Doch Darth und Terminator hatten weder zerknautschte Gesichter noch traurige Augen. Es waren stämmige Biester mit ausgeprägtem Brustkorb, kurzem grauen Fell, kleinen Ohren und krummen Beinen. Und sie waren bösartig. Sehr bösartig … Man sah deutlich, dass ihre Vorfahren Pitbulls waren, aber es steckte noch anderes, nicht unbedingt friedfertiges Blut in ihnen. Das ganze Tier war perfekt ausgerichtet, alles, was flüchtete, aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.
Als Colin die beiden aus ihrem Zwinger holte und sie nach ihren Leinen schnappten, gestattete Sprocket sich eine Frage: »Die Hunde werden dem Jungen doch aber nicht wehtun, oder? Ich glaube nicht, dass die Belohnung bezahlt wird, wenn er irgendwie beschädigt ist.«
»Nee, die sind abgerichtet«, sagte Colin und spuckte auf den Boden. »Sie halten ihn höchstens fest, aber in Stücke reißen tun die ihn erst, wenn ich’s sage.«
Während die furchterregenden Viecher auf einen Pick-up geladen wurden, sagte Kevin zu Sprocket: »Es kennt sich echt keiner besser mit den Hunden aus als Colin.« Sie erreichten Kevins Versteck und die Hunde sprangen vom Wagen. Sprocket gab Colin Henrys Taschentuch und die Hunde schnüffelten um die Hütte herum, dann fingen sie plötzlich aufgeregt an zu bellen und rasten den Hügel hoch.
»Hab’s doch gewusst«, sagte Kevin. »Der ist übers Moor.«
Die nächsten Stunden waren für Sprocket alles andere als angenehm. Er hastete hinter Darth und Terminator her, die wie wild an der Leine zogen. Und während sie das taten, drang gruseliges, halb wahnsinniges Bellen aus ihren Kehlen. Ihm gefror das Blut in den Adern.
»Sind Sie sicher, dass die dem Jungen nichts tun?«, fragte Sprocket von Zeit zu Zeit.
»Wenn sie ihn erst mal haben, sind die lammfromm«, sagte Colin.
Und Sprocket konnte nur wiederholen, dass für einen Jungen, der in Stücke zerteilt zurückkäme, keiner auch nur einen Penny bezahlen würde.
Die Jagd ging weiter. Sie stolperten durch Sumpfgebiete und verwelkten Farn. Das Wetter schlug um, ein scharfer Wind blies vom Meer her, gefolgt von Regentropfen und plötzlich spürte Sprocket die Kälte auch auf seiner Oberlippe und stellte entsetzt fest, dass er unterwegs seinen geliebten Schnauzbart verloren hatte.
Die schrecklichen Bestien ließen sich weder von Wind noch Wetter abhalten, sie stürmten weiter vorwärts.
Und gerade als Sprocket glaubte, er könne keinen einzigen Schritt mehr tun, hielten die Hunde inne, schnüffelten, kreisten … und jagten mit wildem Gekläffe plötzlich in eine andere Richtung davon.
»Sie haben Witterung aufgenommen«, rief Colin über seine Schulter. »Ich lass sie besser laufen.«
Er ließ die Hunde von der Leine und die gingen ab wie eine Rakete.
»Sie haben ihn! Da, hinter den Bäumen«, schrie Colin. »Kommt mit!«
Er lief hinter den Hunden her und Kevin und Sprocket folgten. Sie krochen in das kleine Gehölz, in dem die Hunde verschwunden waren. Colin hatte recht gehabt: Die Jagd war vorbei.
Darth und Terminator standen einander gegenüber, beide zerrten an etwas Blauem, das sie fest zwischen den Zähnen hielten.
Die Männer kamen näher und sahen, was es war. Ein ganz gewöhnliches Handtuch.
Das war kein schöner Moment. Die Hunde zeigten deutlich, dass sie kein Interesse mehr an einer Verfolgungsjagd hatten. Schließlich hatten sie ihren Job erledigt. Sie spielten Tauziehen mit ihrer Beute und stießen dumpfes Grollen aus. Als sie das Tuch endlich in der Mitte durchgerissen hatten, hockten sie sich hin, um es in Ruhe zu verspeisen.
»Das Wetter wird ziemlich ungemütlich«, sagte Colin und schlug seinen Kragen hoch. »Wir suchen uns mal lieber einen Unterschlupf und versuchen es morgen früh weiter. Die Hunde nehmen die Spur bestimmt wieder auf.«
»Was für einen Unterschlupf?«, fragte Sprocket leicht beunruhigt.
Sein Unbehagen war gerechtfertigt. Eine halbe Stunde später gelangten sie an eine Schutzhütte. Sie bestand nur aus vier Wänden, einem undichten Dach und einem von Schafskötteln übersäten Boden. Der Wind pfiff durch die Risse in den Wänden, Wasser tropfte von der Decke.
Kevin und Colin schien das nicht weiter zu stören. Sie zogen ihre Flachmänner mit Whisky heraus, rülpsten, erzählten dreckige Witze, und als sie so richtig betrunken waren, schliefen sie ein.
Doch der arme Sprocket fand keinen Schlaf. In sein Jackett gewickelt hatte er sich in eine Ecke gekauert. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so elend gefühlt. Er hatte als Notration ein paar Kekse in der Tasche, doch jedes Mal, wenn er einen herausziehen und essen wollte, erschien einer der Hunde und hielt mit den Zähnen Sprockets Handgelenk umklammert, bis er den Keks fallen ließ.
Während die Stunden vergingen und der Regen auf das morsche Dach prasselte, versuchte Sprocket sich, so gut es ging, bei Laune zu halten. Wenn er den Jungen heil zurückbrachte, würde Curzon ihn vielleicht ab und zu nach oben kommen lassen oder ihm sogar ein Büro neben der hübschen Fiona geben. Vielleicht wäre er dann auch endlich in der Lage, einen passenden Reim auf Toilette zu finden.
Doch im Laufe der Nacht zerplatzten Sprockets Träume. Er hörte, wie sich einer der Hunde in der Ecke der Hütte übergab, und im Schein der Taschenlampe erkannte Sprocket die ausgewürgten Reste des blauen Handtuchs und daneben, mit Schleim bedeckt, aber unverkennbar seinen heiß geliebten Schnauzbart.
Henry und Pippa stolperten durch die regnerische Nacht und wären über eine fensterlose, undichte Hütte heilfroh gewesen. Sie befanden sich mitten im Moor und wussten nicht weiter.
Sie hatten sich nach dem Stand der Sonne gerichtet und waren zuerst auch gut vorangekommen. Eigentlich wollten sie die Küste vor Einbruch der Nacht erreicht haben. Doch dann war das Wetter umgeschlagen, die Sonne verschwunden und es kamen Dunkelheit und Regen.
Pippa und Henry waren Großstadtkinder und völlig überwältigt von der Schwärze der Nacht. In London wurde es nie völlig dunkel. Aber es war nicht nur die Abwesenheit von Licht, die sie ängstigte. Eine feindliche Macht schien sie am Weitergehen hindern zu wollen und der Regen kam auch nicht etwa nur von oben, sondern von allen Seiten, getrieben vom unermüdlich pfeifenden Wind. Das Wasser lief in ihre Anoraks und durchweichte ihre Schuhe. Dazu litt Henry noch unter den Nachwirkungen eines Schocks. Die Stunde, die er eingesperrt in Kevins Schuppen verbringen musste, hatte ihm mehr zugesetzt, als er gedacht hatte.
Inzwischen war er sicher, dass sie das Haus seiner Großeltern nie erreichen würden.
»Wenn wir jetzt Rast machen, sterben wir bestimmt an Entkräftung«, sagte Pippa. »Ich hab nie verstanden, was das heißen soll, aber jetzt weiß ich es.«
»Wir sterben auf jeden Fall, egal, ob wir weitergehen oder nicht«, murmelte Henry.
Sie stolperten weiter über Geröll und durch Bachläufe, die auch nicht viel nasser waren als der Boden unter ihren Füßen. Die treuen Hunde folgten ihnen. Li-Chee, der ohne sein Fell schrecklich fror, stieß Laute der Verzweiflung aus, die nicht sehr löwenhaft klangen, und als Pippa ihn hochhob, vergrub er seine Schnauze in ihrer Jacke. Die anderen trotteten tapfer vorwärts, allen voran Fleck. Seit er Henry aus Kevins Klauen befreit hatte, schien er über sich selbst hinausgewachsen zu sein.
Die Hunde behielten sich stets im Blick. Wenn einer von ihnen in der Dunkelheit verschwand, warteten die anderen auf ihn.
Als die Kinder einen Lichtschimmer entdeckten, glaubten sie zuerst an eine Halluzination. Sie wussten, dass Menschen, die am Ende ihrer Kräfte waren, oft Dinge sahen, die es nicht gab. Doch das Licht war wirklich. Es wurde stärker, und als sie näher kamen, sahen sie, dass es die erleuchteten Fenster eines großen Anwesens waren.
»Sieht aus wie ein Schloss«, sagte Pippa.
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