Wir erkennen die verzerrten Gesichter, die flachen Helme, es sind Franzosen. Sie erreichen die Reste des Drahtverhaus und haben schon sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben uns umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen*, und sie kommen näher.
Ich sehe einen von ihnen in einen spanischen Reiter stürzen, das Gesicht hoch erhoben. Der Körper sackt zusammen, die Hände bleiben hängen, als wollte er beten. Dann fällt der Körper ganz weg, und nur noch die abgeschossenen Hände mit den Armstümpfen hängen im Draht.
Im Augenblick, als wir zurückgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom Boden. Unter einem der Helme ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest auf mich gerichtet sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in diese sonderbaren Augen, einen verrückten Moment lang rast die ganze Schlacht wie ein Zirkus um mich und diese beiden Augen, die allein bewegungslos sind, dann reckt sich drüben der Kopf auf, eine Hand, eine Bewegung, und meine Handgranate fliegt hinüber, hinein.
Wir laufen zurück, reißen spanische Reiter in den Graben und lassen abgezogene Handgranaten hinter uns fallen, die uns einen feurigen Rückzug sichern. Von der nächsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre.
Aus uns sind gefährliche Tiere geworden. Wir kämpfen nicht, wir verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen Menschen, was wissen wir im Augenblick davon, dort hetzt mit Händen und Helmen der Tod hinter uns her, wir können ihm seit drei Tagen zum ersten Male ins Gesicht sehen, wir können uns seit drei Tagen zum ersten Male wehren gegen ihn, wir haben eine wahnsinnige Wut, wir liegen nicht mehr ohnmächtig wartend auf dem Schafott*, wir können zerstören und töten, um uns zu retten und zu rächen.
Wir hocken hinter jeder Ecke, hinter jedem Stacheldrahtgestell und werfen den Kommenden Bündel von Explosionen vor die Füße, ehe wir forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in unsere Arme, in unsere Beine, geduckt wie Katzen laufen wir, überschwemmt von dieser Welle, die uns trägt, die uns grausam macht, zu Wegelagerern, zu Mördern, zu Teufeln meinetwegen, dieser Welle, die unsere Kraft vervielfältigt in Angst und Wut und Lebensgier, die uns Rettung sucht und erkämpft. Käme dein Vater mit denen drüben, du würdest nicht zaudern, ihm die Granate gegen die Brust zu werfen!
Die vorderen Gräben werden aufgegeben. Sind es noch Gräben? Sie sind zerschossen, vernichtet – es sind nur einzelne Grabenstücke, Löcher, verbunden durch Laufgänge, Trichternester, nicht mehr. Aber die Verluste derer von drüben häufen sich. Sie haben nicht mit so viel Widerstand gerechnet.
* * *
Es wird Mittag. Die Sonne brennt heiß, uns beißt der Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem Ärmel weg, manchmal ist Blut dabei. Der erste etwas besser erhaltene Graben taucht auf. Er ist besetzt und vorbereitet zum Gegenstoß, er nimmt uns auf. Unsere Artillerie setzt mächtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
Die Linien hinter uns stocken. Sie können nicht vorwärts. Der Angriff wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der Kopf abgerissen. Er läuft noch einige Schritte, während das Blut ihm wie ein Springbrunnen aus dem Halse schießt.
Es kommt nicht ganz zum Handgemenge, die andern müssen zurück. Wir erreichen unsere Grabenstücke wieder und gehen darüber hinaus vor.
Oh, dieses Umwenden! Man hat die schützenden Reservestellungen erreicht, man möchte hindurchkriechen, verschwinden; – und muss sich umdrehen und wieder in das Grauen hinein. Wären wir keine Automaten in diesem Augenblick, wir blieben liegen, erschöpft, willenlos. Aber wir werden wieder mit vorwärts gezogen, willenlos und doch wahnsinnig wild und wütend, wir wollen töten, denn das dort sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre und Granaten sind gegen uns gerichtet, vernichten wir sie nicht, dann vernichten sie uns!
Die braune Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter den Sonnenstrahlen schimmernd, ist der Hintergrund rastlos dumpfen Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind trocken, der Kopf ist wüster als nach einer durchsoffenen Nacht – so taumeln wir vorwärts, und in unsere durchsiebten, durchlöcherten Seelen bohrt sich quälend eindringlich das Bild der braunen Erde mit der fettigen Sonne und den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als müsste es so sein, die nach unsern Beinen greifen und schreien, während wir über sie hinwegspringen.
Wir haben alles Gefühl füreinander verloren, wir kennen uns kaum noch, wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick fällt. Wir sind gefühllose Tote, die durch einen Trick, einen gefährlichen Zauber noch laufen und töten können.
Ein junger Franzose bleibt zurück, er wird erreicht, hebt die Hände, in einer hat er noch den Revolver – man weiß nicht, will er schießen oder sich ergeben – , ein Spatenschlag spaltet ihm das Gesicht. Ein zweiter sieht es und versucht, weiterzuflüchten, ein Bajonett zischt ihm in den Rücken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den Mund schreiend weit offen, taumelt er davon, in seinem Rücken schwankt das Bajonett. Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die Hände vor den Augen. Er bleibt zurück mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete fortzutragen.
Plötzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, dass es uns gelingt, fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig Verluste. Ein Maschinengewehr kläfft, wird aber durch eine Handgranate erledigt. Immerhin haben die paar Sekunden für fünf Bauchschüsse bei uns ausgereicht. Kat schlägt einem der unverwundet gebliebenen Maschinengewehrschützen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir durstig das Kühlwasser aus.
Überall knacken Drahtzangen, poltern Bretter über die Verhaue, springen wir durch die schmalen Zugänge in die Gräben. Haie stößt einem riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste Hand-granate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist das gerade Stück des Grabens vor uns leer. Schräg über die Ecke zischt der nächste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte Ladungen in die Unterstände, die Erde ruckt, es kracht, dampft und stöhnt, wir stolpern über glitschige Fleischfetzen, über weiche Körper, ich falle in einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskäppi liegt.
Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde reißt ab. Da wir uns hier nicht lange halten können, werden wir unter dem Schütze unserer Artillerie zurückgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir in größter Eile noch in die nächsten Unterstände stürzen, um von Konserven an uns zu reißen, was wir gerade sehen, vor allem die Büchsen mit Corned beef* und Butter, ehe wir türmen.
Wir kommen gut zurück. Es erfolgt vorläufig kein weiterer Angriff von drüben. Über eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand spricht. Wir sind so völlig ausgepumpt, dass wir trotz unseres starken Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allmählich werden wir wieder so etwas wie Menschen.
Das Corned beef von drüben ist an der ganzen Front berühmt. Es ist mitunter sogar der Hauptgrund zu einem überraschenden Vorstoß von unserer Seite, denn unsere Ernährung ist im allgemeinen schlecht; wir haben ständig Hunger.
Insgesamt haben wir fünf Büchsen geschnappt. Die Leute drüben werden ja verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer Rübenmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht bloß danach zu greifen. Haie hat außerdem ein dünnes französisches Weißbrot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten. An einer Ecke ist es ein bisschen blutig, doch das lässt sich abschneiden.
Читать дальше
Конец ознакомительного отрывка
Купить книгу