»Sie haben sich rasch zurechtgefunden«, sagte Hanka zu Arnold. »Ich dachte nicht, Sie schon im Mittelpunkt der Gesellschaft zu finden.« Trotzdem er nun wußte, wie es zugegangen war, hatte Arnolds Anwesenheit für ihn immer noch etwas Unerklärliches. Er war gewohnt, sich Natalie gegenüber in einer unveränderlich trockenen und spaßhaften Weise zu betragen; Natalie hatte sich diese Manier zurechtgelegt und beide konnten stets hinter den Worten, womit sie einander spielerisch betrogen, etwas anderes suchen. Dies reizte heute Hanka nicht. Schließlich schwiegen sie alle drei. Natalie war ratlos. In heller Verzweiflung studierte sie Arnolds Gesicht, fand die Nase zu klein, den Mund häßlich, das Haar zu glatt und lachte endlich vor Zorn und Verlegenheit gerade hinaus. Das ärgerte Arnold.
Hanka erhob sich und Arnold entschloß sich, mit ihm zu gehen. Natalie bat ihn, noch zu bleiben, aber er schüttelte den Kopf.
»Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu sprechen,« sagte sie; »wenn Sie heute keine Zeit haben, kommen Sie nächsten Donnerstag um fünf Uhr.«
Er versprach es. Ihre Worte verwunderten ihn immerhin, und er wäre nun am liebsten gleich dageblieben, doch wollte er mit Hanka reden, denn der stille Mann fing an, ihm zu gefallen.
»Was machen Sie eigentlich in Wien?« fragte Hanka auf der Straße.
Mit wenigen Worten, fast mit denselben, die er neulich gegen Natalie, Petra und Hyrtl gebraucht, setzte Arnold sein Vorhaben auseinander.
Hanka machte große Augen. »Um Himmelswillen,« sagte er, »das ist doch eine Donquichoterie.«
»Was heißt das?«
»Na, wissen Sie, der Junker Don Quichote, der zog aus, um gegen Windmühlen zu kämpfen. Lesen Sie doch die famose Geschichte. Übrigens, ich will Ihnen nicht zu nahe treten.« Er sah Arnold verstohlen von der Seite an und wußte nicht, ob er ihn närrisch oder bewundernswert finden sollte.
Arnold verdroß jedoch diese Art zu reden, die ihm nun schon wohlbekannt war, und die ihm etwas Niedriges zu enthalten schien. An der nächsten Straßenecke verabschiedete er sich daher kurz und brüsk.
Hanka spazierte nachdenklich nach Hause. Beate lag auf einem Langstuhl und blickte regungslos an die Decke.
»Schläfst du, Beate?« fragte Hanka väterlich.
Sie verdrehte die Augen und erwiderte, mit den Füßen unter dem Kleid strampelnd: »Ich langweile mich, ich langweile mich.«
Hanka schwieg betroffen. Beate erhob sich, reckte gähnend die Arme und hielt sie dann vor sich, wie zu einer nachlässigen Umarmung. Auf den ruhigen Vorschlag Hankas, mit ihm eine Spazierfahrt zu machen, kleidete sie sich um und saß bald darauf mit festlichem Gesicht an seiner Seite im Wagen. Er sollte ihr erzählen, und berichtete von Natalie. Während er umständlich und etwas grübelnd seine Gedanken ausdrückte, verschlang Beate mit den Blicken die Leute der Straße und bemerkte nicht, daß Hanka mit spöttischem Schmunzeln abbrach. Sie ist jung, lebendig und hungrig, sagte er sich, legte ein Bein über das andere und blies den Rauch seiner Zigarre mit der Versöhnlichkeit eines alten Landpfarrers in die frische Frühlingsluft. Beate schmiegte sich näher an ihn, als läge ihr daran, sich dankbar zu erweisen und sann in unergründlicher Schlauheit nach Mitteln, um Versprechungen zu erhalten. Aber was sie begehrte, war formlos, denn sie hatte mehr Wünsche als Gedanken. Alle Wege ihrer Phantasie waren mit Begierden belagert, deren Schatten ihr Gesicht selbst im Schlaf überzogen. Um Beschäftigung zu haben, spann sie Ränke gegen die Dienstboten, schrieb sie Briefe an eingebildete Personen, erzählte sie erfundene Träume, streute sie Verleumdungen über Personen aus, mit denen sie kaum gesprochen hatte. Es kam heraus, daß sie im Gartenhäuschen eine Katze an den Beinen aufgehängt hatte. Hanka machte ihr Vorwürfe. Während er dann ein Buch nahm und zu lesen begann, umarmte sie ihn und biß ihn ins Ohr. Hanka riß die Augen auf, ertappte ihren von Ungeduld, ja von Haß glühenden Blick und starrte sie sprachlos an. Sie wurde finster und nahm eine Moden-Zeitschrift, in der sie wahllos blätterte. Sich ein Bild des Mannes zu entwerfen, mit dem sie lebte, lag ihr fern. Ihr war alles in solcher Nähe, daß ihr Geist nicht zum Schauen, sondern nur zum Betasten kam. Sie wollte Leidenschaften um sich sehen.
Hanka freilich fühlte sich als den Herrn. Anders zu leben war ihm nicht möglich. Glücklich sein hieß für ihn, unabhängig sein und jeden Zustand des Behagens mit freiem Urteil abmessen zu können. Da er so nach Sicherheit im Innern strebte, gab er nach außen Verläßlichkeit, eine Eigenschaft, worauf die Unverläßlichsten am meisten bauen und die sie am schnellsten entdecken.
In der Nacht konnte Hanka nicht schlafen. Er drehte die elektrische Lampe auf und versuchte zu lesen. Aber die Worte entglitten ihm. Dann stützte er sich auf den Arm und betrachtete Beates Gesicht. Es erschien ihm so fremd in seinem Schlaf, daß er einen leichten Schrecken verspürte. Die krampfhaft verschlossenen Lider ließen die dunkeln Streifen der Wimpern kaum bemerkbar erzittern. Die gewölbte Stirn war feucht, die weißen Schläfen bebten unter dem Lauf des Blutes. Die Lippen bewegten sich in unhörbaren Worten, welche vielleicht den Zügen ihren verschlossenen und rohen Ausdruck gaben. Hanka berührte ihre Schulter, um sie von dem quälenden Schlaf zu befreien. Kaum war sie erwacht und hatte ihn mit einem feuchten Blick angesehen, als sie ihre Arme um ihn preßte und ihren Körper fest an ihn schmiegte. »Ach Alexander,« flüsterte sie mit gebrochener Stimme, »du mußt mir etwas kaufen. Willst du?«
Sie wünschte sich eine Perlen-Halskette, die sie bei einem Juwelier gesehen. »Nie wieder will ich etwas, wenn du mir den Schmuck kaufst«, sagte sie.
Hanka versprach es. Aber darauf schwieg er bedachtsam. Unzufriedenheit entstand in ihm. Gründe der Leidenschaft konnten ihn nachgiebig stimmen, aber sie sickerten durch bis in seine Vernunft, wo eine ernsthafte Prüfung ihrer harrte. Dennoch schloß er Beate in alle Betrachtungen als das wertvollste Besitztum seines Lebens. Er sah in ihr das reine Kind, das sich ihm aufbewahrt. Daß er selbst es gewesen, der in einer Handlung von dunkler Kraft schon so frühe ihre Zukunft mit der seinen verknüpft, das erschien ihm als ein besonders trostvoller Wink des Schicksals.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Als Arnold am folgenden Nachmittag in das Speisezimmer trat, waren Hyrtl und Pottgießer bei Anna Borromeo.
Kurz darauf wurde Frau Borromeo aus dem Zimmer gerufen. Ein Börsen-Agent war draußen, der sie zu sprechen wünschte. Pottgießer sprach von einer großen Gesellschaft, die demnächst in seinem Hause stattfinden sollte und lud Arnold ein.
Anna Borromeo kam zurück. Sie war sehr bleich, sagte aber mit heuchlerischer Lebhaftigkeit: »Ich höre eben, daß es im Parlament morgen eine Interpellation über den Fall Elasser gibt. Das ist doch was für dich, Arnold.«
»Ich weiß es«, erwiderte Arnold. »Ich habe den Abgeordneten unseres Bezirks dazu veranlaßt.«
Hyrtl und Pottgießer sahen ihn mit sonderbaren Blicken an.
»Da können Sie einen netten Skandal erleben«, bemerkte Pottgießer, indem sich sein Gesicht verfinsterte. »Wozu mischen Sie sich eigentlich da hinein?« wandte er sich an Arnold. »Die Juden sollen ihre Geschäfte selber austragen.«
»Sie sind doch auch ein Jude,« entgegnete Arnold verwundert und maß ihn von oben bis unten. »Gestern erst hat mir’s jemand erzählt, zufällig.«
Anna Borromeo war sichtlich erschrocken, Hyrtl spitzte moquant die Lippen.
»Ich war ein Jude,« versetzte Pottgießer scharf, »und ich hatte innerlich nie etwas mit Juden gemein. Aber lassen wir das.« Er lachte halb spöttisch, halb verlegen.
Hyrtl verabschiedete sich. Da Arnold sich ebenfalls erhoben hatte und in der Nähe der Türe stand, drückte ihm Hyrtl mit befremdlicher Herzlichkeit die Hand und sagte: »Kommen Sie doch einmal auf eine Stunde zu mir. Ich langweile mich so.« Nichts konnte ehrlicher klingen als diese wenigen Worte. Arnold schaute ihn groß an und lächelte freundschaftlich. Er versprach, zu kommen.
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