„Manchmal gibt es Kämpfe, überwiegend ist es Sabotage“, erzählte er. „Die Schattenbringer halten die Ranger mit ihren Verbrechen auf Trab. Außerdem versuchen sie, die Bürger zu verängstigen und das Vertrauen in die Ranger zu erschüttern.“
Ich sog scharf die Luft ein. „Klappt das etwa?“
Zögerlich nickte er. „Etwas ... Die Ranger gehen auch ziemlich radikal vor, sie verdächtigen Unschuldige, zu den Verbrechern zu gehören, und verhaften sie teilweise ohne Beweise. Nachts gibt es sogar eine Ausgangssperre.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Oh nein. Fassungslos fixierte ich die Spitzen meiner Winterstiefel. Das klang gar nicht gut. Mein Vater und der Vorsitzende hatten endgültig den Verstand verloren. Wie sollte das nur enden?
„Ihre Bestellung, bitte“, riss mich die tiefe Stimme des Kellners aus meinen trüben Gedanken.
„Ähm, einen Milchkaffee, zwei schwarze Kaffees und eine heiße Schokolade, bitte“, antwortete ich. Auf diesen Schock brauchte ich etwas Süßes.
„Mach dir keine Sorgen“, flüsterte Nico mir zu, während der Mann die Getränke zubereitete. „Das wird schon. Außerdem seid ihr weit weg von allem. In Renia ist es sicher.“
Ich bemühte mich um ein Lächeln. „Eben.“ Ich sollte nicht daran denken. Es zählte nur das Hier und Jetzt, wie Luna es mir gesagt hatte. Selbst wenn ich mich um meine lieben Freunde und Kollegen in Windfeld sorgte.
Gemeinsam trugen Nico und ich die Getränke zu unserem Tisch. Lloyd und Fiona, die inzwischen Takuto auf dem Arm hielt, unterhielten sich dort. „Er ist so ein süßer Fratz! Und er hat so schöne bernsteinfarbene Augen“, schwärmte sie und streichelte über seine Wange. „Fast wie Mias, nur ohne das Orange.“
„Oh, ist er aufgewacht?“, fragte ich, als ich Fionas und meine Tasse abstellte.
„Ja, gerade eben“, antwortete Lloyd und nahm von seinem Vater den Kaffee entgegen. „Aber er fremdelt auch bei Mama.“
Kurz musterte ich den Kleinen, der nicht wirklich glücklich aussah, während Fiona ihn liebevoll in den Armen hielt. „Immerhin weint er nicht. Das ist schon viel besser als bei jedem anderen. Bei unserer Nachbarin hat er neulich einen Schreikrampf gekriegt, als sie ihn aus dem Kinderwagen genommen hat.“
„Er mag mich“, seufzte sie hingerissen.
„Wir sind wirklich Großeltern“, murmelte Nico mit bebender Stimme. Er ging neben Fionas Stuhl in die Hocke und streichelte über Takutos Mütze, die seinen kleinen Kopf warmhalten sollte. Da strampelte der Kleine allerdings und jaulte auf. Dieses Verhalten kannte ich gut.
„Er weint gleich“, prophezeite ich. „Gibst du ihn mir?“
Behutsam reichte Fiona ihn an mich weiter. „Wie schade. Er fremdelt ganz ordentlich, was?“
Ich nahm Takuto in die Arme und strich über seinen Rücken. „Seit ein paar Tagen ist es besonders schlimm“, erzählte ich.
Zum Glück beruhigte er sich schnell. Er döste ein, sodass ich ihn vorsichtig in den Kinderwagen legen und einen Schluck trinken konnte.
„Hoffentlich vergeht das bald.“ Lloyd grinste schief. „Das macht es nämlich unmöglich, hin und wieder einen Babysitter zu engagieren.“
„Du hast das zum Glück kaum gemacht“, lachte seine Mutter und löffelte etwas Milchschaum aus ihrer Tasse.
„Keine Babygeschichten über mich“, brummte er.
Ich kicherte. „Doch, bitte.“
Beleidigt sah er mich an. „Hey, auf wessen Seite stehst du?“
Ich nahm über die Tischplatte hinweg seine Hand. „Immer da, wo ich lustige Geschichten über dich höre.“
„Pfff“, schnaubte er beleidigt, strich mir aber mit dem Daumen über meinen Handrücken. „Ach, ich muss dir noch was erzählen, Mia“, fiel Fiona ein. Sie klang plötzlich ernst, es wirkte beinahe, als fühlte sie sich unwohl. „Das wollte ich dir persönlich sagen, nicht per Post.“
„Was denn?“, fragte ich alarmiert.
Sie atmete tief durch. „Wo fange ich an ... genau. Vor zwei Wochen hat sich Cassandra bei uns gemeldet.“
„Mama?“ Meine Augen weiteten sich. Ich spürte, dass Lloyd meine Hand etwas fester drückte. „Wie ... wie geht es ihr?“
„Wir haben nur telefoniert, aber sie klang okay“, erinnerte sie sich. „Sie hat viel geredet, sie hat auch geweint, weil ...“ Sie zögerte, wahrscheinlich suchte sie nach den richtigen Worten.
„Weil sie immer noch so wütend auf meinen Vater und mich ist?“, riet ich, wobei ich hörte, wie heiser ich klang.
Fiona schüttelte heftig den Kopf, sodass ihr Zopf hin und her flog. „Nein, im Gegenteil. Sie hat mir erst erzählt, was passiert ist. Dann hat sie gefragt, ob ich wüsste, wo du bist. Oder ob Lloyd es vielleicht wüsste.“ Fragend sah ich sie an. „Sie möchte mit dir reden. Sie sucht dich, weil du spurlos verschwunden bist.“
„Was?“, keuchte ich. Das haute mich um. Das hätte ich nach ihrem Ausraster vor einem Jahr nicht erwartet.
Die rothaarige Frau nahm meine freie Hand in ihre beiden. Eindringlich sah sie mich an. „Cassandra will sich für ihre Reaktion entschuldigen. Ich hab ihr nichts gesagt, nur dass Lloyd auch verschwunden ist und ihr vermutlich zusammen weggelaufen seid. Aber ich dachte, das solltest du wissen.“
„Warum?“, flüsterte ich. „Warum will sie plötzlich wieder Kontakt? Sie hat mir gesagt, ich wäre nicht mehr ihre Tochter. Sie hat mich angeschrien und meine alte Handynummer gesperrt!“
„Weil sie schockiert war“, meldete sich Nico zu Wort. „Inzwischen hatte sie Zeit, um sich zu beruhigen und die ganze Sache klarer zu sehen.“
„Deshalb hat sie sich wohl auch wieder mit Erik versöhnt“, merkte seine Frau an. „Obwohl es schrecklich ist, was er tut.“
Mir klappte der Mund auf. „Sie hat Papa verziehen?!“
„Im Ernst?“, hakte Lloyd nach. „Sie war doch so wütend. Dann haben die Ranger sie auch wieder im Visier.“
„Ja, sie wird von den Rangern überwacht, aber sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, erklärte Fiona. „Darum können sie ihr wohl nichts tun. Soweit ich weiß, hat sie nur telefonischen Kontakt zu Erik.“
„Die Ranger werden sie sowieso nicht festnehmen“, murmelte ich. „Sie ist ein zu guter Köder. Sie warten, bis sich mein Vater mit ihr trifft.“
„Kann ich mir gut vorstellen“, stimmte mein Freund zu. „Außerdem hat Erik mit Sicherheit ein paar Schattenbringer zu ihrem Schutz abgestellt.“
Ich starrte in meine beinahe leere Tasse. „Ich hätte nie erwartet, dass Mama ihm verzeiht.“
„Sie liebt ihn eben“, flüsterte Fiona. „Genau wie dich.“
Ich löste meine Hände aus ihrem und Lloyds Griff, um sie gegen meine Schläfen zu pressen. Das Murmeln der anderen Gäste im Café erschien mir schlagartig lauter als zuvor. Mein Kopf tat weh. „Mir egal“, zischte ich. „Ich hab keinen Nerv für dieses Theater! Ich wollte mich mit ihr vertragen, sie hat mich weggestoßen. Da gehe ich bestimmt nicht wieder auf sie zu.“
„Willst du es wirklich nicht?“, erkundigte sich Lloyd und stand auf. Er ging um den Tisch herum zu mir. „Du könntest mit ihr reden.“
„Nein!“, rief ich. Ich ertrug nicht mal den Gedanken, wieder mit meiner Mutter oder gar meinem Vater zu sprechen. Er setzte mich unter Druck, überforderte mich ebenso wie meine verwirrenden Gefühle meinen Eltern gegenüber. „Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich für sie gestorben bin.“
Nico und Fiona musterten mich besorgt, doch sie sagten nichts. Lloyd griff nach meinen Händen und zog mich sanft vom Stuhl, sodass ich ihm gegenüberstand. Er schloss mich in seine Arme. „Aber Cassandra ist deine Mutter. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir deine Familie völlig egal ist.“
Nur mühsam kämpfte ich gegen die Tränen an. „Meine Familie sind nur die Menschen an diesem Tisch und die Fiorita!“ Da schluchzte ich auf. „Es reicht! Ich will von dem Thema nichts mehr hören!“ Innerlich machte ich den Fiorita größte Vorwürfe, dass sie mir nichts davon erzählt hatten, obwohl sie meine Mutter für mich im Auge behielten. Sie sollten mich informieren, sobald sich die Lage änderte, aber das hatten sie nicht.
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