Wilhelm Walloth - Der Mime
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Wohl war er sich keines Fehlers bewußt, höfliche Kälte war Alles, was er diesem Weibe entgegengebracht, aber man weiß, wie wenig in Rom der Tugend Zutrauen geschenkt wird, wie gern man das Laster belächelt, und nun gar, wenn dies Laster ein Diadem trägt, wenn es der Besitz des Mächtigsten im Reiche ist und, wenn jener Mächtigste Mißtrauen hegte? Tödtet dich denn nicht schon der Gedanke, den jene Andere denkt? Der Wunsch, der in jener Andern aufsteigt? Und ein Paris, der liederliche Held aller Gelage? Der Günstling aller Frauen? Wird man, wenn die höchstgestellte Frau des Reichs ihm ihre Gunst deutlich an den Tag legt, wird man seiner Versicherung trauen? Ihm glauben, wenn er seine Herzenskälte zu beweisen sucht? Der junge Mann fröstelte in sich zusammen, als er, in seinen Mantel gehüllt, durch die dunklen Straßen Roms dahin schritt, und derartige Gedanken in der Brust wälzend, auf die höflicheren Anreden des Hauptmanns kaum antwortete.
Die Kühle der Nacht wirkte belebend auf sein ermattetes Nervensystem, doch wußte er nicht, ob das Zittern, das ihn zuweilen krampfartig befiel der Einwirkung der Kälte zuzuschreiben war, oder ob die bevorstehende Audienz sein Herz in krankhafte Erregung versetzte. Das Pflaster hallte vom schweren Marschtritt seiner Begleiter wieder, während die gelbe Purpurgluth der Fackeln, Helme und Lanzen in riesigen tanzenden Schatten an die stumm aufragenden Häuserwände malte. Um sich zu zerstreuen, das beklommene Gefühl der Erwartung zu verscheuchen, beschäftigte sich Paris mit diesem phantastischen Schattenspiel und den hastigen Lichtblitzen, die bald hier ein enges Gäßchen, bald dort einen Brunnen oder eine Scene aus dem Leben im Vorbeistreifen grell beleuchteten. Denn ganz ausgestorben war das Leben der Straßen noch nicht, und es gelang sogar Paris, sich durch diese oder jene Beobachtung für einen Moment seiner niederdrückenden Stimmung zu entreißen. Freilich ging es ihm hierbei wie dem Sisyphus, die hinweggewälzte Last stürzte desto unheimlicher auf ihn zurück, die Gefahr, die ihn umdrohte, engte ihn desto pressender von allen Seiten ein, wenn er sie kaum erst zurückgeschoben, fast wünschte er, er kenne bereits sein Schicksal, selbst wenn es das schwärzeste wäre, denn das Ungewisse der Zukunft vergrößerte sich in seiner Phantasie, nahm Gestalt an und zeigte sich ihm als Bild.
Er dachte an die Thränen seiner Diener, als er eben von ihnen Abschied genommen, an die Liebkosungen des alten Rufus, der ihm väterliche Ermahnungen inʼs Ohr geflüstert, an den Schmerz des kleinen Markus, der sich an ihn geklammert und ihn nicht ziehen lassen wollte, und er fand in dem Kummer dieser Guten einigen Trost.
»Doch was kann mir das alles nützen,« rief eine lebensmüde Gegenstimme seines Innern, »was ist Treue? Die Leute weinen, weil sie ohne mich verhungern müßten. Von wem werde ich thatsächlich geliebt? Von meinem Hunde vielleicht, den ich ungefähr so liebe, wie mich meine verschiedenen Anbeterinnen lieben. Pah! es ist nicht der Mühe werth, von unseren sogenannten heiligen Gefühlen zu sprechen.«
Größeren Trost würde es ihm gewährt haben, hätte er nun seine Mutter sehen können, wie sie sich ankleiden ließ, um die Nacht wachend zu verbringen, wie sie sich von der Zofe vorlesen ließ und nicht hörte, sondern entweder mit starrem Blick in die Lampe sah, oder unruhig im Gemache auf und abschritt, die Wiederkehr des Sohnes mit starker hocherregter Seele erwartend. Aber er vermied an die Mutter zu denken, es überkam ihn, wenn er dennoch an sie dachte geradezu ein Trotzgefühl.
Möchten sie mich ihr tödten, rief er sich einmal zu, ob sie dann vielleicht an der Leiche des Sohnes Mitgefühl zeigte?
Endlich, als er im Schimmer der Fackel einen Betrunkenen an der Mauer lehnen sah, der mit schläfrigem Lächeln die kaum genossene Mahlzeit über seine eigne linke Schulter hinüber von sich gab, beschloß er, unwillkürlich durch diesen Anblick erheitert, sich mit gewaltsamer Ueberwindung in eine lustige Stimmung zu versetzen. Sogleich begann er, während sie durch das Tiberfeld schritten, mit dem Hauptmann ein Gespräch über die Tanzkunst, wobei er versicherte, er werde sich auch im tragischen Fache versuchen und nächstens den Oedipus spielen. Sodann scherzte er über das Pech einer Fackel, das ihm einer der Soldaten unvorsichtigerweise über die Toga gegossen, rief einem vorüberhinkenden Liebhaber, dem man die Kleider vom Leibe geprügelt und erhielt sich so lange in dieser nervösen Lustigkeit, bis er auf einmal ganz verstummte.
»Warum schweigst du so plötzlich,« frug ihn der Hauptmann.
»Ich habe keinen Grund zum Reden, es ist alles so einfältig,« entgegnete Paris verdrießlich.
»Einfältig?« frug der Hauptmann erstaunt, »du hegst Besorgnisse?«
»Pah, das ist vorbei,« lachte Paris, »zu was auch! Mag er mit mir beginnen, was er will; er kann mich nicht mehr als in die Unterwelt befördern.«
»Dort wird es dir nicht behagen,« meinte der Hauptmann, »es soll dort ein wenig dunkel sein.«
»Nun, man wird wenigstens nicht die Nacht aus dem Bette geholt und kann ausschlafen,« sagte Paris.
»Aber der Tanz und die Liebe?« gab der Centurio zurück.
»Schlafen ist besser,« brummte Paris.
Wirklich überkam den Tänzer, je mehr sie sich dem Palaste des Kaisers näherten, jene stumpfe, gleichgültige Mißstimmung, die sich wie ein grauer Regentag über das Gemüth legt, der gegenüber jedes Schöne seine Schönheit, jedes Häßliche sein Widerwärtiges, jedes Unglück seinen Stachel verliert. Schon seit einigen Monaten hatte er diese Stimmung an sich bemerkt, die vielleicht eine Folge seiner die Nerven erschlaffenden Lebensweise war und die, obgleich er sich gelegentlich darüber ärgerte, eigentlich nichts Unangenehmes hatte. Sie überschlich den Geist wie ein graues Spinngewebe, reizte zum Schlaf und ließ die Außenwelt traumhaft auf die in süße Betäubung aufgelöste Seele wirken. Wie langweilig das Alles war, die Häuser, die Soldaten, der nächtliche Marsch, das Leben überhaupt war nicht des Lebens werth, und wenn es in dieser Nacht noch zum Sterben kommen sollte, was kümmerte es ihn, nur zu!
Paris begann mehrmals zu gähnen, und während die Soldaten, wie er wohl hörte, von der gefährlichen Lage flüsterten, in der er sich befinde, gab er sich vergeblich Mühe, sich in die Situation zu versetzen. Er stand eigentlich nur mit dem Leib in ihr, sein Geist war außerhalb.
»Ich weiß nicht, wie mir ist,« sagte er zu sich selbst, und wiederholte kopfschüttelnd: »Ich weiß nicht, wie mir ist, Alles so einerlei! Aber es ist am besten so, nur zu!«
Als sie jetzt am Capitol vorbeischritten, dessen Tempel hoch oben wie weiße, dem Olymp entstiegene Göttergestalten im grau angehauchten Nachthimmel schimmerten, öffnete sich das Fenster eines gegenüberliegenden Hauses. Alsdann flog eine herabgeworfene Topfscherbe, dicht an Paris Haupt vorüber, prasselnd auf das Pflaster. Paris lachte und sagte zu dem erschrockenen Hauptmann, was er wohl gethan haben würde, wenn ihn die Scherbe tödtlich getroffen, und so den Kaiser um den Spaß gebracht hätte, ihn sterben zu sehen?
»Du hättest dich wohl aus Verzweiflung in dein Schwert gestürzt? fügte er hinzu, »doch beruhige dich. Sieh, du trägst da ein Schwert an der Seite, das hätte ich dir schon lange entreißen können, um mir den Hals zu durchschneiden. Ich will aber einen braven Mann, wie du bist, nicht in die Verlegenheit setzen, vor Domitian zittern zu müssen.«
»Wer weiß,« flüsterte einer der Soldaten seinem Kameraden inʼs Ohr, »vielleicht wäre dem Kaiser ein Gefallen damit geschehen, wenn die Topfscherbe dem weibersüchtigen Tänzer das Tanzen für alle Zeit unmöglich gemacht hätte.«
Die Soldaten lachten und erzählten sich allerlei Anrüchiges betreffs der stadtbekannten Liebesverhältnisse des Mimen, bis ihnen der Hauptmann zu schweigen gebot, was aber nicht verhinderte, daß das Gezischel seinen Fortgang nahm.
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