Eva Rottmann - Die mich jagen

ADAMUnd deine Mutter.

CHARLOTTEWas.

ADAMIst ihr egal dass du hier die ganze Nachbarschaft zusammenbrüllst.

CHARLOTTEJa.

ADAMKannst du aufhören mit diesem Kaugummi.

CHARLOTTENein.

ADAMGeh jetzt weg da.

CHARLOTTEWarum.

ADAMIch will dich nicht mehr sehen.

CHARLOTTEIch kann hier so lange bleiben wie ich will.

ADAMKsch.

CHARLOTTEMachen Sie halt Ihr Fenster zu.

ADAMWas ich mit meinem Fenster mache geht dich gar nichts an.

CHARLOTTEIst ja gut.

ADAMBauch rein Brust raus Ohren auf Durchzug und die Nase in den Wind. So hat Adam das immer gemacht. Man darf sich nicht beschweren. Darf man nicht.

JANNIKSie steht auf dem Pausenplatz. Steht da und guckt zu wie die Leute an ihr vorbei in den Haupteingang strömen. Ich seh sie nur leicht angeschnitten im Profil. Von hinten links. Aber das reicht. Ich hab nicht gewusst dass man so stehen kann. Sie sieht aus als wär sie gekommen um die Schule einzunehmen. Roald Amundsen kurz bevor er seine Flagge in den Südpol rammt. Dass man so stehen kann. Bin ich der Einzige der das merkt. Ich kann gar nicht anders. Ich bleib stehen und seh ihr zu. Bis es läutet. Bis nur noch sie und ich auf dem Pausenplatz stehen. Ich komme zu spät. Ich bin noch nie zu spät gekommen. Aber ich weiß dass ich mich nicht von der Stelle bewege solange sie da steht. Ich kann sie riechen. Sie riecht gut. Sie riecht nach.

CHARLOTTEÄh.

JANNIKWaschmittel. Waschmittel und Zigaretten und.

CHARLOTTEHallo.

JANNIK–

CHARLOTTECharlotte. Elf A.

JANNIKJa.

CHARLOTTEJa was.

JANNIK-

CHARLOTTEAha. Na vielleicht fällt es dir ja später wieder ein.

JANNIKJannik. Ich heiße Jannik.

ADAMAdam sitzt am Fenster. Die Sonne geht auf. Die Leute kommen aus ihren Häusern und sehen sehr wichtig aus. Sie gehen nach links oder nach rechts. Es würde ihnen nicht einfallen aus dem Haus zu gehen ohne zu wissen wo sie hin wollen. Sie sitzen auch nicht am Fenster. Adam ist ihnen wohl unangenehm. Manchmal gucken sie hoch zu ihm und verziehen das Gesicht. WAS GIBTS DENN DA ZU GUCKEN. EIN ALTER MANN SITZT AM FENSTER UND LANGWEILT SICH. WEITERGEHEN. GIBT NICHTS ZU GUCKEN. WEITERGEHEN. HIER JETZT. EINFACH WEITERGEHEN. HIER GIBTS NICHTS.

ADAMDu schon wieder.

CHARLOTTEIch rauch nur schnell eine.

ADAMDeine Mutter ruft dich.

CHARLOTTEHeute war mein erster Schultag hier.

ADAMUnd.

CHARLOTTENichts.

ADAMHast du es überlebt.

CHARLOTTESieht so aus.

ADAMDeine Mutter ruft dich.

CHARLOTTEWeiß ich.

ADAMWarum antwortest du ihr nicht.

CHARLOTTEHaben Sie kein eigenes Leben.

ADAMNein.

CHARLOTTEDann denken Sie sich eines aus.

ADAMDu sitzt unter meinem Fenster.

CHARLOTTEIch komm schon Mama.

JANNIKIch kann nicht schlafen. Draußen hat der Fuchs die Mülltonnen umgeworfen. Willst du mit mir tauschen Fuchs. Ich bin ihr nachgelaufen. Nach der Schule. Bis zu ihr nach Hause. Sie hat sich nicht einmal umgedreht. Im Bus hat sie aus dem Fenster gesehen als wüsste sie von nichts. Aber ihre Nackenhaare haben sich aufgestellt und ich hab meine Hand ausgestreckt und fast hätte ich sie berührt. Ich hab gesehen wie sie atmet wie sich ihr Körper hebt und senkt und ich hab sie gerochen. Sie riecht so gut. Und sie ist so schön. Mir ist so heiß. Die ganze Zeit ist mir so heiß.

ADAMIrgendwann hat Gott zu Adam gesagt ICH SCHENK DIR EINE EVA UND HIER IST DAS PARADIES ALSO SEI ZUFRIEDEN UND HALT DIE KLAPPE.

CHARLOTTEHey Sie.

ADAMUnd schon da hat Adam sich gedacht DIE SACHE HAT EINEN HAKEN.

CHARLOTTEHallo.

ADAMEinen Haken. Jetzt sieht man es ja.

CHARLOTTEWas reden Sie denn da.

ADAMJetzt sieht man es.

CHARLOTTEIch kann nicht schlafen. Ich will mich mit jemandem unterhalten.

ADAMUnd das muss ich sein.

CHARLOTTEMeine Mutter sitzt auf dem Fußboden in der Küche und schneidet alle As aus der Zeitung aus. Sie legt sie in eine Streichholzschachtel und sagt danach kommen die Bs an die Reihe.

ADAMWarum.

CHARLOTTEWarum sitzen Sie die ganze Zeit am Fenster.

ADAMIst das verboten.

CHARLOTTEHaben Sie Kinder.

ADAMEine Tochter.

CHARLOTTEUnd wo ist die.

ADAMIn Berlin.

CHARLOTTEUnd die kümmert sich gar nicht um Sie.

ADAMWas soll sie sich denn kümmern.

CHARLOTTEMeine Mutter sagt Sie sind altersarm.

ADAM-

CHARLOTTESie sagt wenn sie mal so weit sein sollte wie Sie. Also dass ich mich dann um sie kümmern muss sagt sie. Für irgendwas hat sie mich ja gezeugt sagt sie. Auf den Fidschis hat man die Alten früher lebendig begraben sobald sie Zeichen von Schwäche gezeigt haben. Die haben geglaubt dass die Gemeinschaft stirbt wenn die Alten ihren letzten Atem auf natürliche Weise aushauen. Die wollten den quasi konservieren den letzten Atem.

ADAMIch komm zurecht.

CHARLOTTEEs gibt auch Völker die machen ein großes Fest für ihre Alten mit Essen Trinken Wein Musik. Und der Alte frisst und säuft so viel er kann weil er weiß dass das sein letztes Fest ist. Er weiß dass sich irgendwann im Lauf des Abends einer seiner Söhne von hinten anschleichen und ihn umbringen wird. Meine Mutter hat gehört dass Sie im Aldi Hausverbot haben weil Sie eine Packung Kartoffelbrei geklaut haben.

ADAMDeine Mutter soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.

CHARLOTTESag ich ihr auch immer.

ADAMWenn ich etwas ändern wollen würde.

CHARLOTTEWenn Sie könnten. Dann hätten Sie es schon längst gemacht.

ADAMIch hab mir nie viel aus Geld gemacht.

CHARLOTTESie haben zu wenig einbezahlt oder was. Ich steig da ja nicht durch.

ADAMWie ich lebe geht niemanden was an.

CHARLOTTESie benehmen sich aber so als würden Sie wollen dass es alle was angeht.

ADAMWarum.

CHARLOTTESie sitzen immer am Fenster. Sie gehen nie raus. Sie klauen Kartoffelbrei. Sie sehen auch nicht so aus als würden Sie sich besonders oft waschen. Aber Sie können halt nichts dran ändern. Das System ist schuld sagt meine Mutter.

ADAMSag deiner Mutter Paradies wär da wo man nie an irgendwas vorbeiläuft und so tun muss als würde man es nicht wollen.

CHARLOTTESie reden manchmal komisches Zeug.

ADAMJa.

JANNIKEs ist ein Spiel. Sie weiß dass ich da bin und ich weiß dass sie da ist. Eigentlich gibt es nur uns beide. Aber wir. Wir tun so als wären die anderen auch da. Wir tun so als gäb es den Pausenplatz und all die Leute die zwischen uns stehen und ihre minderbemittelten Gespräche führen und als würden wir uns dafür interessieren und nicht nur heimlich Ausschau halten ob der andere nicht irgendwo zu entdecken ist ob man einen Blick auffangen kann einen Blick der ein bisschen zu lang ist oder einem zu lang vorkommt und den man immer und immer wieder wiederholt wenn man abends im Bett liegt und es war wieder so ein Tag an dem nichts passiert ist außer diesem einen Blick.