„Treffer versenkt, Evans. Er wird sicher begeistert sein, wenn er hört, in welchem Bett du dich gestern vergnügt hast. Die Suppe versalz ich dir.“ Er drehte sich um und lief auf die Gruppe zu, während Whitefield in seinem Büro verschwand.
Es dauerte keine Minute, bis Hank ihr wieder entgegenkam. Ohne ein weiteres Wort ging er an ihr vorbei; seine Miene verriet ihr, dass er anscheinend nicht den gewünschten Erfolg gehabt hatte.
Beverly saß entspannt neben Sands im Wagen. Sie hatten London hinter sich gelassen und fuhren über die M1 in Richtung Northampton. Besser hatte sie es eigentlich nicht treffen können. Vermutlich würde Fleming enttäuscht sein, wenn er mitbekam, dass sie nach Coventry unterwegs war. Insgeheim wünschte sie sich, er würde eifersüchtig sein, wenn er hörte, mit wem sie dorthin fuhr. Hank würde sicher dafür sorgen, dass er es brühwarm erfuhr. „Was hat Miller eigentlich von dir gewollt, Harold?“
Er seufzte. „Die üblichen geistlosen Sprüche über dich und unsere angebliche Affäre.“
„Was hat er gesagt?“
„Mm.“
„Ich will das jetzt wissen, Harold!“
„Er wäre um meine Gesundheit besorgt.“
„Er meinte doch wohl nicht...“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende, Empörung stieg in ihr auf.
„Du solltest nichts auf Millers Geschwätz geben.“ „ … dass ich was Ansteckendes habe“, vervollständigte sie den Satz.
Inspektor Sands schwieg.
„Herrje! Sonst noch was?“
„Die Sache mit Fleming.“
„Wenn es nicht eine abgrundtiefe Gemeinheit wäre, solche Gerüchte in die Welt zu setzen, dann würde ich über diesen Blödsinn lachen. Er geht zu weit. Ich war gestern mit Fleming essen, mehr nicht.“ Sie beobachtete Harold von der Seite und wartete auf eine Reaktion.
Er blickte kurz zu ihr herüber und lächelte. „Ich habe ihm gesagt, dass seine Sprüche nichts an unseren Plänen ändern würden.“
Es war Mittag, als sie in Coventry ankamen. Sonnenstrahlen drängten sich durch die zerrissenen Wolken, es war kalt. Das Hotel lag an der Warwick Road. Die Außenwände waren von den tagtäglichen Abgaswolken geschwärzt, und als wollte dieses Gebäude seiner äußeren Gestalt trotzen, war es innen frisch renoviert, hell und modern. Der Eingangsbereich mit der Rezeption mündete rechts in eine Nische, die den Eingang zu einem Restaurant beherbergte. Neben dieser Nische führte ein Torbogen zu einer Bar. Links der Rezeption gab es ein Foyer, das mit hellen Korbmöbeln ausgestattet war. Drucke moderner Maler hingen an den hohen Wänden und brachten Farbe an die cremegestrichenen Wände. An der hinteren Seite dieses Raumes führte die Treppe mit einer engen Biegung nach oben, daneben waren die Aufzüge. Ihre Zimmer lagen im zweiten Stock. Beverly war mit der Ausstattung ihres Zimmers mehr als zufrieden. So komfortabel war sie auf einer Dienstreise noch nie untergebracht gewesen. Whitefield würde sich über die Spesenabrechnung freuen.
Beverly machte sich frisch. Danach aß sie gemeinsam mit Sands eine Kleinigkeit im Hotelrestaurant. Als sie aufbrachen war es windig. Sie fuhren die Little Park Street in nördlicher Richtung entlang, an der berühmten Kathedrale vorbei, und bogen in die Fairfax Street ein. Über die Primrose Hill Street verließen sie das Zentrum und fuhren bis an den Stadtrand, in die Greenwood Street, in der Maggie Hunter bis zu ihrem Tod gelebt hatte. Maggies Haus war das letzte von acht kleinen Häusern in der Straße. Obwohl alle die gleiche Bauweise und ein wahrscheinlich beträchtliches Alter aufwiesen, wirkten sie völlig unterschiedlich. Einige waren in gepflegtem, offensichtlich restauriertem Zustand, einige waren baufällig. Maggies Haus war augenscheinlich seit ihrem Tod unbewohnt und in schlechtem Zustand. Das rostige Gartentor war durch eine Vorhangkette gesichert, wohl um Kinder von dem Grundstück fern zu halten. Hinter dem löchrigen Zaun ein verwilderter Vorgarten, die Fenster im Erdgeschoss mit Brettern vernagelt, die Fensterscheiben im Giebel zerbrochen, das Dach voller Löcher. Das Nachbarhaus mit den hell gestrichenen Wänden, den grünen Fensterläden und dem dunkel gedeckten Dach ließ erahnen, wie Maggies Haus einmal ausgesehen haben könnte. Es würde sich vermutlich nicht mehr retten lassen und früher oder später dem Erdboden gleichgemacht werden. Auf der gegenüberliegenden Seite lag ein riesiges Grundstück voller Gestrüpp, auf dem die hässlichen Ruinen dreier Garagen standen. Hinter Maggies Haus machte die Straße eine Biegung, wurde schmaler und verschwand in einem Wald.
Beverly sah Sands an, dann gingen sie die kurze Auffahrt zum Nachbarhaus entlang. Zwei breite Stufen führten zur Tür hinauf. Beverly blickte auf das Türschild aus blankpoliertem Messing, in das der Name Ryan eingraviert war, und klingelte. Eine junge dunkelhaarige Frau in einem weißen Hosenanzug öffnete, ein kleiner Junge stand neben ihr, er krallte sich mit einer Hand an ihrem Hosenbein fest. Der Blick an ihr vorbei, in den Flur, offenbarte puren Luxus.
„Guten Tag, Mrs. Ryan. Entschuldigen Sie die Störung“, begann Beverly, zeigte ihren Ausweis und blickte der jungen Frau mit einem offenen Lächeln ins Gesicht. „Ich bin Sergeant Evans, das ist Inspektor Sands von Scotland Yard.“
Lucy Ryans Gesicht wirkte plötzlich wie versteinert, sie wurde kreidebleich. Sie griff mit der Hand zum Türrahmen, als müsse sie sich stützen. Beverly warf ihr einen besorgten Blick zu. „Ist Ihnen nicht gut, Mrs. Ryan?“
„Doch, doch“, antwortete sie hastig und streckte sich, so, als wolle sie den Eindruck völliger Fitness erwecken.
„Wir haben nur ein paar Fragen zu Ihrer früheren Nachbarin“, ergänzte Beverly rasch und die Gesichtszüge der jungen Frau entspannten sich. Das Kind zerrte an ihrer Hose.
„Sie meinen das baufällige Haus da nebenan?“
„Ja, haben Sie Maggie Hunter gekannt?“
„Tut mir leid, aber darüber weiß ich überhaupt nichts. Wir haben das Haus erst vor zwei Jahren gekauft. Über die Leute, die hier nebenan gewohnt haben, kann ich gar nichts sagen.“
„Haben Sie Kontakt zu den anderen Anwohnern, wissen Sie, wer hier schon länger wohnt?“
Sie schien einen Moment lang nachzudenken. „Vorn im zweiten Haus, das mit dem Efeu, da wohnt eine ältere Dame. Ich glaube, die hat schon immer hier gelebt.“
„Danke, Mrs. Ryan“, beendete Beverly das Gespräch.
Die Frau nahm den Jungen an die Hand und schloss die Tür.
„Hast du gesehen, Harold, wie sie reagiert hat, als ich Scotland Yard gesagt habe? Die hatte kein reines Gewissen.“ Beverly drehte sich noch einmal um, ein ganzes Register voller Verdächtigungen spulte sich in ihrem Kopf ab.
„Ja, war schon seltsam.“
„Ich tippe auf Steuerhinterziehung oder Versicherungsbetrug in großem Stil. Vielleicht hat sie ja auch das Kind illegal adoptiert, es sah ihr überhaupt nicht ähnlich.“
„Beverly!“
Sie lachte.
Das Haus mit dem Efeu war beinahe vollends von den Ranken bedeckt. Nur die Haustür, die Fenster und ein kleiner Teil des Daches waren noch zu sehen. Doris Boyle stand auf der Klingel. Es dauerte lange, bis die Tür geöffnet wurde. Miss Boyle war eine kleine rundliche Frau mit grauen Kräuselhaaren. Sie trug drei Strickjacken in verschiedenen Farben und Mustern übereinander, was sie noch breiter und ein wenig skurril wirken ließ. In der linken Hand hielt sie einen Gehstock. Beverly stellte sich und Sands vor. Die alte Dame ließ sie eintreten. Sie ging ihnen voraus, unsicher, wankte bei jedem Schritt. Sie setzten sich in einer kleinen Stube auf ein Sofa, dessen Sprungfedern durch das abgewetzte dunkelgrüne Polster drückten. Es war unangenehm kalt, der Raum war spärlich eingerichtet. Miss Boyle wischte mit einem Tuch über den runden Tisch und stellte eine kleine Schale mit Gebäck vor ihre Gäste hin. Dann ging sie zurück in die Küche, um Tee aufzugießen.
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