Jan Liedtke
Toronto
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page Jan Liedtke Toronto FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk
Personenverzeichnis Personenverzeichnis Tom Katja Vater
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Über den Autor
Über das Stück
Impressum
Tom
Katja
Vater
TOMDas ist mein Vater
In unserem Wohnzimmer
Er ist so unbedeutend
wie er aussieht
Wenn er stirbt
wäre alles unkompliziert
Könnte schnell passieren
er trinkt einen zu viel
oder ist eines Tages zu fett
Herzen halten nicht viel aus
werden aus dem Wohnzimmer getragen
in nem grauen Plastiksarg
Der Arzt würde mir Beruhigungstabletten geben
Ich würde sie nicht nehmen
Alles würde schnell gehen
Niemand will beschissene Möbel
Das Sofa auf das er raufgekotzt
hat selbstgebaute Regale
Bücher
Schwachsinn
Das muss weg
Schnell
Alles löschen
Ich bestell einen Container
zerhack die Möbel
mein Zeug schmeiß ich dazu
Einen Abend später
lieg ich in der leeren Wohnung
auf dem Boden
nehme das Telefon
reservier ein Ticket nach Toronto
und bin weg
Mit Katja nach Kanada
Er kennt Katja nicht
Nichts weiß er
über mich
Das ist Katja
im Garten von meiner Großmutter
Sie wohnt nebenan
Sie weiß alles über mich
Als wir sechs waren
haben wir uns zum ersten Mal geküsst
Auf diesem Apfelbaum da
Die Lippen aneinandergedrückt
bis wir keine Luft bekamen
Manchmal dabei die Augen aufgemacht
uns angesehen
unscharfe Gesichter
die Grimassen schneiden
Sie ist in den Garten gekommen
durch die wilde Hecke
Wir haben uns ins Gummibassin gestürzt
Wasserschlacht
zwei Stunden lang
Sie hat mir beigebracht
wie man auf einen Baum klettert
Schweinebammel macht
Buden und Wigwams baut
Wir haben Verstecken gespielt
ganze Tage durch
Der Garten ist perfekt dafür
Entweder hinter die Holzhaufen
oder nach da hinten
Bis zum Bauchnabel Gras
drei Meter hoch die Sonnenblumen
In der Schule
haben wir uns in den Pausen getroffen
Mit Jungs konnte ich nichts anfangen
Ständig wollten sie jemanden fertig machen
Brillen klauen
Treten
Verfolgungsjagden über den Schulhof
Bis einer aufgibt
flennt
Ich wollte
dass sie mich in Ruhe lassen
Sie haben mich Weiberheld genannt
Das mochte ich
Mit 15 warn wir richtig verliebt
zusammen
für alle sichtbar
wenn wir im Kino den Film verpassen
weil wir rumknutschen
zu Konzerten von ULTRA
in die Garage gehen
mit siebzig Leuten in einer Wohnung tanzen
uns bei Vollmond im Park betrinken
Zwölf Sternschnuppen zählen
TOMWo gehst du hin
KATJAIn die Biblo
TOMWas issen das fürn Video
KATJALovestory langweiligste Schnulze von / allen
TOMHab ich auch mal gesehen
KATJAWollte meine Mutter sehen Wollte sich an irgendwas erinnern
TOMWas machste danach kann ich vielleicht mitkommen / vielleicht
KATJADanach danach geh ich mit Martin zu Leuten Kommst also besser nicht mit
TOMKönn wir uns mal treffen wie / früher
KATJAWillste mich in den Garten von deiner Omi einladen Versteckspielen Wie früher is nich Ich bin jetzt 15
TOMWerd ich auch bald
KATJAUnd wo guckst du jetzt hin
TOMIn die Bäume Ich gucke den Wind an
KATJAWind ist durchsichtig
TOMIrgendwie sieht man den Wind doch
KATJAGuck mal meine Titten an Gefallen dir meine Titten schon
TOMJa klar
KATJAIch bin eine Frau Zwei Jahre blute ich schon wie verrückt jeden Monat Du könntest mir ein Kind machen
TOMWir sind doch selbst noch Kinder
KATJAWir sind keine Kinder Ich bin kein Kind Fass mich an Kein Kind meh FASS MICH AN Hast anfassen noch nicht gelernt Hast noch nichts zum anfassen
TOMKann er nicht verstehen Soll in mein Zimmer die Bilder sehn was ich sehe wenn ich die Augen schließe Beim malen hör ich meinen Puls durch nen Verstärker Meine Augen sind Mikroskope Kann man sich nicht irren Katjas Gesicht ein Meter Zwei Meter groß Später werde ich sie zehn Meter groß malen ein Wandgemälde mitten in Toronto
Seit Mutter weg ist
hat er die Fresse nicht aufgekriegt
mich aus dem Bett geholt
Als wenn nichts wäre
In die Badewanne gesetzt
Zu viel Schaum gemacht
Das Frühstück hat gedauert
Zwei Stunden reinwürgen
Seine Augen haben gedreht
Auswege gesucht
probiert Tränen aufzustauen
Ich hab aus dem Fenster gesehen
die ganzen Tage
Er ist nicht zur Arbeit gegangen
die konnten nicht mit ihm rechnen
die haben’s verstanden
Ich hab ihn gefragt
Fünfzig-
Hundertmal am Tag
Sie ist weggefahren weit weg
Irgendwann morgens aufgewacht
kapiert
dass es wahr ist
gehört
dass er würgt
Hat mich auch krank gemacht
Kalter Schweiß
Schüttelfrost
Ich hab die Tür aufgemacht
Er vor der Badewanne
im schwarzen Anzug
frisch rasiert
Nach Aftershave und Kotze
Riecht seine Haut
Er sieht mich an
Seine Augen sind ausgefranst
Lächelt
und lächelt
TOMMach mir was zum Frühstück
Nach der Zahnbürste will ich
Tost
Superlangetoast
Kakao Papa
Papa
Ich will rein
Ich will zur Zahnbürste
VATERGleich
TOMIch muss mal
VATERGleich warte
TOMWas machst du Ich hör nicht was du machst
VATERNichts Rasieren
TOMDa kann ich daneben Zähnputzen
VATEREs dauert einen Augenblick
TOMZu lang Mach auf
VATERGleich fertig
TOMAlso piss ich ins Wohnzimmer Was flennst du schon wieder Immer flennst du
VATERWegen ich denk / an
TOMMama ruft nicht mehr an
VATERWird nicht anrufen
TOMMama kommt nicht auf Besuch
VATERKommt nie mehr
TOMUnd so was passiert oft Normal passiert das
VATERGehört dazu
TOMDu siehst schlecht aus Schaffst du mir Frühstück zu machen
VATERBitte schaff das selbst Ich muss los Gleich schon los
TOMDu willst verflennt zur Arbeit gehen Du siehst ganz schlecht aus Papa
VATERHeute ist wichtig
TOMKannst du mich nicht krank machen
VATERDas geht heute nicht
TOMWir schreiben heute auch nichts
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