Jörg Isermeyer - Ohne Moos nix los

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Der Alltag der Familie Wolff steht unter schlechten Sternen. Vom abwesenden Vater kommt kein Unterhalt, das Amt verweigert Zuschüsse und die alleinerziehende Mutter plagt sich als Kassiererin mit Überstunden. Nur selten ist sie daheim. Kein Wunder, dass die elfjährige Jule sich da nicht wohlfühlt und in ihre eigene Welt flieht: Am liebsten verbringt sie ihre Zeit auf der Straße und erfindet Geschichten zu Passanten, denen sie heimlich quer durch die Stadt folgt – sogar dann, wenn sie in der Schule sein müsste. Doch die Schule ist für Jule ebenfalls kein Paradies. Zum Glück kann ihr großer Bruder Tim großartig Entschuldigungsschreiben fälschen, auch wenn er sonst nichts auf die Reihe kriegt.
Ganz anders bei Lukas: Sein Leben verläuft in geordneten Bahnen, Geldnöte kennt er nicht und die Schule ist für ihn ein Leichtes. Nur manchmal nervt seine Mutter. Aus Langeweile beamt er sich ins Star-Wars-Universum. Als er Jule auf einer ihrer Verfolgungsjagden trifft, lässt er sich zögernd auf ihr «Straßenkino» ein und zieht mit ihr durch die Stadt. Gemeinsam kommen sie dabei einer Bande von Fahrraddieben auf die Schliche. Die beiden sehen sich schon als echte Krimi-Helden, als Tim am Ort des Geschehens auftaucht – mit einem gestohlenen Bike. Und plötzlich ist das Spiel vorbei und im Hause Wolff auch ohne Moos mächtig viel los …
Die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Kindern in Deutschland war 2009 Thema des Autoren-Wettbewerbs Berliner Kindertheaterpreis, den Jörg Isermeyer mit diesem Text gewonnen hat. Das Stück für Kinder ab zehn Jahren ist nicht nur ein «lehrreicher, aber erfrischend unpädagogischer Spaß für Jung und Alt», sondern vor allem «ein knackiger Krimi für Kids». (Berliner Morgenpost) Der Theatertext wurde 2011 für den Mülheimer KinderStückePreis nominiert.

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MANNIch warte. (Pause) Wir können auch gerne zur Polizei gehen und dort deine Personalien feststellen lassen. Der Name!

LUKASLukas Erdmann, ich wohn nebenan, in der 32.

MANNNa also, geht doch. Und wenn ich dir noch nen kleinen Tipp geben darf – such dir das nächste Mal zum Spionieren ne andere Gegend, n bisschen weiter weg von Zu Hause. Das ist nämlich nicht gut für die Nachbarschaft. Hast du mich verstanden? Ob du mich verstanden hast?

LUKASHm.

MANNNa, schon gut. (klopft ihm auf den Rücken) Kinder, Kinder! (schließt die Tür)

JULE (taucht grinsend auf) Hab ich doch gesagt: keine sechs Minuten.

LUKASDu bist gemein. Du hast mich reingelegt und bist einfach weggelaufen.

JULEMann, war doch nur n Scherz.

LUKASHahaha, sehr witzig. Ich lach mich tot. (ab)

JULEHe, Tschuldigung. War nicht so gemeint.

Szene 2

Die Wohnküche bei Familie Wolff. Tim sitzt vorm etwas zu laut eingestellten Fernseher und zappt durch das Programm. Jule durchsucht die Schränke nach einem Nutella-Glas. Tim holt sich ein Glas Gurken vom Schrank und setzt sich wieder vor den Fernseher. Er holt das Nutella aus der Hosentasche und isst Gurken mit Nutella. Jule bemerkt, dass Tim das Nutella hat und nimmt es ihm weg. Tim hinterher. Sie rangeln um das Nutella-Glas und streiten sich lautstark. Frau Wolff kommt.

FRAU WOLFFMan hört euch bis auf die Straße. Macht doch mal den Fernseher etwas leiser. (Tim macht den Fernseher leiser.) Ich hab schon genug Ärger gehabt, mir reicht‘s. (Jule hat das Nutella-Glas hinter ihrem Rücken versteckt. Frau Wolff schaut sie kurz an und bemerkt, dass irgendwas nicht stimmt.)

JULE (ablenkend) Was war denn los?

FRAU WOLFFAch nichts.

JULEKlingt aber nicht so.

FRAU WOLFFReicht doch, wenn einer sich ärgert. (Sie sieht die Gurken in Tims Hand.) Tim, die sind fürs Abendbrot.

TIMIch hab aber jetzt Hunger.

FRAU WOLFFDann reißt du dich halt mal n bisschen zusammen. (Sie nimmt ihm die Gurken weg, schaut zu Jule und bemerkt, dass etwas nicht stimmt.)

JULEUnd?

FRAU WOLFFAch, ich musste doch aufs Amt und deswegen hab ich extra die Nachmittagsschicht abgegeben.

JULEUnd?

FRAU WOLFFDieser Knallkopf von einem Filialleiter hat mich nicht gehen lassen. „Wir müssen alle zurückstecken, Frau Wolff. Denken Sie an die Krise, die macht um Sie keinen Bogen, nur weil Sie so hübsche braune Augen haben.” Zurückstecken! Ich hab diesen Monat schon mehr als 30 Überstunden gemacht.

JULENa, ist doch prima, dann haben wir doch mehr Geld.

FRAU WOLFFDenkste! Sind alle unbezahlt. „Für die Firma.” Aber bei dem Hungerlohn ist das eh schon egal. (Der Fernseher wird von alleine laut.) Tim, kannst du den Fernseher nicht leiser machen!? – Hast du gehört, was ich sage?

TIM (versucht es) Versuch ich doch schon die ganze Zeit.

FRAU WOLFF (laut) Mach einfach, was ich sage.

TIMDas geht aber nicht. (Der Fernseher wird leise. Frau Wolff schaut zu Jule.)

FRAU WOLFFJule?

JULEWas wolltest du denn auf dem Amt?

FRAU WOLFFWegen dem Geld, das wir eigentlich von eurem Vater kriegen müssten.

JULEIch denk, der hat nichts.

FRAU WOLFFHat er ja auch nicht. Deswegen haben wir das Geld ja auch bisher vom Amt bekommen.

JULEJa und?

FRAU WOLFFUnd jetzt ist Sense. Punkt, aus, Ende, einfach so.

JULEAber wieso das denn?

FRAU WOLFFKeine Ahnung. Ich war ja nicht auf dem Amt. (Der Fernseher ist wieder von alleine lauter geworden.) Tim, mach den Fernseher leiser!

TIMMach doch selber.

FRAU WOLFFWenn, dann mach ich das mit der Axt!

TIMDamit kannst du eh nicht umgehen.

FRAU WOLFFDann nehme ich eben die Küchenschere. So’n Kabel krieg ich alle mal durch. (Frau Wolff schaltet den Fernseher auf.) - Jule, was machst du denn da?

JULENichts.

FRAU WOLFFNa, dann zeig mir mal dein Nichts. Umdrehen. (Jule dreht sich zu ihr hin, versteckt das Glas hinter dem Rücken.) Zeig mit deine Hände. (Jule verstaut das Glas hinter ihrem Rücken und zeigt die Hände.) Umdrehen. (Jule dreht ihre Hände um, die Mutter dreht Jule um und entdeckt das Glas.) Jule, wir können nicht jeden Tag ein neues Nutella-Glas kaufen, das können wir uns nicht leisten.

JULEIch hab nur einen Finger ...

FRAU WOLFFUnd auch nicht jede Woche.

JULEEhrlich.

FRAU WOLFFWenn du dich nicht an die Abmachung hältst, dann kauf ich das Zeug gar nicht mehr. Dann gibt’s nur noch die Billig-Variante.

JULEKannst du nicht einfach mal so eins einstecken?

FRAU WOLFFJule!

JULEDu sagst doch selbst, dass das ein Scheiß-Ausbeuter-Verein ist.

FRAU WOLFFNa und? So was macht man nicht.

JULEUnd wieso nicht?

FRAU WOLFFJule! Das ist ein Kündigungsgrund.

JULEIch mein ja nur.

FRAU WOLFFUnd ich mein das anders. Also?

JULEOkay, sonntags ein Brot, und an Geburtstagen soviel ich mag.

FRAU WOLFFUnd auch dann

FRAU WOLFF/JULE…nur aufs Brot. (Jule schaltet den Fernseher ein, als ihre Mutter gerade nicht hinguckt.)

FRAU WOLFF (brüllt) Tim! Mach endlich die verdammte Kiste leiser.

TIMGeht nicht. Der ist kaputt.

FRAU WOLFFWie, der ist kaputt? (Tim geht zu ihr, drückt ihr die Fernbedienung in die Hand. Der Fernseher ist aus.)

TIMFernseher. Kaputt.

FRAU WOLFF (setzt sich fassungslos vor den Fernseher) Wie kaputt? Aber der ist doch nagelneu. (Bemerkt, dass Jule ans Nutella will) Jule, nimm die Finger da weg.

JULEWas ist eigentlich mit meinem Geburtstagsgeschenk?

FRAU WOLFFDas kriegst du schon noch, keine Sorge.

JULEDas hast du letzte Woche auch gesagt.

FRAU WOLFFHerrgott noch mal, Jule. Wir können gerade nicht ins Kino gehen, Gutschein hin oder her. Wir haben gerade kein Geld für so was.

JULE (laut) Aber du hast es mir doch versprochen. Immer versprichst du mir was und hältst es nicht.

FRAU WOLFFDu kriegst es noch, Jule. Aber gerade steht mir alles bis hier. Erst die Mieterhöhung, dann das beschissene Vater-Geld, und jetzt ist auch noch der blöde Fernseher kaputt – dabei haben wir die Raten noch nicht mal abbezahlt.

JULEDas hast du gar nicht gesagt.

FRAU WOLFFWas?

JULEDie Mieterhöhung.

FRAU WOLFFReicht doch, wenn einer nicht mehr ruhig schlafen kann. - Habt ihr Hausaufgaben auf?

JULENee, heute nicht.

FRAU WOLFFWie sollt ihr denn da was lernen?

JULEMachen wir doch: in der Schule. (Jule schaltet den Fernseher wieder ein.)

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