Erich Kästner - Kindergeschichten für Erwachsene
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Kindergeschichten für Erwachsene
Erich Kästner
Ein Puppenduell
Es war Nacht. Und Frau Bollensänger, die mit der kleinen Erna längst zu Bett lag, hatte das Licht brennen lassen. Da saßen nun die Puppen in der Stube herum und konnten nicht einschlafen ...
»Das Licht macht mich noch verrückt!« schimpfte Margot. Sie war aus Porzellan und innen hohl. Ihr Mann, die Puppe Eduard, schaute ihr verliebt in die Kulleraugen, stand auf, schob das erzgebirgische Dorf beiseite, trat unter die Lampe und versuchte, sie auszupusten. Das ging aber nicht, obwohl er fast dabei platzte. - Kiki, die zerknautschte kleine Stoffpuppe mit den roten Backen, mußte über Eduard lachen. Sie verschluckte sich direkt, und es war nur gut, daß Koko der Husar, große Hände hatte. Damit schlug er ihr auf den Rücken, bis die Sägespäne wieder in Reih’ und Glied lagen.
»Lach’ dir bloß keinen Bruch, alberne Gans du!« sagte Eduard zu Kiki. Und das klang fürchterlich, denn er brachte den Mund nicht auf. Kiki wurde rot wie eine Tomate, warf dem Lümmel einen ganzen Satz Puppenteller an den Kopf, so daß Eduards Zylinder aussah, als wäre er mit der Dampfwalze gebügelt worden. Dann sprang sie auf den Husaren los, zappelte mit ihren Stoffbeinen und schrie, daß es die Fliegen an der Decke hörten: »Wenn du mich nicht auf der Stelle rächst, bist du ein Hampelmann und kein Soldat!« - Das fuhr Koko denn doch in den Schleppsäbel! Er hustete dreimal, stellte sich vor Eduard hin und sagte: »Deine Frau kannst du dir einwecken lassen. Bei der quietscht es ja, wenn sie den Arm hebt! Und wenn ich ihr einen Puppenstuhl an den Kopf werfe, geht das Porzellan kaputt. Haha!«
Margot warf Eduard einen Blick zu, - na, ihm wurde heiß und kalt. Dann sagte sie: »Es tut mir leid, Manne; aber du wirst dich mit ihm duellieren müssen.«
»Was werd’ ich müssen?« fragte Eduard erschrocken.
»Duellieren!« antwortete sie. »Aber das ist doch nicht mehr modern!« sagte Eduard. Der Husar zwirbelte sich den Schnurrbart, schlug die Hacken zusammen und erklärte, er stünde unter Duellverbot. Sonst natürlich furchtbar gern. - Kiki setzte sich neben Margot, flüsterte mit ihr und meinte dann: »Es hilft nichts. Ihr müßt euch duellieren. Ihr müßt die Beschimpfungen mit Blut wieder abwaschen!« Koko rannte sporenklirrend auf und ab und rief in einem fort: »Die Weiber, die Weiber!« Eduard rannte immer hinter ihm her und schwor: »Ich schieß mich nicht mit Ihnen.« Schließlich hakten sich die zwei Puppenmänner unter und setzten sich auf das Fell von Sprüngli. Sprüngli war ein richtiger weißer Pudel und schlief meistens. Jetzt schlief er auch und hörte nicht das geringste. - Eduard und Koko saßen lange so und dachten nach. Dann meinte Eduard: »Also Herr Kamerad, duellieren wir uns! Die Frauen geben uns sonst keine Ruhe.« Der Husar war einverstanden. Dann stellten sie die Kanonen auf und luden sie. Eduards Kanone stand links, Kokos Kanone stand rechts von Sprüngli, dem Pudel. Margot und Kiki, die beiden Frauen, setzten sich in die Nähe ihrer Männer, um von dem Zweikampf ja nichts zu verpassen. - Eduard ging bis zum Hund, blickte über ihn hinweg und sagte: »Erst sollten wir unsern Damen die Hosen vollhauen, ehe wir uns ihretwegen totschießen.« Der Husar lachte vernügt und nickte. Und dann hörte man einige Zeit, links und rechts vom Pudel, nichts weiter als Schläge und Geheul ...
»Sind Sie soweit?« rief der Husar über den Hund weg.
»Jawohl!« schrie Eduard, »ich kommandiere, mein Herr! Erster Kugelwechsel - Achtung, fertig, - los!« Da gab es zwei laute Knalle. So laut, als ob jemand mit den Fingern schnalzt, und dann meinte Eduard: »Leben Sie noch?« - »Jawohl, aber meine Kiki haben Sie totgeschossen«, sagte der Husar und fragte: »Leben Sie denn noch?« - »Danke, ja!« antwortete Eduard und blickte sich nach Margot um. Die war auch tot! In tausend Scherben lag sie um ihr Stühlchen herum .
Nachdem sie ihre Frauen zusammengekehrt hatten, trafen sich die Duellanten auf dem Hunderücken und kratzten sich hinter den Ohren. »Das haben sie von ihrem kriegerischen Charakter«, jammerte der Husar, »und was wollen wir nun ohne Frauen machen?« - »Das Einfachste wird sein«, erklärte Eduard, »wir kämpfen bis zur Kampfunfähigkeit weiter.« Und dann ging jeder an seine Kanone zurück. - Der zweite Kugelwechsel ging daneben. Koko schoß mitten in die Puppenküche und Eduard in die Schafherde. Erst beim dritten Kugelwechsel trafen sie sich gegenseitig und waren sofort tot .
Am nächsten Morgen kam Frau Bollensänger in die Stube und blieb entsetzt stehen. Der Anblick war auch schrecklich! Margot, Kiki, Koko und Eduard lagen zerfetzt auf der Erde. Das erzgebirgische Dorf bestand bloß noch aus Hobelspänen. Die Puppenküche war nicht wiederzuerkennen, und die Schafherde sah aus wie Frikassee. Frau Bollensänger schlug die Hände überm Kopf zusammen und wunderte sich halbtot. - Aber dann sah sie den Pudel liegen. Sprüngli schlief immer noch. Sie zog ihn an den Ohren, bis er munter wurde. Er gähnte, blinzelte ins Licht und hatte keine Ahnung, warum er plötzlich Prügel bekam. Oh, bekam der arme Kerl Prügel!
»Untersteh dich noch einmal, Ernas Puppen zu zerfressen!« rief Frau Bollensänger und holte wieder aus. Aber Sprüngli wartete nicht länger, sondern machte sich aus dem Staube. Er rannte vors Haus, kratzte sich und dachte: »Sind das aber komische Leute, die Menschen.« -
Auch das geht vorüber
Manchmal braucht man gar nicht sehr zu rütteln, wenn der Himmel einstürzen soll. Eine einzige ungeschickte Bewegung genügt dann, und er bricht über uns zusammen. Später - nachdem wir ihn wieder aufgerichtet und notdürftig geflickt haben - könnten wir fast darüber lächeln. Wir könnten es tun! Doch wir lassen es schließlich, weil wir die Erinnerung nicht weglächeln können. Wenn eine Puppe zerbricht, geht einem Kinde die Welt unter. (Freilich nur vorübergehend.)
Bei Steinthal und Frau kam es so: Sie waren ein halbes Jahr verheiratet, bewohnten irgendwo zwei Zimmer und gingen beide ins Büro. Er war Buchhalter im Kaufhaus Goldmann. Sie befaßte sich in einer Filiale der Deutschen Bank mit Kontoauszügen. So hätten sie ganz anständig leben können, wenn sie nicht das für heute recht anspruchsvolle Bedürfnis gehabt hätten, eigene Möbel zu besitzen. So hatten sie nach ihrem in den Bayrischen Alpen verbrachten vierzehntägigen Hochzeitsurlaub damit begonnen, ihre zwei leergemieteten Zimmer hübsch und behaglich einzurichten. Mit dem traurigen Resultat, daß sie seitdem Monat für Monat an den Tapezierer Gerstmann fünfzig Mark, an den Malermeister Pritsche zwanzig Mark, an die Möbelfirma Hecht siebzig Mark und an ein Gardinengeschäft in der Seilergasse dreißig Mark abzuzahlen hatten. Hundertsiebzig Mark im Monat!
So kam es, daß sie von einem Spaziergang durch die Altstadt an einem Dezemberabend sehr herabgestimmt nach Hause zurückkehrten. Und so kam es, daß die junge Frau, am Fenster stehend, sagte: »Weißt du . ich glaube, wir werden uns nichts zu Weihnachten schenken können.«
»Es ist zwar das erste Weihnachten seit unsrer Hochzeit«, meinte er bedrückt und wußte nicht weiter.
»Das hilft nun alles nichts. Wir holen es im nächsten Jahre nach.«
»Gut«, sagte Steinthal.
»Versprich mir, daß du kein einziges Geschenk kaufen wirst!«
»Aber nur, wenn du dasselbe versprichst .«
»Selbstverständlich.« Steinthal und Frau waren sich einig. Wenn er nun vom Büro aus abends durch die Geschäftsstraßen lief, wagte er kaum, in die Schaufenster zu sehen, und nie blieb er auch nur einen Augenblick vor ihnen stehen. Er konnte ihr nichts schenken. Und außerdem, er durfte es ja nicht einmal.
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