Marion Fugléwicz-Bren - Konrad P. Liessmann

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Konrad Paul Liessmann ist mehr als «nur» Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Er prägt das Leben vieler Menschen, ob jung oder alt. Der Essayist, Literatur-kritiker und Kulturpublizist ist einer der wenigen «öffentlichen Intellektuellen». Man hört ihm zu, seine Stimme hat Gewicht. In Medien und Vorträgen gibt er über alles Auskunft, was Menschen bewegt. Er liebt Kunst, Musik, Süßigkeiten und Rennradfahren.

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Portrait

Konrad Paul Liessmann

von Marion Fugléwicz-Bren

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

Der Eloquente auf der Bühne

Tosender Applaus. Die Sitzreihen sind alle belegt, in den hintersten Ecken des Raumes stehen vor allem jüngere Menschen. Dicht gedrängt. Geduldig. Mit erwartungsvollen Gesichtern. Leichtes Hüsteln im Raum, während er lächelnd zum Rednerpult nach vorne schreitet. Im Vortragssaal. Im Buchladen. Im Fernsehen. Bei der Lesung. Beim Philosophicum in Lech, an der Seite von Michael Köhlmeier – er: Konrad Paul Liessmann.

Anzug, Krawatte, pastellblaues Hemd. Souverän.

Er beginnt zu sprechen, langsam, ruhig, bestimmt. Sein Thema fesselt. Ihn. Das Publikum. Seine Stimme wird lauter. Er geht am Pult auf und ab. Soll Bildung …?

Darf Bildung …? Er schreit beinahe. Man kann seine Leidenschaft beinahe körperlich spüren. Die tiefe Überzeugung. Er weiß, was er sagt, und er fühlt es auch: «Und ist es nicht so, dass …?» Seine Argumente sind brillant, seine Sprache ist präzise, nahezu literarisch an vielen Stellen.

So kennt man Konrad Paul Liessmann in der Öffentlichkeit.

Es grenze an Persönlichkeitskult, der fast ein bisschen bedenklich ist, schildert eine Teilnehmerin die diesjährige Nacht der Philosophie, die jeden Mai in Wien stattfindet: Die Menschen kommen, um ihn zu sehen, ihn persönlich zu erleben und von ihm gehört zu werden, meint sie. Dass es den Besuchern dabei ums Thema gehe, das ja in der Philosophie eigentlich zentral sein sollte, bezweifelt sie fast. Sollten in der Philosophie nicht vielmehr Fragen und Ideen im Mittelpunkt stehen? Liessmann selbst wäre zweifellos der Erste, der das unbedingt bejahen würde.

Eine andere Teilnehmerin meint, sie liebe Liessmanns Vorlesungen und Vorträge, jedes neue Buch sei ein Geschenk –

auch wenn man nicht alle kauft, werden sie allemal gelesen, man borgt sie zwischen Freunden, Freundinnen hin und her. Auch die fast erwachsenen Kinder beginnen schon, seine Schriften zu lesen. Dasselbe gelte übrigens auch für seine CDs, die ein österreichischer Radiosender vor einigen Jahren produziert hat. Seine Bücher hätten das Leben der Mittvierzigerin, die nicht namentlich genannt werden will, buchstäblich verändert, denn der Professor sei ihr in zahlreichen Gebieten ein Vorbild; klug, weitsichtig, ethisch. So einer wie er sollte mehr Macht haben, gar Politiker sein, meint sie enthusiastisch, widerlegt sich aber selbst gleich, sie wisse natürlich, dass das nie funktionieren könnte. Schade, trotzdem. Warum gibt es nicht mehr von seinem Format, von seinem Engagement und seiner Kompetenz? Fragt sie, verabschiedet sich hastig und vertieft sich in sein letztes Buch.

Schlagartig fühle ich mich wieder in meine Studentenzeit zurückversetzt und eine alte unbestimmte Sehnsucht nach dem Diskurs, auch nur als reines L’art pour l’art, der Kunst um der Kunst willen, keimt auf. Ja, auch das vermag die alljähr­liche Nacht der Philosophie zu vermitteln; die Nacht, in der Philosophen, Performer und Slammer in Wien und mittlerweile auch in anderen österreichischen Gemeinden ihre philosophischen Gedanken entwickeln, mit dem Publikum ins Gespräch kommen und es zum Nachdenken anregen. Nicht nur in Krisenzeiten, aber dann besonders, ist Philosophie gefragt, weil die Menschen sich dann tiefere Gedanken machen: Philosophie ist Denken in Bewegung, sagen die Veranstalter.

Liessmann ist aber zweifellos mehr als der Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien, der ein akademisches Umfeld bedient. Ob er möchte oder nicht, er prägt das Leben vieler anderer Menschen mit, ob jung oder alt. Der Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist ist, so sagen viele, einer der wenigen «öffentlichen Intellektuellen», man hört ihm zu, und seine Stimme hat Gewicht. Er wird permanent und seit Jahren von allen renommierten deutschsprachigen Medien, Konzernchefs und zahllosen Festival- und Symposiums-Veranstaltern angefragt und soll über möglichst alles Auskunft geben, was Menschen bewegt. Das kann zuweilen auch lästig sein, wie er gesteht, er sei aber oft zu freundlich, um derlei Einladungen abzulehnen.

Dass er dennoch öffentlichkeitsaffin ist, wird Denkern wie ihm immer wieder vorgeworfen, bespielt er doch mehrere Bühnen. Das kommt in der Wissenschaft nicht gut an. Philosophen, die sich auf die Agora wagen, werden aus verschiedenen Gründen bestraft. Vor allem in sozialen Medien und Internetforen, aber durchaus auch innerhalb der eigenen Reihen aus dem wissenschaftlichen Milieu. Warum eigentlich?

Erstens ist man heute in der Wissenschaft nur glaubwürdig und angesehen, wenn man in internationalen Zeitschriften publiziert, Drittmittelgeld erwirbt und eine Vortragstätigkeit weltweit und auf wissenschaftlichen Tagungen ausübt. Das verlangt normalerweise, dass man seine ganze Zeit und Energie reinsteckt. «Es macht daher keinen guten Eindruck, wenn man ständig in der Öffentlichkeit unterwegs ist», so beantwortet eine wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie meine Frage.

Außerdem ist die Wissenschaft heutzutage sehr spezialisiert: «Wissenschaftler sind Experten, die daran gewöhnt sind, dass man sich erst dann zu einem Thema äußert, wenn man lange darüber geforscht hat. Sobald man in der Öffentlichkeit tätig ist, muss man zwangsläufig zu allen möglichen Themen und Fragen Stellung nehmen. Aus der Sicht vieler Wissenschaftler kann man dabei nur oberflächlich sein.»

Und schließlich sei eine gewisse Dosis Neid wohl bei manchen Kolleginnen oder Kollegen letztlich auch nicht auszuschließen, räumt sie ein.

Wie öffentlich soll oder muss ein Philosoph sein?

Der öffentlich räsonierende Geisteswissenschaftler bohrt tiefer und blickt weiter. Er ist für die Demokratie das Salz in der Suppe, weil er die Fragen stellt, an die keiner denkt oder die niemand hören will. Er versteht sich auf die Kunst der Frage, um die Antworten kümmern sich die sogenannten Experten – manchmal kann das Hand in Hand gehen, aber nicht notwendigerweise.

Der Journalist, Fernsehmoderator und langjährige Chef der Tageszeitung Die Presse, Michael Fleischhacker, bezeichnet Liessmann in einem Buchbeitrag als einen Mann, der «in der lebenslangen Wahrnehmung eines nicht mehr ganz jungen, aber auch noch nicht wirklich alten österreichischen Öffentlichkeitsgestalters der Philosoph ist und außerdem derjenige, dem man zutraut, dass er als Autor des Buchs Theorie der Unbildung einen Beitrag zur Bildungsdebatte und zur Reform der Lehramtsausbildung in Österreich leisten würde, den man auch gerne annehmen möchte». Zum großen Bildungsthema werde ich den Meister später noch befragen.

Die Relevanz und Brisanz von Philosophie entsteht durch Öffentlichkeit, und dieses öffentliche Denken kann für den

öffentlichen Denker auch gefährlich werden, weiß Fleischhacker, denn die philosophischen Bühnen unserer Tage stehen in den Schulzimmern und Hörsälen, in den Fernsehstudios und Veranstaltungssälen, «… und die Philosophen führen darauf nicht ihr existenzielles Stück auf, sondern sie versuchen, das Publikum auf den Geschmack des eigenen Denkens zu bringen, indem sie möglichst lebendig und möglichst originell von denen berichten, die seinerzeit die alten, gefährlichen Bühnen bevölkert haben». Sie selbst lägen dabei auf dem Präsentier­teller, und das sei nicht immer ein schönes Dasein, analysiert der Publizist, der Liessmann persönlich kennt und seine Vorträge schon öfter moderiert hat.

Der Weg in seine öffentliche Zukunft könnte für den kleinen Konrad Paul in Kärnten, in der Bibliothek seiner Eltern, begonnen haben, als er das erste Mal über das Schicksal eines Mannes namens Sokrates las, was ihn wohl sehr beeindruckte. Doch dazu später …

«Philosophie steht seit der Antike im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit, von Markt (Sokrates) und Akademie (Platon)», so beantwortete der Professor vor einigen Jahren meine Frage, wie populär Philosophie sein darf beziehungsweise sein muss. Für mein erstes Buch aus der Reihe Die Philosophen kommen war Liessmann der erste Interview­partner. «Es gehört wahrscheinlich auch zu den paradoxen

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