Jetzt begann jene Epoche der Reaktion und der Rückkehr zu den alten Ideen, die die Mailänder ›i tredici mesi‹, die dreizehn Monate, nannten, weil es ihr guter Stern in der Tat wollte, daß diese Rückkehr zur Dummheit nur dreizehn Monate, das heißt bis zur Schlacht von Marengo, währen sollte. Alles, was alt, mürrisch und bigott war, gelangte von neuem ans Ruder und übernahm wieder die Führung der Gesellschaft. Bald darauf verkündeten die Anhänger des alten Kurses in den Dörfern, daß Bonaparte in Ägypten von den Mamelucken wohlverdientermaßen gehängt worden sei.
Unter den Männern, die sich bisher grollend auf ihren Gütern vergraben hatten und nun rachedurstig wieder zum Vorschein kamen, war der Marchese del Dongo einer der grimmigsten, und es war natürlich, daß ihn sein Übereifer an die Spitze der Partei stellte. Diese Herren, aller Ehren werte Leute, sobald sie keine Angst hatten, die aber eigentlich immer zitterten, scharten sich um den österreichischen General. Der, ein gutmütiger Mensch, ließ sich einreden, daß unerbittliche Strenge eine politische Notwendigkeit sei, und infolgedessen wurden einhundertfünfzig Patrioten eingekerkert, die besten Männer, die Italien damals hatte.
Man schleppte sie nach der Bucht von Cattaro, wo die feuchte, dumpfe Kerkerluft und die kärgliche Kost einen gerechten und raschen Strafvollzug an diesen Bösewichten ausübten.
Der Marchese del Dongo erhielt einen hohen Posten, und da sich seinen vielen anderen Vorzügen auch scheußlicher Geiz gesellte, so rühmte er sich öffentlich, daß er seiner Schwester, der Contessa di Pietranera, nicht einen Taler schicke. Immer noch närrisch verliebt in ihren Mann, wollte sie ihn nicht verlassen und zog es vor, in Frankreich mit ihm zu hungern. Die gute Marchesa war verzweifelt; schließlich gelang es ihr, ein paar kleine Diamanten aus ihrem Schmuck beiseite zu bringen, den ihr Gatte allabendlich in Verwahrung nahm und unter seinem Bett in einem eisernen Kasten verschloß. Sie hatte ihrem Mann eine Mitgift von achthunderttausend Franken zugebracht, erhielt aber monatlich nur achtzig Franken für ihre persönlichen Bedürfnisse. Während der dreizehn Monate, da die Franzosen nicht in Mailand waren, fand diese furchtsame Frau allerlei Vorwände, immer in schwarzen Kleidern zu erscheinen.
Wir müssen eingestehen, daß wir – nach dem Beispiel manches werten Autoren – die Geschichte unseres Helden ein Jahr vor seiner Geburt begonnen haben. Diese Hauptperson ist niemand anderes als Fabrizzio Valserra, Marchesino del Dongo. Er geruhte just zur Welt zu kommen, als die Franzosen aus Mailand verjagt wurden. Der Zufall der Geburt machte ihn zum Zweitgeborenen des Marchese del Dongo, jenes großen Herrn, dessen blasses gedunsenes Gesicht, dessen falsches Lächeln und dessen grenzenlosen Haß gegen die neuen Ideen wir bereits kennen. Das ganze Vermögen des Hauses fiel dereinst dem älteren Sohne, Ascanio del Dongo, zu, dem würdigen Ebenbilde seines Vaters. Er war acht und Fabrizzio zwei Jahre alt, als der General Bonaparte, den alle Wohlgesinnten längst gehängt wähnten, plötzlich vom Sankt Bernhard herabstieg und in Mailand einrückte. Dieser Augenblick ist in der Geschichte ohnegleichen. Man denke sich ein ganzes Volk toll verliebt. Wenige Tage danach gewann Napoleon die Schlacht von Marengo. Alles übrige ist unnötig zu erzählen. Der Freudenrausch der Mailänder hatte keine Grenzen; nur war er diesmal mit Rachegedanken untermischt: man hatte das gutmütige Volk hassen gelehrt. Bald sah man die eingekerkerten Patrioten, soweit sie noch am Leben waren, von den Bocche di Cattaro wiederkehren; ihre Befreiung ward durch ein Nationalfest gefeiert. Ihre abgezehrten, bleichen Gesichter, ihre erstaunten Blicke, ihre abgemagerten Glieder stachen gegen die überall ausbrechende Freude seltsam ab. Ihre Rückkehr war für die am meisten bloßgestellten Familien das Zeichen zur Abreise. Der Marchese del Dongo zog sich als einer der ersten nach seinem Schloß Grianta zurück. Die Familienoberhäupter waren von Furcht und Haß erfüllt; nicht so ihre Frauen und Töchter, die sich mit Freuden an die erste Anwesenheit der Franzosen erinnerten und sich nach Mailand und den fröhlichen Bällen sehnten, die nach dem Tage von Marengo in der Casa Tanzi von neuem begannen. Sehr bald bemerkte der französische General, der beauftragt war, die Ruhe in der Lombardei aufrecht zu erhalten, daß alle Pächter der Güter der Adligen und alle alten Frauen auf dem Lande keineswegs mehr an den erstaunlichen Sieg von Marengo dachten, der das Geschick Italiens gewendet und dreizehn feste Plätze an einem Tage wiedererobert hatte, sondern die Köpfe voll hatten von einer Prophezeiung des heiligen Giovita, des obersten Schutzpatrons von Brescia. Nach diesem heiligen Orakel sollte das Glück der Franzosen und Napoleons ausgerechnet dreizehn Wochen nach Marengo ein Ende nehmen. Zur gewissen Entschuldigung des Marchese del Dongo und der übrigen grollenden Edelleute sei gesagt, daß sie ernstlich und ohne Narrenspossen an diese Voraussage glaubten. All diese Leute hatten in ihrem Leben keine vier Bücher gelesen. Sie trafen offenkundig ihre Vorbereitungen, nach den dreizehn Wochen wieder nach Mailand zurückzukehren. Aber während die Zeit verstrich, verzeichnete Frankreichs Sache neue Erfolge. Wieder in Paris, rettete Napoleon durch weise Erlasse die Republik im Innern, wie er sie bei Marengo nach außen gerettet hatte. Nun entdeckten die edlen, in ihren Schlössern harrenden Lombarden, daß sie das Wort des heiligen Schutzherrn von Brescia zuerst falsch verstanden hätten: es handle sich nicht um dreizehn Wochen, sondern offenbar um dreizehn Monate. Die dreizehn Monate gingen dahin, und das Glück der Franzosen wuchs sichtlich von Tag zu Tag weiter.
Wir gehen über zehn Jahre des Fortschritts und des Glückes hinweg, von 1800 bis 1810. Fabrizzio verbrachte davon die ersten im Schloß Grianta, prügelte sich mit den Bauernjungen des Dorfes und lernte nichts, nicht einmal lesen. Später schickte man ihn auf die Jesuitenschule nach Mailand. Der Marchese, sein Vater, verlangte, daß man ihm Latein beibrächte, doch nicht nach den alten Schriftstellern, die immer von Republiken reden, sondern nach einem prächtigen, mit mehr als hundert Kupferstichen geschmückten Folianten, einem Werk von Meistern des Secento. Es war die lateinische Familiengeschichte des Hauses derer von Valserra, Marchesi del Dongo, herausgegeben Anno 1650 von Fabrizzio del Dongo, Erzbischof von Parma. Da die Valserras ihr Glück vornehmlich im Waffenhandwerk gemacht hatten, so stellten die Stiche in der Hauptsache Schlachten dar, und auf jedem sah man einen Helden dieses Namens, der mächtige Säbelhiebe austeilte. Das Buch gefiel dem jungen Fabrizzio ungemein. Seine Mutter, die ihn vergötterte, durfte ihn von Zeit zu Zeit in Mailand besuchen; aber da ihr Gatte ihr niemals Geld zu diesen Reisen gab, war es ihre Schwägerin, die liebenswürdige Contessa Pietranera, die ihr das Nötige borgte. Nach der Wiederkehr der Franzosen war jene eine der glänzendsten Frauen am Hofe des Fürsten Eugen, des Vizekönigs von Italien.
Als Fabrizzio gefirmelt war, erhielt die Contessa von dem noch immer in freiwilliger Verbannung lebenden Marchese die Erlaubnis, ihn ab und zu aus seiner Schule zu sich kommen zu lassen. Sie fand, er sei eigenartig, geweckt, sehr ernst, aber ein netter Junge, der dem Salon einer Modedame keineswegs zur Unzierde gereiche, im übrigen drollig unwissend, ja kaum des Schreibens kundig. Die Contessa, die ihren Feuergeist in keiner Sache verleugnete, versprach dem Schulvorstand ihre Gönnerschaft, falls ihr Neffe Fabrizzio bemerkenswerte Fortschritte mache und am Jahresschluß recht viele Preise bekäme. Das Erreichen dieser Ziele förderte sie damit, daß sie den Jungen alle Sonnabende abends abholen ließ und ihn oft erst am Mittwoch oder Donnerstag darauf zu seinen Lehrern zurückschickte. Die Jesuiten waren, trotz der zärtlichen Vorliebe des Vizekönigs für sie, nach den Gesetzen des Königreichs aus Italien verwiesen, und der Superior der Schule, ein gewandter Mann, wußte genau, welchen Vorteil er aus den Beziehungen zu einer am Hofe allmächtigen Frau ziehen konnte. Er hütete sich, über Fabrizzios Ausbleiben Klage zu führen, der, unwissender denn je, am Ende des Jahres fünf erste Preise erhielt. Infolgedessen wohnte die glänzende Contessa di Pietranera mit ihrem Gatten, jetzt Generalleutnant und Kommandeur einer Gardedivision, nebst fünf oder sechs der höchsten Persönlichkeiten vom Hofe des Vizekönigs der Preisverteilung bei den Jesuiten bei. Der Superior wurde von seinen Vorgesetzten beglückwünscht.
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