„Ich habe noch nie jemanden verraten“ , sagte Pando. „Und ich würde … Ist ja auch egal. Du machst ja doch, was du willst.“ Er ging ein paar Schritte rückwärts, wo der Schein der kleinen Lampe kaum noch hinreichte. Es war aber nicht Tama, die er floh. Torso hatte sich neben Tama aufgebaut.
„Vorsicht, Bruder. Tama ist Freundin. Und ich bin Sieger. Immer stärker als alle anderen. Sei vorsichtig.“
Pando brummte etwas, schwieg aber. Nur sein Schwanz peitschte die Luft und erzählte so von der Gemütslage, in der er sich befand.
Lufthauch hatte von all dem nicht viel mitbekommen. Er wusste nur, dass etwas passiert war, das nicht leicht wog. Er würde es schon herausfinden. Aber für ihn eilte es nicht. „Dein neuer Freund ist in keinem guten Zustand“, sagte er zu Tama. „Du solltest ihn fragen, wovon er lebt. Und wir sollten ihm etwas zu essen bringen.“
Tama nahm die Ablenkung gerne an. „Was isst du, Torso? Wir bringen dir etwas vorbei, damit du keinen Hunger mehr leiden musst.“
„Im Wald kleine Tiere. Fische im Tümpel. Ich fange. Vögel in der Luft. Ich fange. Geht aber auch mit Früchten oder Pflanzenteilen unter Erde. Hier schlimm. Ratten, Mäuse, dann das, was Schlangenauge schickt. Einmal viel, dann lange nichts. Immer zu wenig.“
Tama drückte den Tiermenschen noch einmal an sich. Der Gestank machte ihr nicht mehr viel aus. „Ich komme zurück. Sehr bald. Versprochen. Freunde sollten sich aufeinander verlassen können.“ Ihre Gedankensprache war etwas zu laut, aber Pando hätte auch so gewusst, für wen dieser Satz gemeint war.
„Wir müssen gehen“, sagte Tama, drückte Torso noch mal an sich und ging dann entschlossenen Schrittes durch die Dunkelheit zu dem hellen Fleck unter dem Torbogen. Lufthauch und Pando folgten ihr.
Pando hielt den ganzen Weg einen gehörigen Abstand, und Lufthauch nutzte die Gelegenheit, um mit Tamalone ein paar Worte zu wechseln. „Ihr konntet euch untereinander verständigen, hatte ich den Eindruck. Ich aber konnte nur dich verstehen“, sagte er. „Was war das?“
„Pando und Torso fehlen die Sprachwerkzeuge, die Menschen und Elfen haben. Zumindest Pando versteht aber die menschliche Sprache. Mag er auch die Form einer großen Katze gewählt haben. Und ja, uns drei vereint etwas, schmiedet uns zusammen. Wir wissen alle drei nicht, wohin wir gehören. Ich bin ein Mensch mit so viel Elfenblut, dass die Menschen mich nicht als eine der Ihren anerkennen. Pando und Torso sind zur Hälfte Mensch und zur Hälfte …“
„Tier“, ergänzte Lufthauch.
„Gestaltwandler“, korrigierte Tama. „Und ich mag mir gar nicht ausmalen, was das wirklich bedeutet.“ Sie verstummte abrupt. Den Gedanken, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen Pando und Torso gab, verschluckte sie. Stattdessen sagte sie mit einer merkwürdig kraftlosen Stimme: „Mir ist, als ob die Gestaltwandler der Schlüssel zu allen Dingen sind. Wenn wir uns nicht um sie kümmern, wird sich das einmal bitter rächen.“
In Lufthauchs Kopf spielten die Gedanken Nachlaufen. Mit Gestaltwandlern sprechen zu können, war keine Elfenmagie. Wer also war diese Tamalone? Und besaß nicht auch Sumpfwasser diese Fähigkeit? Aber der war zweifelsfrei ein reinblütiger Waldelf. Und wenn doch nicht? Nein, dieser Gedanke war zu verrückt, um auch nur gedacht zu werden. Denn dann hätte er ja ebenfalls Fremdblut in seinen Adern haben müssen. Aber die Sache mit den Gestaltwandlern ... Mit ihnen hatte alles angefangen. Das hatte auch Sumpfwasser behauptet. Oder nicht? Lufthauch wusste überhaupt nicht mehr, was er denken oder glauben sollte. Er zögerte, erinnerte sich daran, dass er gerade noch etwas ganz Wichtiges zu den Gestaltwandlern sagen wollte, aber dieser Gedanke war ihm in dem ganzen Durcheinander wieder entwischt. Dafür nagte es an seinem Selbstbewusstsein, dass er an der Unterhaltung zwischen Tama und den beiden Tiermenschen nicht hatte teilhaben können. Noch nie hatte er sich derartig ausgeschlossen gefühlt wie in dem stinkenden Loch neben Pando, Torso und Tamalone. Eigentlich hätte ihm das als Elf der Wehrhüter nichts ausmachen dürfen. Tat es aber doch. Und er bemerkte auch, dass Tamalone ihn gar nicht richtig wahrnahm. Auch das war er nicht gewohnt. Allgemein nicht und schon gar nicht von jungen Menschenfrauen, die sonst alle seinem Charme erlagen. Dazu brauchte er es noch nicht einmal darauf anzulegen. Der Elfencharme war ihm auch eher eine Bürde als ein Vergnügen, doch nun ärgerte ihn diese Nichtbeachtung beträchtlich. War er denn so wenig wert? Was würde wohl passieren, wenn er ein bisschen …
„Wir müssen noch über deinen Auftrag sprechen“, sagte er mit einer Stimme, in der Glocken erklangen, Bäche murmelten und der Wind die Felsen zum Singen verführte. Tamas Schritt geriet aus dem Takt, als sie den Kopf drehte und Lufthauch anschaute. Sie hatte gerade das Gefühl, ihr Herz würde in zwei Stücke gerissen. „Mutter, hilf“ , betete sie, aber ihr Gebet kam zu spät. Mutters Ohren waren taub geworden.
Tama wusste, dass es von nun an nur noch einen Mann in ihrem Leben geben würde. Lufthauch! Aber mit der anderen Hälfte ihres Herzens wusste sie auch, dass ihre Gefühle nicht echt und nur das Ergebnis einer magischen Kraft waren. Das machte sie unsagbar wütend. Konnte man jemanden gleichzeitig erschlagen und küssen wollen? Denn genau das wollte sie in diesem Augenblick. Totschlagen und totküssen. Essen oder Reden. Woher dieser Gedanke jetzt auf einmal kam, verstand sie nicht. Hilfreich war er jedenfalls nicht. Torso hatte das gesagt. Es ginge nicht zusammen. Nur nacheinander und das auch nur, wenn sie selbst nicht die Nahrung war. Sie konnte Lufthauch erst küssen und dann erschlagen. Anders herum ging es nicht. Eine Liebe kann man nicht ersäufen und auch nicht verbrennen, dachte sie resignierend. Aber einen Zauber kann man brechen. Dann wird man merken, was von der Liebe noch übrig ist. Das ist auch nicht schwieriger, als in einer Küche herauszufinden, ob der Kochtopf hält, was sein Duft verspricht. Man muss nur den Deckel abnehmen und in den Topf hineinschauen.
Nein, es war überhaupt nicht einfach. Aber jetzt hatte sie wenigstens etwas zu tun, bis sie einen Weg ins Elfenviertel fand. Sie würde den Elfencharme zerstören und sich ihre Liebe zu Lufthauch aus dem Herzen reißen. Mutter zu finden war wichtiger als in Lufthauchs Armen zu liegen. Die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, merkte sie nicht. Auch nicht, ob es Tränen der Wut oder der Verzweiflung waren. So blieben auch die Flecken auf der Lederkleidung unbeachtet, die die salzigen Tropfen hinterließen. Ihre Tränen, ihre Flecken.
Sie legten den Rest des Weges sehr wortkarg zurück. Lufthauch erzählte Tama, wie sie ursprünglich vorgehabt hatten, sie ins Elfenviertel zu bringen. „Aber das ist jetzt nicht mehr möglich. Die Elfen kennen dich nun und haben dich fest im Blick. Aber mach dir keine Sorgen, uns fällt schon etwas ein.“
Tama schwieg, und als sie endlich etwas sagte, sprach sie davon, dass sie ihre Lederkleidung säubern müsse nach ihrem Ausflug, sie aber keine Ersatzkleidung besäße. Und so erreichten sie endlich den kleinen Laden neben dem des Königs, wo sich ihre Wege trennten. Sie standen zusammen, ohne ein Wort zu sagen. Tama verbiss sich ein „Lebe wohl“, weil sie sich von Lufthauch nicht trennen wollte, und Lufthauch stand regungslos neben ihr und verstand ihr Schweigen nicht. Er konnte auch nichts in ihren Augen lesen, denn Tama schaute auf ihre Fußspitzen. Wie früher , dachte sie. Da schaute ich auch immer auf den Boden . Den Kopf zu heben und der Welt zu trotzen hatte sie gerade erst neu gelernt. Hier in dieser Stadt. Das war noch gar nicht so lange her. Tama brauchte weder in Lufthauchs Augen zu schauen, noch sich in sein Gehirn zu begeben, um dessen Gedanken zu erraten. Sie wusste, worauf er wartete. Aber als sie dann daran dachte, dass Pando, dieser unverschämte Gestaltwandler, möglicherweise oben in ihrem Zimmer neben ihrem Bett liegen könnte, verdrängte frische Wut auch die letzten zärtlichen Gedanken. Diesen Triumph würde sie ihm nicht gönnen, gemeinsam mit Lufthauch vor seinen Augen zu erscheinen und sich seine Bemerkungen anhören zu müssen. Es war schon richtig so, den Elfen nicht mit in ihre Wohnung zu nehmen. Und so sagte sie „Leb‘ wohl“, schloss die Tür des kleinen Ladens auf, drehte sich noch einmal um und winkte ihm zu. Sorglos an der Oberfläche wie ein Falter, der sich von einer Blüte verabschiedet, an der er genascht hat. Dann drückte sie die Tür des Ladens auf und verschwand. Wenn ihm nur halb so viel an mir läge wie mir an ihm, hätte er mich ja zu sich bitten können, dachte sie. Die sich hinter ihr schließende Tür verdrängte etwas von Lufthauchs Einfluss. Besser fühlte sie sich deshalb aber nicht.
Читать дальше