Dieser Zufall ist es, der uns gleichgültig macht. Ich saß vor einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand ich auf und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich zurückkam, war von dem ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem schweren Treffer* zerstampft. Ich ging zum zweiten zurück und kam gerade rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen verschüttet worden.
Ebenso zufällig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt überstehen. Jeder Soldat bleibt nur durch tausend Zufälle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem Zufall.
* * *
Wir müssen auf unser Brot achtgeben. Die Ratten haben sich sehr vermehrt in der letzten Zeit, seit die Gräben nicht mehr recht in Ordnung sind. Detering behauptet, es wäre das sicherste Vorzeichen für dicke Luft*.
Die Ratten hier sind besonders widerwärtig, weil sie so groß sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. Sie haben scheußliche, bösartige, nackte Gesichter, und es kann einem übel werden, wenn man ihre langen, kahlen Schwänze sieht.
Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot angefressen. Kropp hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt, doch er kann nicht schlafen, weil sie ihm über das Gesicht laufen, um heranzugelangen. Detering wollte schlau sein; er hatte an der Decke einen dünnen Draht befestigt und sein Brot darangehängt. Als er nachts seine Taschenlampe anknipst, sieht er den Draht hin und her schwanken. Auf dem Brot reitet eine fette Ratte.
Schließlich machen wir ein Ende. Die Stücke Brot, die von den Tieren benagt sind, schneiden wir sorgfältig aus; wegwerfen können wir das Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
Die abgeschnittenen Scheiben legen wir in der Mitte auf dem Boden zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt sich schlagbereit hin. Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
Nach wenigen Minuten hören wir das erste Schlurfen* und Zerren. Es verstärkt sich, nun sind es viele kleine Füße. Da blitzen die Taschenlampen auf, und alles schlägt auf den schwarzen Haufen ein, der auseinanderzischt. Der Erfolg ist gut. Wir schaufeln die Rattenteile über den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer*.
Noch einige Male gelingt uns der Schlag. Dann haben die Tiere etwas gemerkt oder das Blut gerochen. Sie kommen nicht mehr. Trotzdem ist der Brotrest auf dem Boden am nächsten Tage von ihnen weggeholt.
Im benachbarten Abschnitt haben sie zwei große Katzen und einen Hund überfallen, totgebissen und angefressen.
Am nächsten Tage gibt es Edamer Käse. Jeder erhält fast einen Viertelkäse. Das ist teilweise gut, denn Edamer schmeckt – und es ist teilweise faul, denn für uns waren die dicken roten Bälle bislang immer ein Anzeichen für schweren Schlamassel. Unsere Ahnung steigert sich, als noch Schnaps ausgeteilt wird. Vorläufig trinken wir ihn; aber uns ist nicht wohl zumute dabei.
Tagsüber machen wir Wettschießen auf Ratten und lungern umher. Die Patronen und Handgranatenvorräte werden reichlicher. Die Bajonette revidieren wir selbst. Es gibt nämlich welche, die gleichzeitig auf der stumpfen Seite als Säge eingerichtet sind. Wenn die drüben jemand damit erwischen, wird er rettungslos abgemurkst. Im Nachbarabschnitt sind Leute von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen Sägeseitengewehren die Nasen abgeschnitten und die Augen ausgestochen waren. Dann hatte man ihnen den Mund und Nase mit Sägespänen gefüllt und sie so erstickt.
Einige Rekruten haben noch Seitengewehre ähnlicher Art; wir schaffen sie weg und besorgen ihnen andere.
Das Seitengewehr hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum Stürmen ist es jetzt manchmal Mode, nur mit Handgranaten und Spaten vorzugehen. Der geschärfte Spaten ist eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das hat größere Wucht; besonders wenn man schräg zwischen Schulter und Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt beim Stich oft stecken, man muss dann erst dem andern kräftig gegen den Bauch treten, um es loszukriegen, und in der Zwischenzeit hat man selbst leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab.
Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den Masken fertig, bereit, sie abzureißen, sowie der erste Schatten auftaucht.
Der Morgen graut, ohne dass etwas erfolgt. Nur immer dieses nervenzerreibende Rollen drüben, Züge, Züge, Lastwagen, Lastwagen, was konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt ständig hinüber, aber es hört nicht auf, es hört nicht auf. —
Wir haben müde Gesichter und sehen aneinander vorbei. »Es wird wie an der Somme*, da hatten wir nachher sieben Tage und Nächte Trommelfeuer«, sagt Kat düster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung* besitzt. Nur Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir würden genauso in Ruhe zurückkehren, es würde gar nichts passieren.
Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht vorüber. Ich sitze nachts im Loch auf Horchposten. Über mir steigen die Raketen und Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt; der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf hängt in meinen Augenlidern, ich bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis ich abgelöst werde; – nur immer das Rollen drüben. Wir werden allmählich ruhig und spielen ständig Skat und Mauscheln*. Vielleicht haben wir Glück.
Der Himmel hängt tagsüber voll Fesselballons. Es heißt, dass von drüben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das, was von den neuen Flammenwerfern erzählt wird.
* * *
Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde dröhnt. Schweres Feuer liegt über uns. Wir drücken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber können wir unterscheiden.
Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke von neuem, dass sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein Brüllen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und schütteln mit bleichen Gesichtern und gepressten Lippen die Köpfe.
Jeder fühlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrüstung wegreißen, wie sie die Böschung* durchwühlen und die obersten Betonklötze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem Prankenhieb* eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuss im Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grün und kotzen*. Sie sind noch zu unerfahren.
Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das Blitzen der Einschläge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an Erschütterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
Die Ablösungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und isst, der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal über die Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas anderes zu holen als einen Nervenschock.
Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir müssen aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist, dass es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
Das Feuer schwächt nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontänen. Ein sehr breiter Gürtel wird bestrichen.
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