Jan Liedtke - Toronto

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Tom will raus. Einfach weg. Am liebsten mit Katja, die er liebt und die ihn liebt, obwohl sie sich in der Öffentlichkeit nichts anmerken lassen will, denn Tom ist uncool. Denken die anderen.Wenn Tom die Augen schließt, sieht er nur Katja. Er malt ihr Gesicht, ein Meter, zwei Meter groß. Später will er sie zehn Meter groß malen – ein Wandgemälde mitten in Toronto. Da will Katja nämlich hin. Er auch. Mit ihr.Toms Vater interessiert sich nicht für ihn. Sagt Tom. Toms Mutter ist schon lange tot, gestorben, als er klein war. Kapiert hat er das damals schon, nicht die Geschichten, die die Erwachsenen erzählt haben, von Weggehen und Himmel. Schließlich wurde sie doch mit Erde bedeckt und liegt seitdem unter Blumen.
Katja kennt Tom schon eine Ewigkeit, ist mit ihm aufgewachsen, Haustür an Haustür. Sie waren unzertrennlich, haben miteinander die Liebe kennen gelernt. Doch Tom wurde immer anhänglicher. Wie eine Klette. Konnte nicht loslassen. Die Zeit war schön mit ihm, doch die Zeit hat sich geändert. Katja hat sich geändert. Tom nicht. Katja wird nach Toronto gehen. Einfach weg. Auch von Tom.
Toms Vater hatte Probleme, hat den Tod seiner Frau nicht verkraftet. Alkohol. Doch er hat sich wieder gefangen. Hat versucht, neu anzufangen. Hat versucht, eine neue Frau zu finden. Doch es hat nicht geklappt. Wegen Tom. Der dreht immer durch, wenn eine fremde Frau im Haus ist. Schlägt alles kurz und klein. Nimmt keine Hilfe an. Lebt in einer anderen Welt. Denn Tom hat ihn noch nicht verkraftet, den Verlust seiner Mutter. Und nun scheint er wieder etwas zu verlieren: Katja.

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Jan Liedtke

Toronto

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page Jan Liedtke Toronto FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk

Personenverzeichnis Personenverzeichnis Tom Katja Vater

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Über den Autor

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Tom

Katja

Vater

1

TOMDas ist mein Vater

In unserem Wohnzimmer

Er ist so unbedeutend

wie er aussieht

Wenn er stirbt

wäre alles unkompliziert

Könnte schnell passieren

er trinkt einen zu viel

oder ist eines Tages zu fett

Herzen halten nicht viel aus

werden aus dem Wohnzimmer getragen

in nem grauen Plastiksarg

Der Arzt würde mir Beruhigungstabletten geben

Ich würde sie nicht nehmen

Alles würde schnell gehen

Niemand will beschissene Möbel

Das Sofa auf das er raufgekotzt

hat selbstgebaute Regale

Bücher

Schwachsinn

Das muss weg

Schnell

Alles löschen

Ich bestell einen Container

zerhack die Möbel

mein Zeug schmeiß ich dazu

Einen Abend später

lieg ich in der leeren Wohnung

auf dem Boden

nehme das Telefon

reservier ein Ticket nach Toronto

und bin weg

Mit Katja nach Kanada

Er kennt Katja nicht

Nichts weiß er

über mich

Das ist Katja

im Garten von meiner Großmutter

Sie wohnt nebenan

Sie weiß alles über mich

Als wir sechs waren

haben wir uns zum ersten Mal geküsst

Auf diesem Apfelbaum da

Die Lippen aneinandergedrückt

bis wir keine Luft bekamen

Manchmal dabei die Augen aufgemacht

uns angesehen

unscharfe Gesichter

die Grimassen schneiden

Sie ist in den Garten gekommen

durch die wilde Hecke

Wir haben uns ins Gummibassin gestürzt

Wasserschlacht

zwei Stunden lang

Sie hat mir beigebracht

wie man auf einen Baum klettert

Schweinebammel macht

Buden und Wigwams baut

Wir haben Verstecken gespielt

ganze Tage durch

Der Garten ist perfekt dafür

Entweder hinter die Holzhaufen

oder nach da hinten

Bis zum Bauchnabel Gras

drei Meter hoch die Sonnenblumen

In der Schule

haben wir uns in den Pausen getroffen

Mit Jungs konnte ich nichts anfangen

Ständig wollten sie jemanden fertig machen

Brillen klauen

Treten

Verfolgungsjagden über den Schulhof

Bis einer aufgibt

flennt

Ich wollte

dass sie mich in Ruhe lassen

Sie haben mich Weiberheld genannt

Das mochte ich

Mit 15 warn wir richtig verliebt

zusammen

für alle sichtbar

wenn wir im Kino den Film verpassen

weil wir rumknutschen

zu Konzerten von ULTRA

in die Garage gehen

mit siebzig Leuten in einer Wohnung tanzen

uns bei Vollmond im Park betrinken

Zwölf Sternschnuppen zählen

2

TOMWo gehst du hin

KATJAIn die Biblo

TOMWas issen das fürn Video

KATJALovestory langweiligste Schnulze von / allen

TOMHab ich auch mal gesehen

KATJAWollte meine Mutter sehen Wollte sich an irgendwas erinnern

TOMWas machste danach kann ich vielleicht mitkommen / vielleicht

KATJADanach danach geh ich mit Martin zu Leuten Kommst also besser nicht mit

TOMKönn wir uns mal treffen wie / früher

KATJAWillste mich in den Garten von deiner Omi einladen Versteckspielen Wie früher is nich Ich bin jetzt 15

TOMWerd ich auch bald

KATJAUnd wo guckst du jetzt hin

TOMIn die Bäume Ich gucke den Wind an

KATJAWind ist durchsichtig

TOMIrgendwie sieht man den Wind doch

KATJAGuck mal meine Titten an Gefallen dir meine Titten schon

TOMJa klar

KATJAIch bin eine Frau Zwei Jahre blute ich schon wie verrückt jeden Monat Du könntest mir ein Kind machen

TOMWir sind doch selbst noch Kinder

KATJAWir sind keine Kinder Ich bin kein Kind Fass mich an Kein Kind meh FASS MICH AN Hast anfassen noch nicht gelernt Hast noch nichts zum anfassen

3

TOMKann er nicht verstehen Soll in mein Zimmer die Bilder sehn was ich sehe wenn ich die Augen schließe Beim malen hör ich meinen Puls durch nen Verstärker Meine Augen sind Mikroskope Kann man sich nicht irren Katjas Gesicht ein Meter Zwei Meter groß Später werde ich sie zehn Meter groß malen ein Wandgemälde mitten in Toronto

Seit Mutter weg ist

hat er die Fresse nicht aufgekriegt

mich aus dem Bett geholt

Als wenn nichts wäre

In die Badewanne gesetzt

Zu viel Schaum gemacht

Das Frühstück hat gedauert

Zwei Stunden reinwürgen

Seine Augen haben gedreht

Auswege gesucht

probiert Tränen aufzustauen

Ich hab aus dem Fenster gesehen

die ganzen Tage

Er ist nicht zur Arbeit gegangen

die konnten nicht mit ihm rechnen

die haben’s verstanden

Ich hab ihn gefragt

Fünfzig-

Hundertmal am Tag

Sie ist weggefahren weit weg

Irgendwann morgens aufgewacht

kapiert

dass es wahr ist

gehört

dass er würgt

Hat mich auch krank gemacht

Kalter Schweiß

Schüttelfrost

Ich hab die Tür aufgemacht

Er vor der Badewanne

im schwarzen Anzug

frisch rasiert

Nach Aftershave und Kotze

Riecht seine Haut

Er sieht mich an

Seine Augen sind ausgefranst

Lächelt

und lächelt

4

TOMMach mir was zum Frühstück

Nach der Zahnbürste will ich

Tost

Superlangetoast

Kakao Papa

Papa

Ich will rein

Ich will zur Zahnbürste

VATERGleich

TOMIch muss mal

VATERGleich warte

TOMWas machst du Ich hör nicht was du machst

VATERNichts Rasieren

TOMDa kann ich daneben Zähnputzen

VATEREs dauert einen Augenblick

TOMZu lang Mach auf

VATERGleich fertig

TOMAlso piss ich ins Wohnzimmer Was flennst du schon wieder Immer flennst du

VATERWegen ich denk / an

TOMMama ruft nicht mehr an

VATERWird nicht anrufen

TOMMama kommt nicht auf Besuch

VATERKommt nie mehr

TOMUnd so was passiert oft Normal passiert das

VATERGehört dazu

TOMDu siehst schlecht aus Schaffst du mir Frühstück zu machen

VATERBitte schaff das selbst Ich muss los Gleich schon los

TOMDu willst verflennt zur Arbeit gehen Du siehst ganz schlecht aus Papa

VATERHeute ist wichtig

TOMKannst du mich nicht krank machen

VATERDas geht heute nicht

TOMWir schreiben heute auch nichts

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