Irgendwann, kurz nach dem Glas, oder vielleicht war es auch vorher, machten sie die Feuer in der Schmelzhütte frühzeitig. Natürlich machten sie sie immer zur selben Zeit. Um neun Uhr abends, aber das war uns nicht klar.
Am Nachmittag hatten wir bei mir auf den Stufen gesessen und die Rollschuhe abgeschnallt, als das große Auto vorgefahren war. Ein glänzend schwarzer Lincoln. Ein Mann saß auf dem Fahrersitz, er trug einen Hut. Er ließ das Fenster an unserer Seite heruntergleiten. »Elektrische Fenster«, sagte Hope. Er fragte, wer im Haus wohnen würde. »Sag’s ihm nicht«, sagte Hope, aber ich sagte es ihm. »Dr. Moynahan.«
»Ist er zu Hause?«
»Nein. Niemand ist zu Hause, außer meiner Mutter.«
»Ist das Mary Moynahan?«
»Mary Smith. Mein Vater ist ein Leutnant im Krieg. Wir bleiben solange hier«, sagte ich.
Der Mann stieg aus dem Auto. Er trug einen Anzug mit Weste und einer Uhrenkette, ein gestärktes weißes Hemd. Er gab jedem von uns einen Silberdollar. Wir hatten keine Ahnung, was das war. Er sagte uns, dass es Dollars waren.
»Werden sie das als Geld in einem Laden annehmen?«, fragte Hope. Er sagte ja. Er ging die Treppe hinauf und klopfte an die Tür. Als niemand antwortete, drehte er an der Metallkurbel, die ein kratzendes Klingeln auslöste. Nach einer Weile ging die Tür auf. Meine Mutter sagte wütende Dinge, die wir nicht hören konnten, und schlug die Tür zu.
Als er wieder nach unten kam, gab er jeder von uns noch zwei Silberdollars.
»Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte mich vorstellen sollen. Ich bin F.B. Moynahan, dein Onkel.«
»Ich bin Lu. Das ist Hope.«
Dann fragte er, wo Mamie sei. Ich sagte ihm, dass sie in der First-Texan-Baptist-Kirche im Stadtzentrum gegenüber der Bibliothek wäre. »Danke«, sagte er und fuhr weg. Wir stopften die Dollars in unsere Socken. Gerade rechtzeitig, denn meine Mutter kam die Stufen hinuntergerannt, Lockenwickler in den Haaren.
»Das war dein Onkel Fortunatus, die Schlange. Wag es nicht, auch nur einer Menschenseele zu sagen, dass er da war. Hörst du mich?« Ich nickte. Sie schlug mir auf Schulter und Rücken. »Sag kein Wort zu Mamie. Er hat ihr das Herz gebrochen, als er weggegangen ist. Hat sie alle dem Hunger überlassen. Es wird sie aufregen. Kein Wort. Verstanden?« Ich nickte noch einmal.
»Antworte mir!«
»Ich sag kein Wort.«
Zur Sicherheit gab sie mir noch einen Klaps und ging wieder hinauf.
Später waren alle zu Hause, jeder in seinem Zimmer, wie üblich. Das Haus hatte vier Schlafzimmer, die auf der linken Seite des Flurs lagen, ein Badezimmer am Ende, und auf der anderen Seite waren die Küche, das Speisezimmer und das Wohnzimmer. Der Flur war immer dunkel. Pechschwarz in der Nacht, blutrot von den Buntglasspiegeln tagsüber. Ich hatte Angst, auf die Toilette zu gehen, bis Onkel John mir beibrachte, an der Haustür zu beginnen und mir immer wieder zuzuflüstern »Gott wird mich beschützen. Gott wird mich beschützen« und wie der Teufel zu rennen. An diesem Tag ging ich auf Zehenspitzen, weil meine Mutter im vorderen Schlafzimmer Onkel John erzählte, dass Fortie hergekommen war. Onkel John sagte, er wünschte, er wäre da gewesen, damit er ihn hätte erschießen können. Dann blieb ich vor der Tür zu Mamies Zimmer stehen. Sie sang Sally in den Schlaf. So süß. »Way down in Missoura when my mammy sang to me.« Als ich aus dem Bad kam, war Onkel John in Großpapas Zimmer. Ich lauschte, als Großpapa zu Onkel John sagte, dass Fortunatus versucht hatte, in den Elks Club hineinzukommen. Großpapa hatte ihm ausrichten lassen, er solle verschwinden, sonst würde er die Polizei rufen. Sie redeten noch ein bisschen weiter, was ich aber nicht hören konnte. Nur Bourbon, der in die Gläser gluckerte.
Schließlich kam Onkel John in die Küche. Ich bekam Eistee, während er trank. Er tat sich Minze ins Glas, damit Mamie glaubte, auch er würde Eistee trinken. Er sagte mir, dass Onkel Fortunatus vor vielen Jahren von zu Hause weggegangen war, als sie ihn gerade wirklich brauchten. Sowohl John als auch Großpapa hatten heftig gesoffen und konnten nicht arbeiten. Onkel Tyler und Fortunatus unterstützten die Familie, bis Fortunatus mitten in der Nacht nach Kalifornien gegangen war. Hatte eine Nachricht hinterlassen, in der stand, dass er genug hätte vom Moynahan-Gesindel. Er hatte nie Geld oder auch nur einen Brief geschickt, kam nicht nach Hause, als Mamie beinahe gestorben wäre. Jetzt war er der Präsident irgendeiner Eisenbahngesellschaft. »Besser, du erwähnst nicht, dass du ihn getroffen hast«, sagte Onkel John zu mir.
Wegen Jack Benny waren alle im Wohnzimmer. Sally schlief weiter. Mamie saß auf ihrem kleinen Stuhl, die Bibel wie immer aufgeschlagen vor sich. Aber sie las nicht darin. Sie sah auf das Buch, und in ihrem alten Gesicht lag ein Ausdruck von Glück. Ich begriff, dass Onkel Fortunatus sie gefunden und mit ihr gesprochen hatte. Als sie aufsah, lächelte ich. Sie lächelte zu mir zurück und schaute wieder nach unten. Meine Mutter stand im Türrahmen, rauchte. Das Lächeln machte sie nervös, und hinter Mamies Rücken warf sie mir lauter Shh!-Zeichen zu und machte Gesichter. Ich schaute sie einfach mit einem ausdruckslosen Blick an, so, als hätte ich keine Ahnung, was sie meinte. Großpapa hörte Radio und lachte über Jack Benny. Er war schon betrunken. Er schwang heftig in seinem Schaukelstuhl vor und zurück und zerriss Zeitungspapier in kleine Streifen, verbrannte sie in dem großen roten Aschenbecher. Onkel John stand trinkend und rauchend im Türrahmen des Speisezimmers, nahm alles in sich auf. Er ignorierte die Zeichen, die meine Mutter ihm gab, damit er mich aus dem Zimmer brachte. Ich nahm an, dass auch er sah, wie Mamie lächelte. Meine Mutter machte husch! zu mir, damit ich ging. Ich gab vor, es nicht zu bemerken, und sang die Werbung von Fitch mit: »Wenn dein Kopf juckt, nicht kratzen! Fitch nehmen! Benutz deinen Kopf! Rette dein Haar! Nimm Fitch Shampoo!« Sie schaute mich so böse an, dass ich es nicht aushielt, also holte ich einen Silberdollar aus meiner Socke.
»Hey, guck mal, was ich gekriegt habe, Großpapa!«
Er hörte auf zu schaukeln. »Wo hast du das her? Du und die blöden Araber, habt ihr das gestohlen?«
»Nein. Es ist ein Geschenk!«
Meine Mutter schlug mir ins Gesicht. »Du miese kleine Göre!« Sie schleifte mich aus dem Zimmer und warf mich zur Tür hinaus. In der Erinnerung kommt es mir so vor, als hätte sie mich am Schlafittchen gepackt wie eine Katze, aber ich war schon sehr groß, also kann das nicht stimmen.
Sobald ich draußen war, rief Hope, ich sollte schnell rüberkommen. »Sie verbrennen heute frühzeitig!« Das meine ich damit, dass wir dachten, es wäre frühzeitig. Es war einfach noch nicht dunkel gewesen.
Gewaltige Schwaden und Fahnen schwarzen Rauchs stiegen aus dem Schornstein hoch in die Luft, drehten sich und wirbelten mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit herum, die Schwaden breiteten sich über unserem Viertel aus, und es war, als wäre schon Nacht, mit nebligen Rauchfahnen, die über die Dächer und in die Gassen hinunterkrochen. Der Rauch wurde dünner und tanzte und breitete sich weiter über dem gesamten Zentrum aus. Wir konnten uns nicht bewegen. Tränen rannen uns aus den Augen wegen des übelriechenden Brennens und Gestanks der Schwefelabgase. Aber als der Rauch sich über dem Rest der Stadt auflöste, war er genauso von unten beleuchtet wie das Glas von der Sonne, und so wurde sogar Rauch zu Farben. Schönes Blau und Grün und das schillernde Violett und Säuregrün von Benzin in Pfützen. Ein flackerndes Gelb und ein rostiges Rot und dann vor allem ein weiches, moosiges Grün, das sich auf unseren Gesichtern spiegelte. Hope sagte: »Igittigitt, deine Augen haben diese ganzen Farben angenommen.« Ich log und sagte, ihre auch, dabei waren ihre Augen so schwarz wie immer. Meine hellen Augen wechseln wirklich die Farbe, also haben sie sich wahrscheinlich tatsächlich in den Spiralen des Rauchs verfärbt.
Читать дальше