Am Ende meines letzten Schuljahres waren Dave und ich fest zusammen, wir waren verliebt, tauschten Klassenringe aus, versprachen uns alles Mögliche und machten Pläne für die Hochzeit nach dem Studium. Diese Zwangsläufigkeit finde ich heute unvorstellbar, schließlich entwarfen wir diesen Lebensplan bereits mit sechzehn. Dave wollte Marineoffizier werden, und sein Ehrgeiz in der Highschool war, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und zunächst in die U. S. Marineakademie von Annapolis einzutreten. Als Dave dort im Frühling angenommen wurde, jubelten wir. Er trat eine Woche nach seinem Schulabschluss die Ausbildung an, und ich war seltsamerweise glücklich, eine Zeit lang wieder allein zu sein.
Meine Eltern hatten die Universität von Illinois abgeschlossen, und ich hatte den Ehrgeiz, ebenfalls eine große Universität zu besuchen. In Anbetracht der Tatsache, dass meine Mutter eine fortschrittliche und beliebte Leiterin der Studienberatung der größten Highschool unseres Countys war, hätte man annehmen können, dass ich Insidertipps für die passende Auswahl eines College bekam, aber der Plan für mich lautete anders. Dad bevorzugte aus finanziellen Gründen ein College in unserem Heimatstaat Virginia und riet mir, an einem College mit Koedukation zu studieren. Frauenuniversitäten waren in seinen Augen wirklichkeitsfremd. Es ist mir peinlich zuzugeben, dass ich ihm damals zustimmte. Kaum zu glauben, dass es zu jener Zeit in Virginia nur zwei Colleges mit Koedukation gab – William and Mary, die mich mit meinen mittelmäßigen SAT-Noten nicht aufnehmen würden, und Lynchburg College, eine Schule, kleiner als meine Highschool! Ich wollte an eine große Universität wie die von Michigan! Heimlich bewarb ich mich dort und wurde abgelehnt. Ich hätte sie trotzdem besuchen können, aber der Bewerbungsprozess schüchterte mich ein. Dad wusste von meiner Enttäuschung, und wie üblich schlug er mir einen Kompromiss vor: Da er die Ausbildung in den ersten beiden Jahren bezahlte, würde er die Auswahl treffen, und er entschied sich für Lynchburg. Für die darauffolgenden zwei Jahre könnte ich entscheiden, ob ich wechseln wollte. Ich willigte ein, zumal es in Lynchburg ein Frauenhockeyteam gab. Es schien ein bisschen pervers zu sein, dass große Universitäten keinen Frauensport boten, wohl aber die kleinen Colleges. Ich sagte mir, dass ich mich auf mein neues Team vorbereiten müsse, und verlängerte meine Laufstrecke. Wenn mich eine Meile täglich ins Highschoolteam gebracht hatte, müsste ich zulegen, um es ins Collegeteam zu schaffen. Ich erfuhr, dass die Jungen im Crosslaufteam der Highschool drei Meilen täglich liefen. Ich kannte bis jetzt niemanden, der noch mehr lief, also steckte ich mir das Ziel, drei Meilen täglich zu laufen. Wenn ich das schaffte, würde meine Geheimwaffe zur Superwaffe werden.
Jeden Abend ging ich nach meinem Sommerjob auf die Bahn in der Highschool und lief meine Runden, jede Woche lief ich eine Runde mehr. Ich staunte, wie leicht mir das fiel, und wahrscheinlich hätte ich die drei Meilen auf Anhieb geschafft. Aber das war mir nicht klar, und ich hielt es für besser, die Laufstrecke vorsichtig zu erhöhen, um eine Verletzung zu vermeiden. Instinktiv tat ich das Richtige: Eine schrittweise Steigerung ist ein Schlüsselprinzip im Training und der Aufbau eines sicheren Fundaments. Ich hatte auch viel Zeit zum Nachdenken, und während eines dieser Hochgefühl-Momente, die während des Laufens eintreten oder unter der Dusche, erkannte ich, was ich beruflich machen wollte. Das, was ich neben dem Laufen am liebsten machte, war Schreiben für die Schülerzeitung. Ich hatte nie daran gedacht, Journalismus zu studieren und so meine beiden Leidenschaften zu verbinden. Ende Juli lief ich drei Meilen täglich. Ich war schweißgebadet. Ich fühlte mich wie eine Königin.
Kapitel 3»Könnt ihr eine Meile laufen?«
Ich traf mit einem leichten Groll, aber auch überglücklich, von zu Hause fortzukommen, im Lynchburg College ein. Überrascht entdeckte ich, dass es dort sehr schön war, freundlich, und – ich gebe es ungern zu – es gefiel mir dort fast auf Anhieb. Ich hatte befürchtet, der ganze Campus wäre von unerträglicher Religiosität geprägt, aber es stellte sich heraus, dass nur die Theologiestudenten die Religion forcierten. Der Rest der Schule war erstaunlich ausgewogen, wenn man bedenkt, dass sie mitten in den fundamentalistischen Süden eingebettet war.
Ein paar der »heiligen« Studenten, die Priester werden wollten, waren aber kleine Teufel! Sie luden Mädchen ins Kino ein und bogen dann stattdessen in eine kleine Landstraße ein und versuchten, dort den Abend zu verbringen. Als mir das zum ersten Mal passierte, blieb ich vor dem Auto auf der Straße stehen und weigerte mich, wieder einzusteigen, bis der Student mir versprach, mich ohne Umweg direkt in mein Studentenwohnheim zurückzubringen. Nach diesem Erlebnis war ich sprachlos, als er mich fragte, ob er mich am nächsten Tag zur Kirche begleiten dürfe, so als sei er die Unschuld in Person!
Die akademische Atmosphäre in Lynchburg gefiel mir. Sie war anspruchsvoll, aber nicht einschüchternd, und die Seminare waren klein genug, um sich als Individuum fühlen zu können. Da ich überzeugt war, Journalistin werden zu wollen – obwohl mein militärischer Vater Journalisten verabscheute, sie »schwatzende linke Typen« nannte, »die nie dem Feind gegenübergestanden hätten« – , studierte ich zum ersten Mal mit Leib und Seele.
Begeistert ging ich zur ersten Sitzung meines Englischseminars am College. Ein Tag, den ich nie vergessen werde. Der Professor hieß Charles Barrett, ein leicht skurriler und bezaubernder Mensch. Er trug uns auf, einen Essay über eine Kurzgeschichte von Orwell zu schreiben. Dann schmunzelte er und referierte über die Schwierigkeit, einem Essay einen guten Titel zu geben. Ein fabelhafter Titel beinhalte entweder »Schlangen« oder »Sex«. Diese beiden Begriffe würden Leser sofort gefangen nehmen. Noch nie hatte ich im Unterricht von einem Lehrer das Wort »Sex« gehört, und ich fand es herrlich verrucht. Ich arbeitete lange an meinem Essay, unterzeichnete ihn mit K. V. Switzer, und in einem mutigen Moment setzte ich den Titel »SEX« darüber. In der nächsten Woche sagte Dr. Barrett, er wolle einen Essay laut vorlesen, und begann mit »Sex«. Ein kollektives Schnappen nach Luft folgte, und ich duckte mich auf meinem Platz. Dann las er die ganze Arbeit vor, erklärte, warum sie gut sei und er die beste Note gegeben habe. Ich war völlig fertig. Als wir den Seminarraum verließen, sagte ein Mitschüler: »Kannst du dir vorstellen, dass jemand diesen Titel gewählt hat?!« Und ich sagte nur: »Ja. Nein.« Ich belegte schließlich alle Englischkurse von Charles Barrett, ebenso Kurse für Kreatives Schreiben und Journalismus, und bald schrieb ich für die Collegezeitung Critograph .
Das einzig wirklich Enttäuschende am LC war das Niveau der Frauenhockeymannschaft – und dann noch der Südstaatenakzent und die Hüfthalter. Wenn man sich einen Dialekt angewöhnt hat, ist es schwer, ihn wieder loszuwerden, und ich fand, dass Frauen mit diesem langsamen Südstaatenakzent weniger ernst genommen wurden als Frauen ohne Akzent. Vor lauter Angst, mir diese sirupsüße Sprache anzugewöhnen, bemühte ich mich um eine hochgestochene Ausdrucksweise. Ich muss wie eine arrogante Ziege geklungen haben, aber ich glaube wirklich, dass mir das später bei meiner Radio- und Fernseharbeit geholfen hat.
Die Hüfthalter – anscheinend trugen alle Mädchen diese grässlichen Gummidinger, die sie von der Taille bis zu den Oberschenkeln versiegelten – waren vordergründig dazu da, die Strümpfe oben zu halten und die Hüften schlanker wirken zu lassen, aber auch schmale Mädchen trugen sie. Warum irgendjemand überhaupt ein Kleidungsstück trug, das den Muskeltonus beeinträchtigte und Pinkeln zu einer zehnminütigen Tortur machte, war mir unbegreiflich, bis ich »den Code« begriff. Irgendwann fiel mir auf, dass meine simplen Baumwollstrumpfhalter gerümpfte Nasen und Kopfschütteln bei meinen Mitbewohnerinnen hervorriefen. Denn der dreifach gewirkte Hüfthalter signalisierte, dass man nicht »leicht zu haben« war. Wie sich später zeigen sollte, waren am Ende des ersten Semesters etliche dieser Latexjungfern schwanger, und ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie sie es geschafft haben, diese Dinger auf dem Rücksitz eines Autos auszuziehen und vor der mitternächtlichen Ausgangssperre wieder anzubekommen.
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