheiten jeweils einige Bogenschützen aufgestellt waren, und diese Männer würden Gott für das Ziel danken, das er ihnen mit einem offenen französischen Visier anbot.
Sein Atem ging keuchend unter dem Helm. Er hielt sich für einen kraftvollen Mann, doch er musste nach Luft schnappen, während er durch den tiefen Schlamm watete. Schweiß strömte über sein Gesicht. Sein linker Fuß rutschte in einer morastigen Pfütze aus, und er sank auf das rechte Knie. Mühselig kam er wieder hoch und schleppte sich weiter. Dann stolperte er über etwas, und dieses Mal fiel er neben die Leiche eines Feldkämpfers. Zwei seiner Männer zogen ihn wieder auf die Füße. Nun war er vollkommen mit Lehm überzogen. Einige Löcher in seinem Visier waren mit Schlamm verklebt, und er wischte mit der linken Hand darüber, doch der Panzerhandschuh konnte die zähe feuchte Erde nicht entfernen. Du musst nahe genug an sie herankommen, sagte er sich, du musst nur nahe genug an sie herankommen, dann kann das Töten beginnen. Lanferelle vertraute auf seine Fähigkeiten, wenn es ums Töten ging. Vielleicht war er kein Meister im Schlammwaten, aber töten konnte er, und deshalb unternahm er die nächste Anstrengung, um sich vor das Gedränge zu schieben, sodass er ausreichend Platz haben würde, um seine Waffen einzusetzen. Wieder wandte er den Kopf von rechts nach links, spähte durch die noch offenen Löcher seines Visiers und sah in gerader Linie vor sich ein großes Banner mit dem Wappen des englischen Königshauses, das sich schamlos die französische Lilie angeeignet hatte. Über das königliche Wappen auf dem Banner liefen drei weiße Streifen mit drei roten Kreisen, und da erkannte Lanferelle das Banner von Edward Duke of York. Er würde einen guten Gefangenen abgeben, dachte Lanferelle. Das Lösegeld für einen englischen Duke würde Lanferelle reich machen, und diese Aussicht schien seinen müden Beinen neue Kräfte zu verleihen. Er knurrte inzwischen, wenn er sich dessen auch nicht bewusst war. Die englische Kampflinie war dicht vor ihm. «Bist du da, Jean?», rief er, und sein Junker bejahte. Lanferelle hatte vor, die englische Linie mit seiner Lanze anzugreifen und dann, während der Feind vor diesem Schlag zurückwich, die unhandliche Waffe fallen zu lassen und mit der Keule weiterzukämpfen, die über seiner Schlüter hing, und wenn der Keulengriff brach, würde er eine der zusätzlichen Waffen einsetzen, die ihm sein Junker hinterhertrug. Unvermittelt fühlte sich Lanferelle von einem Hochgefühl durchströmt. Er hatte bis jetzt überlebt, er hatte den Pfeilsturm überlebt, und er würde mit seiner Lanze gegen den Feind kämpfen. Doch in ebendiesem Moment jagte eine Ahlspitze im rechten Winkel geradewegs in eines der Visierlöcher seines Helmes, und das Licht blendete Lanferelle, als der Pfeil den Stahl abschälte und seinen Nasenrücken spaltete. Sein Kopf wurde schmerzhaft zur Seite gerissen, als der Pfeil um Haaresbreite an seinem rechten Auge vorbeischoss und an seinem Wangenknochen entlangschrammte, bevor er im Helm stecken blieb.
Plötzlich konnte er sehen. Er sah durch den gezackten Spalt, der von dem Pfeil gerissen worden war, den er nun mit seiner linken Hand aus dem Helm zerrte. Viel war es zwar immer noch nicht, doch als er sich nach einem lauten, dumpfen Geräusch linksherum wandte, hatte er einen großgewachsenen Mann vor sich, der sich krümmte, während ihm schaumiges Blut aus den Visierlöchern seines Helmes tropfte. Dann wandte er seinen Blick zum Duke of York zurück, der nur noch ein paar Schritte entfernt war. Er senkte die Linke, um seine Lanze abzustützen, atmete tief ein und brüllte seinen Kriegsruf. Er brüllte, während er angriff, oder besser: während er sich die letzten Schritte über den schlammigen Acker pflügte. In seinen Schrei mischten sich Zorn und Hochstimmung. Zorn auf seinen schamlosen Feind und Hochstimmung, weil er die Pfeile der Bogenschützen überlebt hatte.
Lanferelle war in der Schlacht angekommen.
Auch Sir John Cornewaille war zornig.
Seit dem Tag, an dem die Armee in Frankreich gelandet war, hatte er zu den Befehlshabern der Vorhut gehört. Er hatte den kurzen Marsch nach Harfleur befehligt, hatte in der ersten Reihe der Männer gestanden, die diese widerspenstige Stadt angegriffen hatten, er hatte den Marsch im Norden der Seine auf diesen Schlammacker in der Picardie geführt. Doch jetzt war dem Verwandten des Königs, dem Duke of York, der Befehl über die Vorhut übertragen worden, und der fromme Duke war nach Sir Johns Ansicht kein sehr begabter Anführer.
Doch der Duke hatte den Befehl, und Sir John, der nur wenige Schritte rechts von ihm in der Linie stand, konnte sich dieser Anordnung nur beugen. Allerdings bedeutete das nicht, dass er den Männern der rechts aufgestellten Kampfeinheit nicht sagen konnte, was sie tun sollten, wenn die Franzosen kamen. Er beobachtete das Vorrücken der feindlichen Feldkämpfer, und er sah, wie sie sich durch den Schlamm quälten. Er verfolgte beeindruckt den Flug der dichten Pfeilstürme, die von links und rechts auf das Feld jagten, um zu treffen, zu verwunden und zu töten. Nicht ein einziges französisches Visier war offen, also waren die Männer halb blind, und der Schlamm verwandelte ihre Bewegungen in die von Krüppeln, und Sir John erwartete sie mit seiner Lanze, seiner Kampfaxt und seinem Schwert. «Hört ihr zu?», rief er. Er meinte damit seine eigenen Feldkämpfer, doch nur ein Narr würde Sir John Cornewailles Worte in einem Kampf nicht beherzigen. «Hört zu!», bellte er aus seinem offenen Helm heraus. «Wenn sie bei uns sind, werden sie die letzten paar Schritte im Sturm nehmen! Sie wollen uns so schwer wie möglich treffen! Sie wollen den Kampf beenden! Also: Auf mein Zeichen gehen wir alle drei Schritt zurück. Habt ihr verstanden? Wir gehen drei Schritt zurück!»
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