1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 »Aha, Carlos.« Silvio verdrehte theatralisch die Augen.
Ich verstand nicht ganz. »Was genau meinst du mit: Aha, Carlos?«
Silvio zupfte nervös an seiner blauen Clubkrawatte herum. »Na ja, nichts Bestimmtes. War nur so klar, dass du auch sofort auf ihn abfährst.«
Aber sonst ging es ihm gut? Ich holte tief Luft. »Moment mal. Ich fahr hier auf niemanden ab, auch nicht auf Carlos. Wie kommst du denn bitte auf die schräge Idee?«
Schulterzuckend lehnte er sich an den Tresen. »Das bietet sich doch an. Er sieht ja auch wirklich gut aus, das muss ich ihm lassen. Abgesehen davon ist er ein hervorragender Tänzer und seinen Job macht er auch prima. Seit er hier ist, sind die Shows der Hammer.«
Ich versuchte mich an einem gelangweilten Blick. »Ich weiß noch immer nicht, worauf du letztendlich hinauswillst.«
Silvio seufzte herzerweichend. »Caroline, bitte, du bist ein kluger Kopf und weißt sehr gut, was ich meine. Jede Frau auf diesem Gelände, ob Angestellte oder Gast, fällt jedes Mal beinahe in Ohnmacht, wenn Carlos am Horizont auftaucht. Ich denke einfach, du solltest wissen, dass er alles poppt, was nicht bei Drei auf der nächsten Palme ist. Der Kerl ist nichts für eine Beziehung. Ich will nur nicht, dass du nachher sagst, niemand hätte dich vor ihm gewarnt.«
Gut, hier musste ich dringend für klare Verhältnisse sorgen. »Silvio, ich habe nicht im Geringsten das Bedürfnis, mich in eine wie auch immer geartete Beziehung zu stürzen, okay? Ich habe wirklich genug mit mir selbst zu tun. Das was ich hier tue, das will ich gut machen. Falsch! Das muss ich gut machen, das bin ich mir schuldig. Ich bin Carlos einfach nur dankbar, dass er so geduldig mit mir arbeitet und mir dabei hilft, voranzukommen. Du musst wissen, ich bin eine bekennende Bewegungs-Legasthenikerin. Wer denkt, aus mir eine Tänzerin zu machen, der muss schon sehr viel Vertrauen haben.«
Ich wandte mich zu einem Ehepaar um, das an den Tresen kam, um seinen Schlüssel abzuholen. Es bekam den Schlüssel und ein paar Tipps für Ausflüge in die Berge samt kanarischen Lokalen. Als die zwei sich verabschiedeten, nickte Silvio mir zu.
»Das machts du ziemlich professionell.«
Ich nickte erleichtert. »Für irgendwas muss meine Ausbildung ja gut gewesen sein.«
An diesem Abend schlenderte ich sehr nachdenklich zurück zu unserem Studio. Auf dem Weg vernahm ich die Klänge einer Gitarre und blieb stehen. Ich warf einem Blick auf meine Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht. Lief die Show etwa doch noch? Neugierig spähte ich um die Ecke des gemauerten Amphitheaters des Clubs. Nein, das war nicht mehr die Show. Die Gäste waren weg, nur ein Großteil der Crew saß auf den blauen Holzbänken und blickte gebannt auf die Bühne.
Ich konnte nicht genau erkennen, was dort geschah, und da ich mir nicht sicher war, ob ich stören würde, wandte ich mich wieder ab.
»Cara, hey, Cara! Komm her!«
Überrascht drehte ich mich wieder um. Fernando winkte mir zu und rückte demonstrativ ein Stück zur Seite. Erfreut huschte ich zu ihm und setzte mich neben ihn. Nun konnte ich auch erkennen, was meine Kolleginnen und Kollegen so begeisterte.
Carlos!
Nur mit einer schwarzen, engen Hose bekleidet, tanzte er zum Spiel des Flamencogitarristen eine Sevillana. Er tat es voller Anmut, mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze und einer gehörigen Portion Sexappeal. Seine langen Haare fielen ihm ins Gesicht und man sah die dunklen Augen zwischen den Strähnen blitzen. Langsam wurde mir klar, wovor Silvio mich warnen wollte. Verdammt, war der Kerl anziehend.
Der Nacht wurde noch lang und schön. Der Barkeeper, der eigentlich schon aufräumte, mixte für die anderen Mädels und mich eine leichte Lumumba mit Sahne und Schokostreuseln. Fernando gab seine Anekdoten vom Strand zum Besten, und als Carlos sich umgezogen hatte, gesellte er sich zu uns.
Silvie stupste mich irgendwann fragend an. »Na, was meinst du, kannst du es mit uns allen eine Weile aushalten?«
Ich nickte so heftig, dass meine langen Ohrringe gegen meine Wangen klatschten. »O ja, und ich denke nicht nur eine Weile.«
Roberta schmunzelte, nahm ihr Glas und meinte: »Das trifft sich gut. Wir haben nämlich beschlossen, dich nicht mehr herzugeben.«
Carlos erhob sich von seinem Sitzplatz, kam langsam auf mich zu, legte einen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es leicht an. »Da hörst du es. Du kommst hier nicht mehr weg.« Dann spürte ich einen Kuss auf meinen Haaren und weg war er.
Ich war im Himmel gelandet.
Das Leben im Himmel war anstrengend, und zwar verdammt anstrengend. Es kostete mich noch einmal vier Wochen, Unmengen an Pflaster für meine Füße und viele, viele Tränen. Nicht nur einmal wollte ich alles hinwerfen und aufgeben. Das aber ließ Carlos nicht zu.
»Vergiss das sehr schnell. Was du begonnen hast, das bringst du zu Ende. Hier wird auf gar keinen Fall gekniffen. Feigheit steht dir nicht, weißt du?«
Und so machte ich weiter. Ich trainierte täglich, absolvierte meine Schichten in den diversen Einsatzgebieten und lernte von Roberta Badminton. Hier stellten sich die Erfolgserlebnisse schneller ein als beim Tanzen. Schon nach einem Monat wurde ich für die Badminton-Stunden mit den Gästen eingeteilt. Ein Lichtblick am Horizont!
Während ich mir einredete, dass ich niemals als Teil der großen Abendshow auf der Bühne stehen würde, zumindest bei den Tänzen, sah Carlos das ganz anders. Es waren weitere sechs Wochen ins Land gegangen, als er eines Nachmittags nach zwei Stunden hartem Training die Musik abstellte und mich musterte. »Ich denke, es ist so weit.«
Ich schluckte. »Was ist so weit? Du machst mir Angst, Carlos.«
»Ich möchte, dass du am Wochenende bei der großen Show dabei bist.«
Ich erschrak. »Ich bin noch nicht bereit dafür. Ganz sicher nicht.«
Er nickte. »O doch, das bist du. Du tanzt die beiden Nummern, die wir in den letzten Tagen einstudiert haben.«
»Grease und Footloose? Das schaffe ich niemals.« Ich war entsetzt und verunsichert.
Carlos seufzte laut. »Hörst du sofort damit auf, alles was du tust, alles was du kannst, infrage zu stellen? Muss ich wirklich ärgerlich werden, ehe du endlich aus deinem Schneckenhaus kommst? Du stellst dich am Samstagabend auf die Bühne, keine Widerrede. Ich will nichts mehr hören.«
»Ich bin zu groß und zu dick. Ich pass nicht in die Kostüme. Mit was soll ich denn tanzen?«
»Himmel, Cara! Wenn du so weitermachst, schicke ich dich im Taucheranzug auf die Bühne. Ernsthaft. Manchmal weiß ich bei dir tatsächlich nicht weiter.« Er sah auf die Uhr. »Okay, wir haben etwas Zeit. Geh duschen und zieh dich um. Ich hol dich in einer halben Stunde bei euch im Studio ab.«
Er schob mich kurzerhand aus dem Proberaum und ich trottete wie ein begossener Pudel zu Silvie.
In Windeseile verwandelte ich mich wieder in ein menschliches Wesen und half Silvie, während ich wartete, unsere Behausung auf Vordermann zu bringen. Silvie war für ihre Verhältnisse ungewöhnlich schweigsam.
Sie machte mich neugierig. »Ist etwas passiert? Du bist doch sonst nicht so ruhig?«
Sie pflückte zwei Shirts vom Sofa und warf sie in den Wäschekorb. »Hm, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist schwer in Worte zu fassen. Weißt du, wir alle mögen Carlos sehr, er ist ein wunderbarer Kerl, aber wir kennen auch die andere Seite.«
Ah, da lag der Hase im Pfeffer. »Du meinst die Seite, die teilweise zwei Touristinnen gleichzeitig den Urlaub versüßt?«
Sichtlich überrascht wandte sie sich mir zu. »Du weißt es ja doch.«
Ich schüttelte nachsichtig den Kopf. »Natürlich. Was denkst du denn? Ich müsste ja blind sein.«
»Ähm, ja dann. Denkst du, du kannst ihn …« Silvie stockte. Das Gespräch war ihr eindeutig unangenehm. »Also, ich meine, glaubst du, dass du ihn ändern kannst?«
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