Emily achtete auf Daniels Reaktion darauf, dass ihre Hochzeit sogar schon nächsten September stattfinden konnte. Sein Gesicht verlor alle Farbe, was wiederum Emily noch nervöser machte.
Chantelle schien die Spannung zu bemerken, denn ihr verzücktes Grinsen wich so langsam von ihrem Gesicht. Sie sah zwischen Emily und Daniel hin und her, wobei ihre Begeisterung mit jeder verstreichenden Sekunde nachließ.
„Vielleicht sollten wir erst einmal nur Ihre Karte mitnehmen“, sagte Emily zu Laura, „und einen neuen Termin ausmachen, wenn mehr Details geklärt sind.“ Dann stand sie abrupt auf.
„Oh, oh, okay“, erwiderte Laura bestürzt. In ihrer Eile, aufzustehen und Emilys Hand zu schütteln, ließ sie ihr Ringbuch fallen.
Emily schüttelte ihre Hand nur kurz, bevor sie aus dem Gebäude stürzte. Hinter ihr folgten Daniel und Chantelle ihrem Beispiel und gaben der Planerin nur kurz ihre Hand. Als Emily durch die Türen nach draußen stürmte und die Stufen hinabsprang, hörte sie, wie Daniel Laura erklärte, dass er mit ihr in Kontakt bleiben würde.
Draußen in der Kälte musste Emily ihre Tränen zurückhalten. Sie war erschüttert. Und zwar nicht nur von ihren fehlenden Plänen oder von Daniels Schweigen in den vergangenen Tagen, sondern auch von seiner Mikro-Mimik und dem, was sie daraus geschlossen hatte. Wollte Daniel sie wirklich heiraten oder war sein Antrag nichts weiter als ein impulsiver Moment, in den er sich hatte verwickeln lassen? Hatte er schon kalte Füße bei dem Gedanken, einen Termin in nicht allzu ferner Zukunft auszuwählen? Was, wenn er die feige Nummer spielte, und ihre Hochzeit jahrelang hinausschob und die Verlobung so lange wie möglich verlängerte, genau, wie Jayne es ihr gesagt hatte?
„Emily“, versuchte Daniel zu ihr durchzudringen, als er und Chantelle zu ihr traten.
Sie spürte, wie er mit seinen Fingern über ihre Hand strich, doch sie zog sich von ihm zurück, denn sie wollte nicht, dass er sie jetzt berührte.
Daniel versuchte es nicht wieder. Sie hörte ihn seufzen. Dann stiegen alle still in den Pickup-Truck.
Die Stimmung auf der Heimfahrt hätte sich nicht mehr von der auf der Hinfahrt unterscheiden können. Es schien fast so, als ob die Luft mit Unbehagen durchdrungen wäre. Plötzlich wirkte Chantelles putziges Outfit wie eine Fassade, so als ob Emily und Daniel es ihr nur angezogen hätten, um Laura den Eindruck einer glücklichen, unkomplizierten Familie zu vermitteln, obwohl die Wirklichkeit ganz anders aussah. Ihre Vergangenheiten – ihre eigene, die von Daniel und sogar die von Chantelle – verkomplizierten alles. Und das schlimmste war, dass ihre Vergangenheiten ihre Wesen, Persönlichkeiten und Fähigkeiten mit Druck und Stress umzugehen und sich in andere hineinzuversetzen verkomplizierte.
Zum gefühlt hundertsten Mal seit seinem Antrag fragte sich Emily, was wohl in Daniels Kopf vorging.
Als Emily Daniel erzählt hatte, dass sie Chantelle adoptieren wollte, hatten sie ihren Freund Richard Goldsmith, ein Sorgerechtsanwalt aus der Stadt, kontaktiert. Anschließend hatten sie sich in der Pension bei Kaffee und Kuchen mit ihm ganz informell unterhalten. Doch diesmal fand das Treffen in seinem Büro in der Stadt statt. Diesmal fühlte es sich ernst und sehr real an.
Emily strich sich ihren Rock nervös glatt, als sie und Daniel das vornehme Büro betraten, das mit seinem roten Backstein, an dem Efeu nach oben kletterte, so aussah, als käme es direkt aus einem Buch. Unwillkürlich stieg in Emily eine gewisse Furcht hoch. Was, wenn Richard schlechte Neuigkeiten hatte? Was, wenn sie niemals Chantelles echte, legale Mutter sein würde, obwohl es sich das kleine Mädchen genauso sehr wünschte wie Emily selbst?
Die Rezeptionistin, eine junge Frau mit feurig rotem Haar, hieß sie mit einem süßen, aufmunternden Lächeln willkommen.
„Mr. Goldsmith wird sofort bei Ihnen sein“, sagte sie, ohne, dass sie sich hätten vorstellen müssen. „Er ist gerade noch bei einem anderen Klienten.“
Emily rutschte nervös umher und kaute auf ihrer Lippe. Klient. Es fühlte sich seltsam an, sich selbst solch einen Namen zu geben. Doch das war sie nun einmal und das war es, was sie sein musste, um ihr Ziel zu erreichen. Das Sorgerecht für Chantelle zu erwirken bestand nicht mehr aus einer freundlichen Unterhaltung auf ihrer Veranda bei einer Tasse Kaffee. Nun würden Anwälte und Gerichte, Richter und offizielle Papiere dazugehören. Das war die Wirklichkeit und sie musste sich daran gewöhnen.
Emily riss sich zusammen. Sie konnte das schaffen. Sie musste es schaffen, denn sie liebte Chantelle viel zu sehr, als dass sie sie verlieren und unter dem Druck nachgeben könnte. Doch es gab auch noch einen anderen Teil in Emily, der immer noch mit dem katastrophalen Besuch des Hochzeitsortes und dem offensichtlichen Unwohlsein von Daniel zu kämpfen hatte, als es darum ging, sich für eine Jahreszeit zu entscheiden, in der ihre Hochzeit stattfinden sollte. Wenn er seine Meinung über diese Sache hier änderte, dann musste er den Mut haben und es ihr sagen, bevor die Dinge ernst wurden, Verträge unterschrieben waren und ihr Herz komplett investiert war. Die Worte ihrer Familie und Freunde, dass Daniel sie nur benutzte, weil er wollte, dass sie Chantelle für ihn großzog, und dass Emily es ihm zu einfach machte, hallten immer noch in ihrem Kopf wider. Sie hatte ihn auf dem Grundstück leben zu lassen, ohne Miete zu verlangen. Sie hatte sein Kind ohne Fragen bei sich aufgenommen und ihm so schnell für diese langen sechs Wochen vergeben, in denen er sein Kind über sie gestellt hatte. Doch was die anderen nicht akzeptieren oder verstehen konnten, war die Tatsache, dass all diese Dinge ihre Liebe zu ihm noch verstärkt hatten: sein Einfallsreichtum und seine Beharrlichkeit in den Jahren, die er in dem Kutscherhaus gelebt hatte; die Fürsorge und Pflege, die er dem Grundstück in den Jahrzehnten entgegen gebracht hatte, in denen es leer gestanden war; dass er das Grundstück am Leben gehalten hatte, falls Roy Mitchell wiederkam; die Tatsache, dass er sich für Chantelle ohne zu fragen einsetzte…mit alldem zeigte er, dass er ein echter Mann war, jemand, der nicht vor seiner Verantwortung zurückschreckte, und der das Wohl seines Kindes über sein eigenes stellte.
Plötzlich schwang die Tür zu Richards Büro auf, was Emily aus den Gedanken riss, die sie so sehr eingenommen hatten. Richard stand im Türrahmen, während eine zierliche, blonde Frau in ein Taschentuch schniefte. Sie erinnerte Emily sofort an Sheila und auf einmal brachen Schuldgefühle über sie herein.
Emily konnte Richards geflüsterte Worte nicht verstehen, doch sie vernahm seinen beruhigenden Ton. Dann verabschiedete er sich von der Frau, die sich an ihnen vorbeischob und hastig zur Tür hinaus verschwand.
Sobald sie davongegangen war, wandte sich Richard an Emily und Daniel. „Bitte, kommt herein.“
„Geht es ihr gut?“, fragte Emily, während sie ihm in sein Büro folgten.
Sie sorgte sich um die Frau, die er gerade hinausbegleitet hatte, aber gleichzeitig hatten ihre Tränen auch Emilys Neugier geweckt. Vielleicht stand sie kurz davor, einen ähnlichen Rechtsstreit zu beginnen wie sie und Daniel, oder vielleicht gehörte sie zur Gegenseite und ihr wurde gerade das Sorgerecht entzogen. War das fair? Hatte sie etwas getan, wie beispielsweise Drogen genommen oder ihr Kind vernachlässigt, um so etwas zu verdienen? Gab es überhaupt jemanden, der so etwas verdiente?
Doch dann kam ihr Chantelle wieder in den Sinn. Nein, es war nicht fair. Aber hier ging es nicht darum, ob etwas fair war, sondern darum, ob es richtig war.
„Ich kann leider nicht darüber sprechen“, antwortete Richard, womit er Emilys wilden Gedankengängen ein Ende setzte. Dann ließ er sich auf seinem großen Ledersessel nieder und rückte die Hosenbeine seines eleganten, grauen Anzugs zurecht. „Ich habe all meinen Klienten gegenüber die gleiche Verschwiegenheitspflicht. Ich hoffe, du verstehst das.“
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