1 ...8 9 10 12 13 14 ...25 Die grauen Ratten, die in der Nähe von Glimmingehus hausten, gaben den Kampf nicht auf und versuchten, jede günstige Gelegenheit zu nutzen, um sich der Burg zu bemächtigen. Wo sie nun schon das gesamte übrige Land erobert hatten, da hätten sie die kleine Schar schwarzer Ratten auf Glimmingehus in Frieden lassen sollen, könnte man meinen, aber sie dachten gar nicht daran. Sie sagten stets, es sei für sie eine Ehrensache, die schwarzen einmal zu besiegen. Doch wer sie kannte, der wusste wohl, dass etwas anderes dahintersteckte: Glimmingehus diente als Getreidespeicher, und deshalb konnten die grauen Ratten nicht eher ruhen, bis sie die Burg eingenommen hatten.
Montag, den 28. März
Die Wildgänse, die auf dem Eis des Vombsees schliefen, wurden am frühen Morgen durch laute Rufe aus der Luft geweckt.
»Trirop! Trirop!«, tönte es. »Trianut, der Kranich, lässt Akka, die Wildgans, und ihre Schar grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf dem Kullaberg statt.«
Akka reckte sogleich den Kopf in die Höhe und antwortete: »Gruß und Dank! Gruß und Dank!«
Dann flogen die Kraniche weiter, doch die Wildgänse hörten sie noch lange über jedem Feld und jedem Waldhang rufen: »Trianut lässt grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf dem Kullaberg statt.«
Die Wildgänse freuten sich über diese Botschaft sehr. »Da hast du aber Glück«, sagten sie zum weißen Gänserich, »dass du den großen Kranichtanz erleben darfst.«
»Gibt es denn etwas Besonderes zu sehen, wenn Kraniche tanzen?«, fragte er.
»Das hast du dir im Traum noch nicht vorgestellt«, entgegneten die Wildgänse.
»Wir müssen nun überlegen, was wir mit dem Däumling machen, damit ihm kein Unglück passiert, wenn wir morgen zum Kullaberg reisen«, sagte Akka.
»Wenn die Kraniche es nicht erlauben, dass er ihrem Tanz zusieht«, sagte der Gänserich, »dann bleibe ich bei ihm.«
»Kein Mensch durfte jemals an der Versammlung der Tiere auf dem Kullaberg teilnehmen«, sagte Akka. »Aber darüber können wir später noch reden. Jetzt müssen wir erst einmal daran denken, dass wir etwas in den Bauch bekommen.«
Damit gab Akka das Zeichen zum Aufbruch. Bis zu diesem Tag hatten die Gänse auf den Feldern um Öved äsen können, ohne von Fuchs Smirre gestört zu werden. Doch als sie jetzt dorthin kamen, lauerte er schon auf sie und verfolgte sie von einem Acker zum anderen, so dass sie nirgends Ruhe zum Fressen hatten. Akka begriff, dass er sie nicht in Frieden lassen würde, fasste einen raschen Beschluss, erhob sich in die Luft und flog mit ihrer Schar mehrere Meilen weiter. Erst auf den sumpfigen Wiesen etwas südlich von Glimmingehus ließ sie sich nieder.
Der Junge saß den ganzen Tag am Ufer eines kleinen Teichs und blies Rohrpfeife. Er hatte schlechte Laune, weil er den Kranichtanz nicht sehen durfte, brachte kein Wort heraus und sprach weder mit dem Gänserich noch mit irgendjemandem sonst.
Er dachte an das Eichhörnchen, dem er beigestanden hatte, und fand es bitter, dass Akka ihm immer noch misstraute.
Das sumpfige Wiesengelände, auf dem die Gänse ästen, war auf der einen Seite von einem breiten Steinwall begrenzt. Und da geschah, als der Junge am Abend den Kopf hob, um doch ein paar Worte zu sagen, dass seine Blicke auf diesen Steinwall fielen. Er stieß einen leisen Schrei der Verwunderung aus, und sofort sahen alle Gänse auf und starrten in dieselbe Richtung wie er. Im ersten Augenblick glaubten sie wie der Junge auch, dass alle grauen runden Steine, aus denen der Wall bestand, Beine bekommen und sich in Bewegung gesetzt hätten, doch bald erkannten sie, dass eine Schar Ratten darüber lief. Sie hatten große Eile und drängten sich in dichten Reihen, und so viele waren es, dass sie für eine gute Weile den ganzen Wall bedeckten.
Der Junge hatte schon damals, als ein großer, starker Mensch, vor Ratten Angst gehabt. Wie sollte er sich jetzt nicht fürchten, wo er so klein war? Bei ihrem Anblick lief ihm ein kalter Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter.
Merkwürdigerweise schienen die Wildgänse denselben Abscheu vor den Ratten zu empfinden wie er. Sie sprachen sie nicht an, und als sie vorbeigezogen waren, schüttelten sich die Gänse, als hätten sie Schlamm zwischen die Federn bekommen.
»So viele graue Ratten unterwegs«, sagte Yksi von Vassijaure, »das ist kein gutes Zeichen!«
Der Junge wollte die Gelegenheit nutzen und mit Akka über den Kullaberg reden. Doch wieder wurde er daran gehindert, denn unter den Gänsen ließ sich blitzschnell ein großer Vogel nieder.
Dieser Vogel sah aus, dass man annehmen konnte, er hätte sich Körper, Hals und Kopf von einer kleinen weißen Gans geliehen. Doch zu alledem hatte er sich große schwarze Flügel, lange rote Beine und einen dicken langen Schnabel zugelegt, der für den kleinen Kopf viel zu groß war und ihn nach unten zog, was ihm einen bekümmerten, traurigen Ausdruck verlieh.
Akka brachte rasch ihre Deckfedern in Ordnung, ging auf den Storch zu und neigte dabei viele Male den Hals. Es erstaunte sie nicht, dass er schon Ende März nach Schonen gekommen war. Sie wusste, dass die Storchenmännchen beizeiten und noch vor den Weibchen die Ostsee überqueren, um nachzusehen, ob das Nest im Winter nicht Schaden genommen hätte. Sie konnte nur nicht verstehen, was es zu bedeuten hatte, dass er gerade sie aufsuchte.
»Ich will doch nicht hoffen, dass mit Ihrer Wohnung etwas nicht in Ordnung ist, Herr Ermenrich«, sagte Akka.
Der Storch stand lange Zeit da und klapperte nur mit dem Schnabel, bevor er sich mit heiserer, schwacher Stimme über alles Mögliche beklagte: Sein Nest, das sich hoch oben auf dem Dachfirst von Glimmingehus befand, sei von den Winterstürmen völlig zerstört, die Bauern von Schonen eigneten sich nach und nach sein gesamtes Besitztum an, legten seine Sümpfe trocken und machten seine Moore urbar. Er habe die Absicht, dieses Land zu verlassen und niemals zurückzukehren.
Während der Storch seine Klage vortrug, musste Akka, die Wildgans, die überall schutzlos und gefährdet war, unwillkürlich denken: »Wenn es mir so gut ginge wie Ihnen, Herr Ermenrich, dann würde ich Klagen für unter meiner Würde halten. Sie sind ein freier, wilder Vogel geblieben, und doch ist Ihr Ansehen bei den Menschen so hoch, dass niemand einen Schuss auf Sie abgeben oder ein Ei aus Ihrem Nest stehlen würde.« Aber dem Storch sagte sie nur, sie könne sich nicht vorstellen, dass er von einem Haus wegziehen wolle, das seit seiner Errichtung den Störchen Zuflucht geboten habe.
Da fragte der Storch rasch, ob die Gänse die grauen Ratten gesehen hätten, die nach Glimmingehus unterwegs seien. Als Akka erwiderte, sie habe das Teufelspack bemerkt, begann er von den tapferen schwarzen Ratten zu erzählen, die so viele Jahre die Burg verteidigt hätten. »Aber in dieser Nacht werden die grauen Ratten Glimmingehus in ihre Gewalt bekommen«, sagte er seufzend.
»Warum gerade in dieser Nacht, Herr Ermenrich?«, fragte Akka.
»Weil gestern Abend fast alle schwarzen Ratten zum Kullaberg gezogen sind, im Vertrauen darauf, dass sämtliche anderen Tiere auch dorthin eilen«, sagte der Storch. »Doch wie Sie sehen, sind die grauen Ratten zu Hause geblieben. Jetzt sammeln sie sich, um heute Nacht in die Burg einzudringen, denn da wird sie nur von ein paar alten Schwächlingen verteidigt, die nicht mehr zum Kullaberg ziehen konnten. Sie werden ihr Ziel wohl erreichen, doch ich, der ich so viele Jahre mit den schwarzen Ratten in guter Nachbarschaft gelebt habe, möchte höchst ungern am selben Ort wie ihre Feinde wohnen.«
Akka hob den Kopf. »Haben Sie die schwarzen Ratten benachrichtigt, Herr Ermenrich?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete der Storch, »das hätte keinen Zweck. Bevor sie zurück sein können, ist die Burg eingenommen.«
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