Sie verabredeten für den nächsten Morgen einen Ausflug, aber da Hanka zu träg war, um zu gehen, wollte er im Ort eine Kutsche auftreiben. Zur bestimmten Stunde kam das Gefährt zur Stelle, mit zwei dicken Gäulen bespannt. Langsam ging es über die Heerstraße; der Tag war noch schöner als der gestrige. Nach einer Stunde nahm sie der Wald auf. Frisch geschälte Baumstämme lagen quer über dem Graben und glänzten in der Sonne wie Goldbarren. Die Straße war schmal. Hinter ihnen fuhr im scharfen Trab ein Bauernwagen heran. Vier verwegen aussehende Burschen hockten auf den Leitern; einer schwang die Peitsche, deren Knallen den ganzen Wald mit Getöse erfüllte, die andern, mit schiefsitzenden Kappen, schrien drohend und lachend drauflos. Das Fuhrwerk kam näher, auch die Kutsche rollte schneller. Die Kerle warfen die Arme und brüllten; ihre beiden Pferde hatten Schaum am Maul, als nähmen sie an der Erregung teil. Arnold riß dem Kutscher die Zügel aus der Hand; lachend trieb er die dicken Gäule vorwärts, und sie jagten nun auch ihrerseits wild dahin. Die Bauern blieben scharf hinterher; Hanka blickte den nachstürmenden Pferden in die rötlich lohenden Augen. Seine Gleichmütigkeit schwand unter einer grausigen Vorstellung, und er dachte an den Mann jenes Gedichts, der im Brunnen hängt, Tod unter und Tod über sich erblickt.
Endlich kam eine Schenke und da hielt die Bauernkarre still. Arnold und Hanka kehrten auf einem näheren Weg gegen Podolin zurück. Eine eigentümliche Verachtung begann in Hanka zu wirken. Er verachtete das Ding, welches ihm das Herz auffraß.
Im Schweigen liegt oft die aufdringlichste Mitteilung. Das erfuhr Arnold bald. Seine Lebensstimmung wurde durch das beeinflußt, was Hanka schweigend in sich verschloß. Er trieb wieder mathematische Studien. Er spielte und es ist im Grund, dasselbe, ob man mit Zahlen oder mit Karten spielt. Über all dem, wolkengleich, spannte sich etwas trist die Sehnsucht nach Verena. Bisweilen senkte sie sich nieder wie Regen und erfüllte seine Brust mit Traurigkeit. Er suchte das Rätsel ihrer Person zu ergründen und wollte ihr beikommen wie den algebraischen Formeln.
Er langweilte sich. Mitten in die Stille und Einsamkeit kam ein Brief Anna Borromeos. Sie schrieb an Arnold, daß sie für sein langes Ausbleiben keine andere Ursache vermuten könne, als daß ihn ihr Haus abgestoßen und ihre Person verscheucht habe. »Aber lieber Neffe und Freund, wir können dich, so scheint es, weniger entbehren als du uns. Wir zerbrechen uns den von zahllosen Geschäften ermüdeten Kopf, indessen du boshaft hinter deinem Dorfofen sitzest. Mein Gatte quält sich mit der Befürchtung, daß du unsere Gastfreundschaft mangelhaft gefunden haben könnest, und auch mich drängt es, dir eine bessere Idee von Anna Borromeo zu geben, als du jetzt in deine Heimat getragen. Für die Schlechtesten gibt man sich aus und dem, den man umschließen sollte, dem sperrt man sich zu. Komm bald. Deine A. B.«
Arnold war Anna Borromeo fast dankbar für dieses Schreiben, durch welches sein Schwanken beendigt und der Entschluß der Abreise bewirkt wurde. Er freute sich auf die Stadt, und gleich teilte er Hanka seinen Vorsatz mit.
Fünfundvierzigstes Kapitel
Da es mit Agnes besser ging, wollte Hanka ebenfalls in die Stadt zurückkehren und Arnold war es angenehm, Gesellschaft zu haben. Am letzten Abend raffte er sich auf und unternahm endlich eine Durchsicht der Rechnungen und Berichte, welche ihm der Verwalter vorlegte. Es vergingen Stunden damit. Der Inspektor schien es darauf anzulegen, ihn zu verwirren, aber Arnold zeigte ihm, daß es nicht leicht war, ihn zu übertölpeln. Er sollte sich darüber entscheiden, ob er ein Stück Acker an die Gemeinde verkaufen wollte, die es zum Bau einer Lokalbahn haben wollte, jedoch einen Spottpreis anschlug. Ungeduldig verschob Arnold den Bescheid, wodurch freilich nichts gewonnen war.
Der Wagen mit Hanka kam; winkend und nickend fuhr Arnold gegen die Straße hinaus. Ursula ließ ein weißes Handtuch flattern, das noch lange zu sehen war.
»Ich bin froh, nun geht’s wieder an die Arbeit«, sagte Arnold. »Weshalb sind Sie so schlecht gelaunt?«
Hanka streckte die Beine aus und sein Kopf wackelte verdrießlich auf dem Hals. »Es geht mir schief«, antwortete er. »Die Montanpapiere sind um zehn Perzent zurückgegangen.«
»Was werden Sie tun?«
»Ich muß verkaufen.«
»Und dann?«
»Dann steht mir ein großes Unglück bevor, — Arbeit.«
Arnold lachte. »Schade«, meinte er, »Sie sind zum Müßiggang geboren.«
Wohltätig wurde Arnold von dem Gewirr und dem Lärm berührt, als sie am Nachmittag in der Stadt eintrafen. Am Bahnhof trennte er sich von Hanka. Die Wärme des Lebens strömte ihm aus den Straßen entgegen. Hier war es nicht von Belang, ob die Sonne schien oder nicht, ob es regnete oder nicht.
In seinem Zimmer angelangt, entlohnte Arnold die Leute mit dem Gepäck, und während dem trat Anna Borromeo unter die Türe. Mit großer Freude streckte sie ihm beide Hände entgegen und Arnold war sehr überrascht, in ihr eine so schöne Frau zu sehen, denn für sein Auge war sie bisher nur die Gattin Borromeos gewesen. Sie erzählte ihm Neuigkeiten, und obwohl sie beide nie in so vertraulicher Weise geplaudert hatten, schien es Arnold doch natürlich zu sein und entsprach seiner gehobenen Stimmung. Anna war erstaunt darüber, daß er auch ihre halbgesprochenen Sätze im Stillen zu ergänzen wußte, und daß er jenes andeutungsreiche Wesen begriff, welches zwischen Menschen von gleicher Kultur und gleichen Gewohnheiten entsteht.
Später las Arnold die Briefe, die für ihn eingetroffen waren. Zuerst nahm er Stück um Stück in die Hand, jedoch er fand nicht, was zu finden er gehofft hatte. Es waren meist Bettelbriefe und Einladungen. Ein Schreiben Wolmuts war dabei, der ihn benachrichtigte, daß er in die Statthalterei nach Graz berufen worden sei, und daß ihm wahrscheinlich bald eine weitere Beförderung in Aussicht stehe. Arnold war nicht sehr zufrieden damit; ihm war, als habe ein guter Geist das Haus verlassen.
Geschäftig räumte Arnold alle Bücher aus den Regalen, rief den Diener, damit die Bände abgestaubt würden, und ordnete alles mit peinlicher Sorgfalt nach Größe, Gattung und Aussehen wieder ein. Die Schreibereien legte er Blatt auf Blatt zusammen und spannte das Gleichartige zwischen Drähte. Er ließ die Fenster waschen, die Dielen fegen, die Teppiche klopfen, begab sich auf die Jagd nach Tintenflecken, Spinneweben, Flöhen und setzte alles im Haus in Bewegung.
Als einige Tage vergangen waren, suchte er Hanka auf. In der Villa wurde ihm gesagt, Hanka wohne in einem Hotel in der Stadt. Verwundert fuhr er hin und fand ihn in trübseliger Laune. Hanka gestand ihm, daß er den größten Teil seines Vermögens an der Börse verloren habe.
Die Unterhaltung schleppte sich einsilbig weiter. Plötzlich begann Arnold von Verena zu erzählen. Die Ereignisse verschoben sich sonderbar in seinem Mund; gefärbt durch selbstsüchtiges Leiden, wirkten sie romantisch und verzwickt. Schon die Befürchtung, ein Liebesabenteuerchen wie hundert andere zu erzählen, verwischte den natürlichen und so ruhigen Lauf der Begebenheit. Hanka wurde nicht klug aus der Geschichte. Er äußerte sanfte Zweifel an der gepriesenen Verena, und mehr als den Verlust seines Vermögens betrauerte er plötzlich Arnolds übertriebene Beredsamkeit. Arnold fühlte es. In ziemlicher Erregung begann er von neuem, Verenas seltene Natur begreiflich zu machen; aber stets überhebt man sich, wenn man loben muß, was man liebt, und Hanka wurde immer mißtrauischer und betrübter. So sehr er Äußerungen des Temperaments achtete, so sehr schreckte ihn erhitzte Empfindung ab.
Aber er begab sich des Nachdenkens darüber und begnügte sich mit der Feststellung der Tatsache. Er ging an den Ereignissen vorüber wie man im Flur eines Hotels an den Zimmern vorbeigeht, in denen man nicht wohnt. Aber da sein alles voraussehender und stets auf das Schlimmste vorbereiteter Geist von Schrecken erfüllt war durch die Erwartung der Millionen Wirkungen aus einer einzigen Ursache, so wurde all sein Handeln eigentlich durch ein alles umgürtendes Verantwortlichkeitsgefühl erdrosselt. Hanka dachte an die Worte Marc Aurels: Schändlich ist es, wenn deine Seele ermüdet, ohne daß dein Leib müde ist; und grübelte mit dem heiligen Augustinus: Woher diese Unnatur? und warum? Der Geist gebietet dem Körper, und der Körper gehorcht; der Geist gebietet sich selbst und findet Widerstand.
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