I walk this world in wealth, I want to know if it’s you I don’t trust, ’cause I damn sure don’t trust myself.
Auch das Verhältnis zu seiner Band vollzog in dieser Zeit einen Wandel. Seit den frühen Tagen 1972 war die E Street Band mit seiner Musik verbunden. Aber bei Tunnel of Love waren die Musiker am Anfang erstmals überhaupt nicht einbezogen. Springsteen arbeitete weitgehend allein an dem Album, unterstützt vorerst nur von einer Drum Machine und einem Synthesizer. Er nahm das Album zunächst allein auf und lud erst danach einige der E-Street-Band-Mitglieder ein, ihre jeweiligen Parts einzuspielen – Max Weinberg am Schlagzeug, Roy Bittan am Klavier und Danny Federici an der Orgel. Springsteen hatte sogar erwogen, die „Tunnel of Love Express“-Tour allein zu bestreiten, diese Idee dann aber verworfen.
Dennoch sollte die 1988er-Tournee für mehr als ein Jahrzehnt die letzte gemeinsame Konzertreise Springsteens und seiner Band werden. Nur wenige Monate nach dem Ostberliner Konzert und unmittelbar nach der „Tour für die Menschenrechte“, die gemeinsam mit Amnesty International organisiert worden war, löste Springsteen die Band im Oktober 1988 formell auf. Es war eine einsame Entscheidung, die Millionen Fans in aller Welt schockierte, aber auch für einige der Bandmitglieder glich sie einer Katastrophe. Die Band kam erst zu ihrer „Reunion Tour“ 1999–2000 wieder zusammen.
Vor seinen großen Erfolgen wie Born in the USA hatte es Springsteen vermieden, in großen Arenen aufzutreten. Zu sehr war er besorgt, dass in dieser Umgebung die Intimität, aber auch die musikalische Durchschlagskraft verloren gehen könnte. Aber bei allen Schritten die Karriereleiter hinauf – von kleinen Clubs in New Jersey über kleinere Konzertsäle, größere Säle und schließlich Stadien – stellte er fest, dass es viel besser lief, als er vermutet hatte. Das lag einmal an dem technischen Fortschritt in der Soundtechnik, aber nicht zuletzt lag es auch daran, dass Springsteen bis ins Detail daran arbeitete, dass jeder Zuschauer auf jedem Platz im Stadion oder der Halle für sein Geld eine gute Qualität geboten bekam. Dabei war Geld offenbar nie die treibende Kraft hinter dem beständigen Wachstum, Springsteen wollte und will in allererster Linie Musik machen und Menschen damit bewegen.
In der Mitte der 80er-Jahre wirkte es, als ob sich Springsteen nach den ruhigeren Tagen seiner Anfangszeit zurücksehnte. Auch der zunehmende Reichtum schien ihn zu belasten. 1988, vier Jahre nach Born in the USA und kurz vor seinem 40. Geburtstag war auch Bruce Springsteen, wie sein ostdeutsches Publikum, reif für Veränderungen. Die Probleme zuhause sollten nur ein paar Monate später in einer Scheidung enden. Die recht öffentliche Zeit der auseinanderbrechenden Ehe markierte eine der wenigen Abschnitte in der Karriere des Superstars, in denen Paparazzi-Fotos und Gerüchteküche-Geschichten über ihn in Klatsch-Magazinen erschienen. Und über das Verhältnis zwischen Springsteen und seiner Begleitchor-Sängerin Patti Scialfa erregten sich in diesem Sommer nicht nur Medien, sondern auch die Fans. Bis dahin war bemerkenswert wenig über das Privatleben Springsteens bekannt. Das lag daran, dass er Wert auf Privatsphäre legte, aber es gab einfach auch nicht viel Aufregendes zu berichten. Anders als anderen Musikern ist Springsteen seine Karriere nicht zu Kopf gestiegen und er schaffte es, ein einigermaßen normales und skandalfreies Leben zu führen, ohne Drogen und ohne Alkohol. Und er tat alles dafür, dass ihm sein wachsender Ruhm nicht zu Kopf stieg. Springsteen schirmte auch sein Privatleben ab und gab nur wenige Interviews. Sollten doch die Songs sprechen, die er auf der Bühne für alle sang.
Auch in anderen Bereichen unterschied sich Springsteen von vielen Kollegen. Zwar war er keine Leuchte in der Schule und verließ das Ocean County Community College in New Jersey ohne Abschluss. Sehr wohl aber schrieb er schon als Schüler Gedichte, verschlang Literatur und hatte ein unstillbares Bedürfnis, zu lernen. In den zwei Jahrzehnten nach seinem abrupten College-Abgang reifte Springsteen zu einem gebildeten, belesenen, weitgereisten und kenntnisreichen Mann, der auch in vielen Spezialbereichen profunde Kenntnisse besaß, besonders in Sozialgeschichte.
„Ich war nie gut in der Schule und sie sagen dir immer, wenn du nicht schlau bist in der Schule, bist du dumm“, sagte er einmal bei einem Konzert in Tempe, Arizona, 1980 – in der Nacht, nachdem Ronald Reagans zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden war. „Aber ich hatte nie das Gefühl, etwas zu lernen, oder wenigstens etwas zu lernen, was mir wichtig war, bis ich anfing Radio zu hören, in den frühen 60ern.“ Er habe durch die Musik viel mehr gelernt als in der Schule, sagte er. „Sie haben immer auf deinen Kopf eingeredet, aber sie haben es nie herausgefunden, wie sie zu deinem Herzen sprechen können.“ Kurz darauf im selben Konzert in Tempe gab Springsteen sein erstes politisches Statement auf der Bühne ab. Er sagte, die Wahl von Reagan sei „erschreckend“.
Springsteen äußerte sich damals – und auch noch zu Zeiten des Ostberliner Konzerts – weniger zu unmittelbar politischen Dingen als heute. Doch an seiner politischen Verortung als Linker lässt schon der Inhalt seiner Songs keinen Zweifel. Auf der ganzen Welt wird er als Anwalt des „Kleinen Mannes“, der um ihre Hoffnungen betrogenen Arbeiterklasse und derjenigen Menschen wahrgenommen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft trotz harter Arbeit aus eigener Kraft nicht den Aufstieg schaffen. Wahrscheinlich war es genau dieses Image, das Springsteen auch bei den Oberen der DDR anhaftete, und das ihm half, seinen Traum zu verwirklichen und vor einem großen Publikum in Ostberlin auftreten zu können. Auch Menschenrechte sind Springsteen seit jeher ein Anliegen. So beteiligte er sich 1988, wenige Monate nach dem Weißensee-Konzert, an der bereits erwähnten Menschenrechts-Tournee von Amnesty International, die den 40. Jahrestag der Ausrufung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte feiern sollte. Von Springsteens intensiver Auseinandersetzung mit den Themen Flucht, Asyl und Ausgrenzung von Einwanderern und Flüchtlingen legt auch sein Album The Ghost of Tom Joad eindrucksvoll Zeugnis ab.
Born in the USA
In den späten 80er-Jahren bewegte Springsteen mit seiner Musik Menschen in aller Welt, in Metropolen oder Dörfern – von Tallahassee bis Tokio, von East Rutherford bis Ostberlin. Aber auch wenn er sich selbst weiter gern als der Junge aus einfachen Verhältnissen mit der Gitarre in der Hand und Arbeiterthemen im Kopf sah – er war längst in einer anderen Realität angekommen: Er war Multimillionär und reiste um den Globus.
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