Man hatte Sanitätsrat Fahle auf Grund der bekannten Rassengesetze seines Postens im städtischen Krankenhaus enthoben und nach einer gewissen Zeit nur das Praktizieren unter seinen Rassegenossen erlaubt. Dann aber ging es um sein Röntgeninstitut, dessen Leitung er nach wie vor behalten hatte. Zunächst entließ man seine beiden Assistenten, Juden, sehr tüchtige Leute, und ersetzte sie durch neue; schließlich wurde auch ein neuer Direktor für das Institut ernannt. Vor wenigen Wochen nun hatte ihm der neue Direktor das Betreten des Instituts verboten. Es war letzten Endes Fahles Institut, das er aus eigenen Mitteln aufgebaut und unterhalten hatte, eine Menge seltener Apparate waren sogar seine eigene Erfindung. Der neue Direktor aber erklärte ihm, dass das kostbare Institut mit seinen unersetzbaren Einrichtungen unter gar keinen Umständen der Gefahr der Sabotage ausgesetzt werden dürfe.
Fabian sank in seinen Sessel zurück. «Gefahr der Sabotage». rief er empört aus. «Ja». Sanitätsrat Fahle nickte. Sein Gesicht verschwamm vor Fabians Augen. Er sah nur noch seine großen dunklen Augen, die von Gram erfüllt waren, und die buschigen dunklen Brauen darüber.
Nach einer Weile fand Fabian seine Fassung wieder. «Unmöglich». rief er. «Das ist ja der Gipfel der Schamlosigkeit, mein verehrter Herr Sanitätsrat». Er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. «Gewiss, ja, ganz sicher handelt es sich um den Willkürakt eines untergeordneten Beamte», sagte er endlich. «Ich werde jedenfalls sofort, morgen vormittag, mit dem Direktor des Krankenhauses Rücksprache nehmen, Doktor Franke ist mir ja gut bekannt».
Fahle lächelte bitter. «Doktor Franke». entgegnete er. «Doktor Franke werden Sie nicht mehr antreffen. Er wurde schon vor Monaten entlassen».
Voller Erstaunen blickte Fabian auf ihn. «Ich kannte Doktor Franke sehr gu», rief er aus, «er war ein selten gütiger und begabter Mann. Sie wissen nicht, aus welchem Grunde man ihn entließ».
Fahle nickte. «Doch, ich weiß es, wie alle Welt es wei», erwiderte er mit müder Stimme. «Es schwebte lange Zeit eine Untersuchung gegen ihn, dann griff der Staatsanwalt ein. Eine frühere Krankenschwester hat Anklage gegen Doktor Franke erhoben, vor fünf Jahren einen unerlaubten Eingriff an ihr ausgeführt zu haben». «Dann muss ja wohl der Eingriff mit ihrem Einverständnis erfolgt sein». «Auf ihren Wunsch sogar. Sie war damals erst siebzehn Jahre alt. Nun, man wollte Doktor Franke vernichten, und man hat ihn vernichtet. Die Krankenschwester dagegen, die der Partei angehört, wurde freigesprochen und bekam einen auskömmlichen Posten». Fahle lachte kurz auf.
Fabian schwieg und blickte in den Park hinaus, ohne das Geringste zu sehen.
«Der Leiter des Krankenhauses ist heute ein Doktor Sandkuhl, noch sehr jung und völlig unnahba», fuhr Fahle nach heftigem Husten fort. «Es dürfte schwer sein, ihn zu einer Änderung der neuen Bestimmungen über das Institut zu bewegen, die wahrscheinlich von ihm selbst ausgehen»..
Das Institut sei zu gemeinnützigen Zwecken beschlagnahmt worden, begann Fahle nach kurzem Schweigen, während Fabian mit unruhiger Miene seinen Gedanken nachging und kaum zuzuhören schien. Es diente ja immer schon gemeinnützigen Zwecken, zwanzig Jahre lang, wenn es auch nebenbei der reinen Forschung gewidmet war. Fahle hatte ohnedies die Absicht gehabt, das Institut bei seinem Tode der Stadt zu vermachen.
«Seit Wochen indessen beschäftigt mich eine eigenartige Ide», sprach Fahle weiter, und Fabian wachte aus seinen Gedanken auf, und seinen Augen war es anzusehen, dass er wieder zuhörte, «eine eigenartige Idee, die ich aber nur mit meinen neuesten Apparaten im Institut nachprüfen kann, verstehen Sie? Es ist eine Idee von großer Tragweite. Ich müsste zu diesem Zweck zuweilen im Institut arbeiten, vielleicht an den Sonntagen, wo kein Mensch im Institut ist. Das würde gewiss nicht stören. Es wäre also nichts anderes zu tun, als mir bei Doktor Sandkuhl diese Erlaubnis zu erwirken. Glauben Sie, dass Sie diese Sache in die Wege leiten [44] etw. in die Wege leiten – налаживать, устраивать
können? Das war die Bitte, weshalb ich Sie zu mir bat».
Fabian erhob sich, und seine Miene zeigte einen entschlossenen Ausdruck. «Ich glaube bestimmt, dass es nicht allzuschwer sein wird. Jedenfalls will ich alles, was in meiner Macht steht, versuche», versicherte er. «Man wird doch schließlich eine politische Schrulle für einen Augenblick vergessen können, wenn es sich um eine wissenschaftliche Forschung handelt».
«Danke, lieber Freund». Fahle griff nach Fabians Hand. Mit einem bitteren Lächeln fügte er hinzu: «Vor einigen Jahren hat mir die Universität Cambridge einen Lehrstuhl angeboten. Leider habe ich das Angebot ausgeschlagen. Unser Freund Krüger wollte mich auf keinen Fall gehen lassen und schwor mir, sich zu jeder Zeit wie ein Erzengel schützend vor mich stellen zu wollen, wenn es einmal nötig sein sollte. Wie ein Erzengel! Und heute muss ich darum betteln, einige Stunden in meinem Institut arbeiten zu dürfen».
Er brach ab. Wieder war es Marion, die eintrat. Sie entschuldigte sich, es fange an, kühl zu werden, und sie müsse die Herren bitten, sofort ins Haus zu kommen. Dann wandte sie sich an Fabian: «Ich hoffe, Sie machen uns die große Freude, mit uns zu Abend zu speisen». fragte sie.
Fabian bedauerte. Er habe halb und halb seinem Bruder den heutigen Abend versprochen.
«Halb und halb». rief Marion lachend, während sie ans Telefon eilte. Sofort führte sie ein heiteres Telefongespräch mit Wolfgang, den sie ebenfalls zum Essen einlud. Aber Wolfgang konnte nicht, er konnte auch heute nicht in den «Ster». kommen zu seinem Bruder, eine plötzliche Arbeitswut hatte ihn befallen.
Im Augenblick war alles in Ordnung gebracht. «Nun gibt es kein Hindernis meh», rief sie Fabian triumphierend zu, während sie dem Vater behilflich war, sich vom Diwan zu erheben. «Übrigens werden auch Frau Lerche-Schellhammer und Christa zu Tisch sein. Die Damen nehmen Sie sicher gern in ihrem Wagen mit zur Stadt zurück».
Christa? Fabian sah ihr mildes Lächeln vor sich, als er ihren Namen hörte. Er freute sich, sie überraschend wiederzusehen.
Fabian war aufrichtig entschlossen, sich der Sache Fahles anzunehmen. Er fand es empörend, dass man einen Gelehrten von Fahles internationaler Bedeutung so herabwürdigend und schamlos behandelte.
Es handelt sich in erster Linie darum, an den neuen Direktor des Krankenhauses, diesen Doktor Sandkuhl, heranzukommen, und der aussichtsreichste Weg schien ihm über Justizrat Schwabach zu führen, der eine maßgebende Rolle in der Partei spielte. Schwabach war Vorsitzender in der Anwaltskammer der Stadt und vertrat Fabian gleichzeitig in seiner Scheidungsangelegenheit. Das traf sich sehr gut, er hatte ohnehin mit ihm zu tun. Sofort vereinbarte er mit Schwabach telefonisch eine Unterredung auf den nächsten Tag. Nun erst war er beruhigt.
Justizrat Schwabachs Büroräume lagen in der Hauptgeschäftsstraße, im Hause des Juweliers Nicolai, das völlig renoviert worden war. Der Treppenaufgang machte einen wahrhaft großstädtischen Eindruck, und ebenso eindrucksvoll war das blitzende Messingschild mit der Aufschrift: Edler von Schwabach.
Fabian lächelte. Edler von Schwabach! Das hörte sich gut an und war in diesen Tagen nicht mit Gold zu bezahlen. Dieser Schwabach gehört zu den Menschen, bei denen alles zum Guten ausschlägt [45] zum Guten ausschlagen – благополучно кончаться, оборачиваться добром
, dachte er. Schwabach hatte wie alle Anwälte eine Reihe von Urkunden vorlegen müssen, um seine arische Abkunft zu beweisen. In seiner Heimat, einem kleinen Dorf in Württemberg, hatte er erfahren, dass er einer alten adligen Familie entstammte. Als Bürgerlicher fuhr er hin, als Adliger kam er zurück. Seine Briefbogen trugen jetzt ein Wappen: ein Vogel, der einen Fisch im Schnabel hält.
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