Ihm zu Ehren war dieses Kloster gebaut worden.
Als Bruder Malcolm Pippa ihre trocknen Sachen brachte, erzählte er ihr, dass die Mönche versuchten, die Arbeit des heiligen Roc fortzusetzen und dass es in der Kapelle ein Bleiglasfenster gäbe, das ihn zeigte.
Die Mönche hatten bereits gefrühstückt, als die Kinder ins Refektorium kamen, doch für sie waren noch zwei Gedecke da. Es gab frische Milch, selbst gebackenes Brot und Honig aus den Bienenstöcken des Klosters. Natürlich stand auch das Frühstück für die Hunde bereit.
Doch von Otto fehlte jede Spur.
Als sie mit Essen fertig waren, führte Bruder Malcolm Pippa und Henry durch eine Pforte im Kloster in einen ummauerten Garten. Das Wetter hatte sich beruhigt, nach dem Sturm war die Luft nun sanft und klar.
Sie spazierten auf sauber geharkten Wegen zwischen Kräuterbeeten und Reihen von Gemüsesetzlingen entlang und kamen in einen Obstgarten voll blühender Apfelbäume. Unter den Bäumen stand ein Dutzend Bienenkörbe, um die die Hunde respektvoll einen Bogen machten.
»Stimmt es, dass man den Bienen alles erzählen soll, was so passiert?«, fragte Pippa. »Wenn jemand gestorben ist zum Beispiel.«
Bruder Malcolm nickte. »Ja, das stimmt. Bienen sind Boten des Himmels. Sie tragen alles, was du ihnen sagst, direkt zu Gott.«
Henry hatte fast vergessen, dass sie ja eigentlich auf der Flucht waren. Er fühlte sich sicher und zufrieden. Vielleicht konnte er ja später auch Mönch werden, dachte er. Sicher, Mönche durften nicht heiraten, aber wenn er an die Ehe seiner Eltern dachte, war das vielleicht auch gar keine so schlechte Idee.
Die Hunde hatten die ganze Zeit friedlich herumgeschnüffelt, doch nun fingen sie an, aufgeregt zu bellen, und Li-Chee zitterte am ganzen Körper vor Freude. Die Kinder schauten hoch und sahen, dass der Abt auf sie zukam. Und neben ihm, so selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen: Otto.
Der Abt sprach mit Bruder Malcolm, dann wandte er sich an die Kinder. »Wir möchten euch gern etwas zeigen, das euch vielleicht interessieren könnte.«
Er führte sie zu einem abseits stehenden Gebäude und öffnete die Tür.
Der Boden des Raumes, den sie jetzt betraten, war mit einem dicken Belag aus Stroh bedeckt und in dem Stroh wälzte sich fröhlich quietschend eine Horde Welpen. Durch das Fenster schien die Sonne und ließ das Stroh golden leuchten und golden leuchtete auch das Fell der Welpen. Es waren Golden Retriever mit dunklen Augen und weichen, milchgefüllten Bäuchen.
»Wir züchten Blindenhunde«, erklärte der beleibte Mönch, der sich um sie kümmerte. »Wir behalten sie so lange hier, bis sie alt genug sind, um ausgebildet zu werden. Nicht alle Hunde eignen sich dafür, aber wir haben Erfahrung und sehen schnell, welche von ihnen es sind. Die anderen vermitteln wir in ein gutes Zuhause.«
Er hob einen munteren Welpen auf, der sich gerade mit Fleck anfreunden wollte. »Dieser hier ist sehr vielversprechend«, sagte der dicke Mönch. »Aufmerksam, aber nicht nervös.«
Der Abt nickte zustimmend. »Bruder Ambrose sieht so etwas schon nach wenigen Wochen.«
Die Welpen waren nun sehr aufgeregt, tollten herum und beschnupperten die fremden Hunde. Otto machte ein paar Schritte vorwärts und legte sich auf den Boden.
Sofort liefen die Welpen zu ihm, kletterten über seine Beine, spielten mit seinem Schwanz und steckten ihre Schnauzen in sein dichtes Fell. Der große Hund rollte sich vorsichtig auf den Rücken und bot ihnen so noch mehr Platz zum Turnen und unter Freudequietschern krabbelten sie über seinen Bauch und hängten sich an seine Ohren. Otto hatte sich in ein warmes und lebendiges Klettergerüst verwandelt und der Abt schaute ihn mit glänzenden Augen an. Es schien, als ob Otto instinktiv wüsste, dass diese kleinen Wesen eines Tages für die Sicherheit und das Leben eines Menschen verantwortlich sein würden.
Für die Kinder war es nun an der Zeit zu gestehen, warum sie hier waren. Der Abt führte sie zu einer Bank unter einem Apfelbaum.
»Nun, erzählt mir eure Geschichte.«
Henry schaute Pippa ängstlich an. Normalerweise war sie diejenige, die für beide sprach, und obwohl er stolz auf Pippas blühende Fantasie war, gefiel ihm die Vorstellung, an diesem Ort Lügengeschichten zu erzählen, ganz und gar nicht.
Pippa rückte näher an den Abt heran und begann:
»Das war nämlich so: Henrys Eltern haben ihm zum Geburtstag einen Hund geschenkt und er dachte, es sei für immer, aber nach zwei Tagen haben sie ihn zurück zu Rent-a-dog gebracht und er war verzweifelt und Fleck auch. Ich wusste das, weil meine Schwester dort arbeitet und …«
Sie erzählte dem Abt, wie sie beschlossen hatte, die Hunde zu befreien, dass Henry zu seinen Großeltern wollte, was im Zirkus passiert war und von ihrem Missgeschick mit Kevin, dem Müllmann.
Henry hörte erstaunt zu, denn jedes Wort, das sie sagte, war wahr.
Als Pippa fertig war, drehte sich der Abt zu Henry um.
»Das Haus deines Großvaters ist nicht weit von hier?«
Henry nickte. »Es liegt an der Küste gegenüber der Insel Farra. Mein Großvater ist Fischer und hat ein kleines Stück Land. «
»Und du glaubst, er nimmt dich auf?«, fragte der Abt.
»Ganz bestimmt. Er fand immer, dass ich einen Hund haben sollte.«
Henry ließ den Kopf hängen. Pippa und er hatten die ganze Zeit nur daran gedacht, sicher zu seinen Großeltern zu gelangen, aber wie musste das bei dem Abt ankommen? Bestimmt würde er sie zurückschicken oder der Polizei übergeben. Nun hatten sie es so weit geschafft, doch selbst jetzt konnte ein einziger Anruf alles zunichtemachen.
Der Abt zupfte gedankenverloren an Ottos Ohren. Minuten verstrichen, ohne dass er etwas sagte.
Schließlich fing er sehr bedächtig an zu sprechen.
»Da ihr nun euer Ziel fast erreicht habt, lasse ich euch weiterziehen. Sollte ich jedoch nicht innerhalb von 24 Stunden einen Anruf von euch erhalten, dass ihr sicher angekommen seid, werde ich die Polizei benachrichtigen. Nun geht zu Bruder Malcolm, er wird euch etwas zu essen mitgeben und euch den richtigen Weg zeigen.«
Als sie das Kloster erreichten, ging der Abt vor ihnen die Stufen hoch, Otto dicht an seiner Seite. In die Erleichterung der Kinder mischte sich Sorge. Was wurde aus Otto? Hier hatte er den perfekten Platz gefunden. Sie dachten an Honey und Francine und daran, wie sehr die beiden gelitten hatten, und bekamen Angst. Würde Otto nicht hierbleiben wollen? Würden sie die Reise ohne ihn beenden müssen?
»Wir können das nicht entscheiden«, sagte Henry. »Der Abt wird wissen, was zu tun ist.«
Als sie ihre Sachen zusammengesucht hatten, warteten die Kinder und die Hunde an der Pforte. Der Abt kam die Treppe herunter, Otto an seiner Seite. Er legte ihm die Hand auf den breiten Schädel.
»Wenn es Gottes Wille ist, werden wir uns wiedersehen«, sagte er zu dem Hund.
Otto blieb ruhig. Er wusste, dass seine Aufgabe noch nicht erledigt war. Er stieß nur einen kurzen Laut des Wehklagens aus und presste seine Schnauze gegen die Robe des Abtes. Dann drehte er sich um und folgte den Kindern aus dem Kloster.
21. Kapitel
Der letzte Sprung
Colin hatte nicht zu viel versprochen: Als er Darth und Terminator am nächsten Morgen dahin zurückbrachte, wo sie das blaue Handtuch entdeckt hatten, nahmen sie die Spur wieder auf. Zuerst liefen sie eine Weile im Kreis, dann sausten sie aus dem Unterholz und über das weite Moor.
Colin hielt sie an der Leine und Kevin rannte neben ihm her, doch der arme Sprocket kam kaum nach. Ihm war kalt, er war hungrig und müde und seine Hand war notdürftig mit einem Taschentuch umwickelt, denn Terminator hatte ihn gebissen.
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