Schon wieder ein Positionswechsel. Neuerdings sitze ich mit meinem Therapeuten an einem Tisch, weil er meint, die situative Sitzänderung würde meine Haltung gegenüber der Therapie neu positionieren.
«Michael», sagt er, «lassen Sie uns heute über Sexualität reden. Empfinden Sie Ihre Sexualität als normal?»
«Können Sie normal definieren?»
«Verbinden Sie beim Akt Körper und Seele zu einem Einklang aus Geben und Nehmen?»
«Sie meinen, ob ich Liebe mache oder nur Sex?»
«Ich möchte wissen, ob Sex für Sie ein Liebesakt ist.»
«Kennen Sie den Satz von Charles Bukowski, ‹You don’t fuck the brain, but it’s the brain that fucks›?»
«Was wollen Sie damit sagen, Michael?»
«?»
«Meinen Sie damit, dass Trieb und Seele unvereinbar sind?»
«Nein, ich meine, dass ich auf Seelen stehe, die in schönen Körpern wohnen und die Sexualität als die letzte übrig gebliebene Freiheit im Tun des Menschen begreifen, als letzte Grenzenlosigkeit, und die mit der gehörigen Portion Passion auch ausleben, wenn Sie meinen, dass ich es mag, wenn eine Frau im Liebesspiel gleichzeitig Göttin ist und Geilheit, wenn Sie meinen, dass ich Zärtlichkeit mag, aber auch Härte, wenn Sie meinen, dass ich meine, Sex ist immer auch ein Spiel um Macht, um Wohlgefühl und Schmerz, um oben und unten im Wechselspiel, aber auch um grösstmögliche Verschmelzung von zwei Menschen in ein und demselben Moment, was ja auch Liebe ist, wenn Sie meinen, dass ich süchtig bin nach solch einer Frau, die die Seelengrösse hat zu solchen Gefühlswelten, dann muss ich sagen, ich würde mich bezeichnen als –»
«Michael, danke, die Zeit ist um.»
«Schade.»
Man nennt es die Neolithische Revolution, sie dauert schon über 12 000 Jahre und sie ist für den Menschen zumindest problematisch. Im Grunde trägt diese Revolution, die den Übergang vom nomadischen zum sesshaften Menschen kennzeichnet, vom Jäger zum Bauern, in erheblichem Masse dazu bei, dass ich mich auf der Welt gelegentlich nicht zu Hause fühle. Weil mich die Kultur der Sesshaftigkeit dazu zwingt, mein Leben auf den Arschbacken zu verbringen. Ohne Luft unter den Fusssohlen, wie Verlaine das sagte, als er Rimbaud – wahrscheinlich der erste und letzte moderne Nomade – versuchte zu beschreiben. Natürlich bin ich ja nicht stets ungerne sesshaft, schon alleine deshalb, weil mir zum kompromisslosen Nomadentum der Mut fehlen würde und ich wahrscheinlich auch zu faul geworden bin dafür.
Ich sitz dann also so sesshaft da auf meinem Gesäss, auf Bürostühlen, Barhockern, Restaurantstühlen usw., und manchmal sitze ich so fest, dass ich meinen Arsch gar nicht mehr hochkriege. Dann packt mich eine Sehnsucht, sie heisst Fernweh. Fernweh ist das, was vom einstigen Nomadentum übrig geblieben ist, der verkümmerte, traurige Rest. Und das fühlt sich manchmal so an wie Weinen ohne Tränen.
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