»Ganz gut. Sehr schön, — vorausgesetzt, daß Sie keine Tendenz damit verbinden.«
»Was soll das heißen?«
»Ich meine, etwa Griechentum, Schönheit und so weiter.« Hanka ging mit seinem sonderbar stampfenden Schritt umher, hatte die Hände fest auf die Hüftknochen gestemmt und so schien alles an ihm in einer Art Bewegung, ausgenommen die Augen, die in eine eingebildete Tiefe starrten und zwei Ebenholzkugeln glichen.
»Und wenn ichs täte –?« erwiderte Arnold. »Ich weiß nichts davon, aber wenn ichs täte –?«
Hanka blieb stehen. »Es wäre nicht weiter schlimm«, sagte er. »Ich meine nur, damit haben wir nichts zu tun. Das ist alles Schwindel. Wir müssen unsere Ideale viel niedriger hängen. Es ist für uns schon Ideal genug, ein anständiger Mensch zu sein. Übrigens«, fügte er hinzu, mit einer eklen Mundbewegung, als ob seine Worte ihm bitter geschmeckt hätten, »wollen Sie wirklich ein lebendes Bild machen –, dort?«
»Ich denke nein«, entgegnete Arnold.
Hanka fing an zu rauchen und zu schweigen. Arnold stand am Fenster, und blickte auf die Statue.
Hanka ging und Arnold blieb allein vor der marmornen Figur, aber wenn sie ihm gleich in Hankas Gegenwart belebt erschienen war, so erblickte er jetzt nichts anderes als den gemeißelten Stein darin. Er lauschte gegen die Straßen. Ein leises, unveränderliches Kochen, Surren und Zittern drang zu seinem Ohr und durchbrach die täuschende Stille. Dort war Leben, ewiges Wach-Sein. Ein unersättlicher Hunger erfüllte Arnolds Brust. Ohne Zögern hätte er all das Unbekannte an sich reißen mögen, anstatt hier zu sitzen und zu warten. Nicht Glück, nicht Befriedigung, nicht Ausfüllung der Stunden, nicht Freundschaft, nicht Wissenschaft war es, wonach dies Unersättliche Verlangen trug. Kein Wort konnte es benennen, kein Gedanke es umfassen. Es glich einem aufgesperrten Rachen, für den die Millionen eines Goldbergwerks nur ein verächtlicher Bissen, die Umarmung der Psyche kaum ein Tröpfchen Erquickung bedeutet hätte. Im Schmerz der Willensanstrengung oder im Rausch der Ahnung umhergetrieben, schien es ihm, als ob sein blindes Begehren die Welt ausfülle. Was ihn ehedem hatte erglühen lassen, erschien ihm nichtig, was er ehemals begehrt, bettelhaft. Zahllose Wünsche waren beschäftigt, ihm ein reizendes Wandelpanorama der Welt zu malen, dessen entzückter Betrachtung er sich hingab. Doch so oft der Sturm sich legte, woher kam es, daß aus irgend einer Ecke ein lauerndes Ungeheuer kroch, wie eine Spinne, deren feine Fäden das Herz umspannen und es kalt und lustlos machten?
Am Tag darauf hatte Arnold mit Borromeo wegen der veränderten Anlage eines Kapitalsteiles zu reden. Er hatte Lust zu kühnen Unternehmungen; was er anpackte, ging den glücklichsten Weg. In der Kanzlei traf er den Oheim nicht. So wartete er bis zum Abend und ging dann in die Wohnung. Als er angepocht hatte und eintrat, standen Borromeo und Anna einander gegenüber. Beide waren blaß.
»Verzeiht«, sagte Arnold und reichte die Hand. Frau Anna sah ihn mit einem durchbohrenden Blick ihrer glühendblauen Augen an, Borromeo lächelte dünn und leer.
»Habt ihr zu sprechen?« fragte Anna Borromeo. Mit einem trägen Nicken gegen Arnold verließ sie das Zimmer. Arnold nahm eine Zigarette von der Schale und setzte sie mit nachdenklichen Geberden in Brand.
Borromeo konnte zu dem Vorhaben Arnolds nicht seinen Segen geben. Mit halbgeschlossenen Augen und zur Seite geneigtem Kopf ging er langsam auf und ab. Bisweilen hob er mit dem Handrücken den Bart unter dem Kinn empor und zog die fahlen Lippen zwischen die Zähne. Dann blieb er stehen, lauschte, öffnete die Türe, durch welche Anna gegangen war, und finster lag der große Raum des Empfangszimmers vor ihm. Dann ging er zur zweiten Türe, die er gleichfalls öffnete, aber nach kurzem Hinausstarren wieder schloß. Die Augen emporschlagend, mit regungslos hängenden Armen, im festgeschlossenen langen Gehrock stand er vor Arnold.
»Du hast mir noch nichts von Podolin erzählt«, sagte er. Er hatte etwas ganz anderes unterdrückt, das ihm zu sagen näher lag.
»Es hat sich nichts verändert«, antwortete Arnold. »Der Verwalter scheint mir nicht zuverlässig, Ursula wird alt. Ich möchte das Ganze losschlagen. Es ist ein Stein am Hals.«
Borromeo starrte auf den Tisch, auf welchem Spielkarten verstreut lagen. Er nahm einen Pack in die Hand und zog einen König heraus, den er düster betrachtete.
»Was denkst du dazu?« fragte Arnold.
Borromeo schüttelte sanft den Kopf. »Ich kann nicht raten«, sagte er leise. »Ich bedürfte selbst des Rates. Warum willst du deine Heimat verkaufen?«
Arnold blickte ihn aufmerksam an. Ein innerer Unwille erhob sich in ihm gegen die eisige Trauer dieses Mannes.
»Ich bedürfte selbst des Rates«, wiederholte Borromeo.
Erschrocken zuckte Arnold zusammen; doppelt erschrocken, als er den verehrenden, klaren, gläubigen Blick des Oheims auf sich ruhen fühlte. Er vermochte nichts zu sagen, doch war es ihm eine Sekunde lang zumute wie damals, als er in Verenas Hause in den Spiegel geschaut, um zu sehen ob sein Bild auch wirklich darin sei.
Siebenundvierzigstes Kapitel
Arnold träumte, er stehe auf einem gläsernen Feld und bei jedem Schritt, den er zu machen versuchte, rutschte er in eine glatte Furche zurück. Über diesen Bemühungen erwachte er und verspürte Kopfschmerzen. Er konnte nicht mehr einschlafen, machte Licht, nahm ein Buch und las. Während des Lesens faßte er den Plan, in der neuen Wohnung alle Bekannten und Freunde an einem Abend zu versammeln. Er beschäftigte sich mit der Zusammenstellung köstlicher Speisen und seine Phantasie schmückte im voraus die Räume. Antinous sollte eine Rosenguirlande über der Schulter tragen. Dann dachte er an Arbeit; es schien ihm lockend, viel zu wissen und durch Wissen zu herrschen. In der Tat ging er am Morgen zur Universität, um eine Vorlesung zu hören, schrieb fleißig mit und zwang seine widerspenstigen Gedanken in den Kreis des Gegenstandes.
Zum Mittagessen ging er nicht nach Hause, obwohl er dort für sich hatte kochen lassen, sondern in ein Restaurant, welches in der Nähe der Oper lag. Es war ein sehr vornehmes und teures Haus, aber Arnold hatte Lust bekommen, gute und seltene Dinge zu essen. Solche Antriebe lagen für ihn in der Luft. Es machte ihm Vergnügen, einen Kellner zu beobachten, der vor ihm zusammenknickte wie ein Messerchen. Als er am Tisch saß, gewahrte er gegenüber an der entgegengesetzten Wand Maxim Specht und Beate. Specht grüßte mit einem nachlässigen kalten Neigen seines Kopfes. Zwei Diamantringe funkelten an seiner Hand, und eine erbsengroße Perle steckte in seiner Kravatte. Beate trug ein hellgrünes Tuchkleid in englischer Machart. Ihr Gesicht war außerordentlich bleich, müde, langgezogen und hatte den Ausdruck einer maskenhaften, kalten Anständigkeit. Als Arnold grüßte, lachte sie ihm einfach ins Gesicht. Specht schien innerlich zu kämpfen; er flüsterte mit Beate, nach einer Weile kam er herüber und drückte Arnold die Hand. Er zeigte eine boshafte Förmlichkeit in seinem Benehmen.
»Es scheint Ihnen gut zu gehen?« sagte Arnold. Seine Miene suchte jede überflüssige Annäherung im voraus abzuweisen.
»Ich bin jetzt Redakteur des Adelsblattes«, erzählte Specht und nahm mit einer leichten Verbeugung Platz. »Auch Sie haben viel Erfolg, wie ich höre«, fuhr er fort und legte den Kopf leicht fragend gegen die eine Schulter. »Sie haben vorteilhaft in bulgarischer Rente spekuliert, erzählt man sich.«
Arnold legte seine Forelle auseinander und schabte das weiße Fleisch sorgsam von den Gräten. Er lächelte.
»Übrigens muß ich Ihnen etwas mitteilen«, sagte Maxim Specht plötzlich in heiterer Belebtheit, »und es ist gut, daß ich Sie treffe. Eine ganz unheimliche Parallelgeschichte, wie Sie bald sehen werden. Ich hatte mich mit einer kleinen Schauspielergesellschaft verabredet. Wir wollten nach dem Theater im Stephanskeller essen und hatten ein separiertes Zimmerchen bestellt. Ich telephoniere am Nachmittag, und der Oberkellner nennt mir die Nummer des Zimmers. Das Theater ist aus, ich gehe hin, der Kellner, der mich sehr gut kennt, läßt mich vorbeigehen, und ich höre schon von weitem unsere Gesellschaft lärmen. Da passiert mir das Unglück, ich muß die Nummer des Zimmers vergessen haben, daß ich nun eine falsche Türe öffne und sehe, wen glauben Sie? Den jungen Baron Valescott und –«
Читать дальше