1 ...8 9 10 12 13 14 ...29 Sobald er nur die Brauen hochzog, richtete sie sich im Sessel auf und rief: «Nun, habe ich recht». «Er muss ja den Brief erst lese», warf Christa ein.
Fabian nickte nachdenklich. «Es scheint, dass Sie recht behalten, gnädige Fra», erwiderte er.
Frau Beate stieß eine mächtige Rauchwolke zur Decke empor und lachte wütend. «Natürlich kann ich meine edlen Brüder recht gut verstehe», begann sie von neuem. «Nützen kann ich ihnen nichts mehr, und schaden kann ich ihnen noch weniger. Was für ein Interesse sollten sie also an mir haben? Ich bin nicht in der Lage, ihnen den Ehrendoktor zu verleihen oder glänzende Orden, wie ihre Weiber sie lieben, oder haushohe Titel, vor denen ihre Dienstboten herumkriechen. Ich verstehe ja, dass ihnen ihre Weiber näherstehen als ihre Schwester».
Das Mädchen brachte den Tee, und sie brach ab. Christa half, den Tisch zurechtzumachen.
Fabian las den Brief zu Ende und versuchte sich nochmals, die Rechtslage vorzustellen.
Die Schellhammerschen Werke repräsentieren heute einen bedeutenden Wert, den man auf mehrere Millionen schätzte. Im Weltkrieg hatte der alte Schellhammer die erste große Halle gebaut, heute waren es zehn riesenhafte Anlagen. Erst heute hatte er sie im Vorbeigehen bewundert. In erster Linie fabrizierten die Werke schwere Lastwagen, Autobusse und Schlepper, erst in den letzten Jahren produzierten sie auch landwirtschaftliche Maschinen. Der alte Schellhammer hatte die Werke seinen Kindern hinterlassen, zwei Söhnen und einer Tochter. Von den Söhnen leitete der ältere, Otto, den kaufmännischen Teil, während der jüngere, Hugo, der als Ingenieur einen ziemlichen Ruf genoss, die technische Leitung übernahm. Die einzige Tochter war Frau Beate Lerche-Schellhammer.
Fabian stand Frau Beate seit Jahren als Anwalt zur Seite. Sie hatte sich wiederholt über die Bezüge beklagt, die ihr die Brüder zubilligten. Mehrmals stand man vor einem Prozess. Schließlich hatte aber immer die Rücksichtnahme der Brüder, die Fabian als großzügige Menschen kannte, die Oberhand gewonnen [36] die Oberhand gewinnen – ваять верх, превзойти
. Auch in dem heutigen Schreiben deutete eine Wendung auf die Bereitwilligkeit der Brüder hin, einen Weg der Verständigung zu suchen, die für beide Teile tragbar wäre.
Als das Mädchen aus dem Zimmer schlüpfte, erhob sich Fabian, um den Brief auf den Tisch zu legen.
«Es kann gar kein Zweifel mehr bestehen, gnädige Fra», sagte er, «der Wunsch Ihrer Brüder, dass Sie aus der Firma ausscheiden, könnte kaum unverhüllter ausgedrückt werden». Frau Beate fuhr auf, und abermals färbte der Zorn ihre Wangen dunkelrot. Sie zerdrückte die schwarze Zigarre in einer Aschenschale. «Nicht unverhüllter, wahr, wahr». rief sie mit erregter Stimme aus. «Aber können Sie mir den Grund angeben? Was hat all das zu bedeuten».
Fabian zuckte die Achseln. «Wir werden erst Klarheit gewinnen müssen».
«Ich bitte dich, Mama, rege dich nicht von neuem auf». bat Christa.
«Ich rege mich nicht im geringsten au», beruhigte sie Frau Beate. «Ich will nur wissen, was das bedeutet». Sie schlug heftig auf die Lehne des Sessels. «Was ist plötzlich in meine edlen Brüder gefahren? Ein kleines Gläschen». Frau Beate goß sich aus der Karaffe Kognak ein.
«Ihre Brüder schreibe», erläuterte Fabian, «dass wir lebhaften Zeiten entgegengehen, die oft blitzschnelle Entscheidungen fordern werden. Das könnte immerhin manches andeuten».
Frau Beate schüttelte den Kopf. «Ich kenne doch meine Brüde», sagte sie. «Es müssen besondere Ereignisse eingetreten sein». Sie begann nachdenklich durch das Zimmer zu gehen. «Besondere Ereignisse». wiederholte sie zuweilen.
«Der Brief scheint mir sogar eine schlecht verborgene Dringlichkeit zu verrate», warf Fabian ein.
«Nicht wahr». Frau Beate blickte Fabian ins Gesicht, und zum erstenmal sah er die feinen Linien, die ihren Mund umgaben. «Sie scheinen es eilig zu haben, die beiden Räuber. Um so unerklärlicher erscheint mir die ganze Geschichte». Sie nahm eine neue Zigarre aus der Schachtel und steckte sie in Brand. «Oh, ich werde euch schon auf die Schliche kommen [37] j-m auf die Schliche kommen – раскусить кого-л., напасть на след
, ihr Spitzbuben». rief sie aus, während sie sich in einem Sessel am Teetisch niederließ. Sie schwieg nachdenklich, dann stieß sie eine mächtige Rauchwolke in die Luft. «Und doch fällt es mir schwer, zu denken, dass die beiden Spitzbuben aus reiner Gewinnsucht handel», sagte sie mehr zu sich selbst. «Aber schließlich wäre auch das möglich, warum nicht? Vielleicht ließen sie sich von ihren Weibern aufputschen, die noch nicht reich genug sind». Frau Beate brach in lautes Gelächter aus, das aber gutmütig klang. Ihre verdrießliche Laun schien plötzlich vergangen zu sein, sie war fast heiter geworden. «Sie nehmen doch gewiss eine Tasse Tee mit uns, lieber Freund». wandte sie sich an Fabian, und Christa rief sie zu, sofort an den Teetisch zu kommen.
Nachdem sie sich aus der Karaffe noch zwei Kognaks eingegossen hatte, begann sie in der heitersten Laune von ihren Schwägerinnen und ihren Brüdern zu sprechen, sie schien ihren Zorn völlig vergessen zu haben.
«Was ist die Königin Viktoria gewesen gegen die beiden Durchlauchten Cäcilie und Angelika, hahaha». rief sie lachend aus.
Nein, auf ihre beiden Schwägerinnen war sie nicht gut zu sprechen, das konnte man wohl nicht sagen. Sie verachtete sie noch mehr als ihre Brüder, deren Hörigkeit und Verschwendungssucht sie mit Spott übergoß. Wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kam, konnte man sie schwer davon abbringen.
Da war zunächst Cäcilie, die Frau des Ingenieurs Hugo, nun, was war sie schon früher? Eine kleine Sängerin mit einer hohen Stimme. Über ihr Vorleben wollte sie sich nicht näher auslassen, nein, das konnte sie Christa nicht zumuten. Dann war da die Angelika von Otto, sie hieß früher Anna und war nichts als eine kleine Buchhalterin, ihr Vater war Schneider, was ja keine Schande ist. Aber heute, da spielten sich die beiden Weiber auf, als seien sie aus königlichem Geblüt, weiß Gott! Und da waren die Kinder, die drei Jungen von Hugo und die beiden Mädchen von Otto, fünf im ganzen. Aber, wie sie sich zu bemerken erlaube, alles reinste Wunderkinder! Nichts als Wunderkinder! «Sie hatten einen Schwarm von Erziehern und Lehrerinnen, Bonnen und Nurses, und das alles kostete natürlich Geld, schandhaftes Geld, und ihre Männer bezahlten es». schloss Frau Beate. «Es dürfte Sie als Anwalt interessieren, mein Freund».
«Gewiss, ich erhalte interessante Einblicke, gnädige Fra», antwortete Fabian lächelnd, obschon er nur mit halbem Ohr hinhörte, denn die meisten Geschichten kannte er schon, Christa goß ihm lächelnd eine neue Tasse Tee ein und reichte ihm Kuchen. Er streifte sie zuweilen mit dem Blick.
Ja, wie ist ihr Lächeln nur? fragte er sich wieder. Es gibt tausend Arten von Lächeln, aber das ihre bezaubert. Was lächelt eigentlich an ihr? Die Lippen, die Grübchen und Wangen, die Stirn, die Augen, was noch? Es ist wie eine geheimnisvolle Sprache, die ich nur in den Augenblicken, da ich bei ihr bin, verstehe. Jedenfalls ist es rätselhaft und unergründlich. Er bemühte sich, Christas Blick zu meiden. Ihr Lächeln scheint in die Tiefen meines Wesens einzudringen, wohin sonst nichts reicht, dachte er weiter.
Es fehlte gerade noch, dass du dich in sie verliebst, ging es ihm durch den Sinn, und er errötete. Seine Gedanken verwirrten sich, und er versuchte wiederum, Frau Beate zuzuhören.
Frau Beate war nun bei ihren Brüdern angekommen, deren verschwenderisches Leben sie verspottete. Sie sprach von ihren Autos, ihrem Park von Automobilen und den beiden protzigen Villen, die ja jedermann kannte. Ihrer Schwester aber hatten sie großmütig das altmodische Haus des Vaters überlassen! Und ihre Weiber behängten sie mit Brillanten und Perlen und Pelzen. Voriges Jahr hatten sie ein Gut in der Schweiz gekauft. «Für den Fal», sagte Frau Beate, «dass ein neuer Weltkrieg kommen sollte und ihre dicken Weiber nicht verhungerten».
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