Es erleichterte mich, als sie nach einigen Wochen Patrick im Schlepptau hatte: Monika hatte zu dieser Zeit bereits den Kontakt zu mir abgebrochen, und von Amalia war noch nichts zu sehen. Ich flottierte frei und hatte mich an einigen Abenden bereits ertappt, mir Nora in mein Bett zu fantasieren. Eine Liebe aus Süderlenau, das hätte ich weder für möglich gehalten noch erlaubt. Patrick brachte mich, schmerzhaft zwar, zurück auf das Kopfsteinpflaster meiner Stadt. Es war mehr als unfair, dass ich es ihm übelnahm.
Er hingegen nahm wie selbstverständlich teil an der innigen Beziehung, die sich zwischen Nora und mir entwickelt hatte. Da sie ihn nicht in die Schranken wies, stand ich dem hilflos gegenüber.
So war es dazu gekommen, dass sich inmitten meines Schulchores ein Stück Privatleben eingenistet hatte. Nora und Patrick fühlten sich dort sozusagen zu Hause, und ich genoss die Nähe zu Nora zu sehr, um dem Einhalt zu gebieten.
»Nora wünscht sich ein Kind, aber nicht von mir«, eröffnete Patrick an diesem Abend.
»Patrick will seine Tochter mit organisierten Lebensmitteln aus dem Container ernähren«, erläuterte Nora.
Patrick besuchte nach Einbruch der Dunkelheit mehrmals in der Woche die Höfe unserer drei Supermärkte. Dort standen große Müllcontainer, in denen obenauf die weggeworfenen Lebensmittel des Tages lagen. Vertraute ich seinen Berichten, und Patrick gab keinerlei Anlass, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln, so kam er meist mit guter Ausbeute zurück in seinen Bauwagen: Obst und Gemüse mit einigen angefaulten Stellen, die er wegschnitt, Käse, Milch und Butter, denen noch einige Tage Haltbarkeit aufgedruckt waren. Häufig hielten sie eine ganze Weile über das Verfallsdatum hinaus.
Nora hatte einen umfangreichen Hintergrundartikel über das Containern in Süderlenau veröffentlicht:
In den Lebensmittelmärkten unserer Stadt werden täglich Massen guter Nahrungsmittel vernichtet, während zahlreiche Menschen, gerade auch Familien mit Kindern, aus finanziellen Gründen gezwungen sind, am Essen zu sparen. Die Alternative, ältere Waren als Sonderangebot anzubieten, lehnen die Geschäftsführungen in trautem Einvernehmen ab: »Das verdirbt uns die Preise.«
So hat das ›Containern‹, das nächtliche Durchsuchen der großen Müllcontainer in den Höfen der Märkte, zur Rettung von Lebensmitteln in Süderlenau Einzug gefunden. Für die Leitungen der Supermarktketten ist die Entwendung weggeworfener Ware aus dem Müll allerdings nichts anderes als Diebstahl. Um die Diebe zu entmutigen, wurden die Angestellten der Märkte in Süderlenau beauftragt, die Verpackungen zu zerstören, mit dem Ziel, die Waren unbrauchbar zu machen. So unterwirft sich auch Süderlenau der absurden Logik der Profitmaximierung.
»Ich wurde dazu erzogen, Lebensmittel mit Achtung zu behandeln«, erklärt der junge Mann, dem ich während meiner nächtlichen Recherchen an einem Container begegne. »Es ist moralisch nicht vertretbar, gutes Essen im Müll verkommen zu lassen. Das Leid der Tiere, das bei der Produktion vieler Lebensmittel verursacht wird, ist nur ein Grund von vielen, warum ich mich entschieden habe, der Respektlosigkeit gegenüber dem Essen entgegenzuwirken.« Eine Aussage, die nachdenklich stimmt …
Mich hatte ein Glücksgefühl ergriffen, als ich den Artikel las, eine Tür öffnete sich mir, eine Möglichkeit der Zugehörigkeit: wir vom Rande der Gesellschaft. Ich begegnete in dem Geschriebenen einem Menschen, der aus dem Alltäglichen geworfen war so wie ich, wenn auch auf andere Weise, und der einen gangbaren Weg für sich suchte.
»Ein Kinderwunsch ändert die Sicht auf die Dinge grundlegend«, stellte Patrick fest.
Nora konterte: »Ein Vater ist etwas anderes als ein Liebhaber. Ein Vater sollte Verantwortung übernehmen können.«
»Du wirfst mir Mangel an Verantwortung vor! Du weißt sehr genau, dass ich den bequemen Job bei Novacrem aus Verantwortungsbewusstsein aufgegeben habe.«
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