„Aber nicht, wenn Sie in trunkenem Zustand Auto fahren!“
„Ich bin nicht Auto gefahren, schon seit drei Tagen nicht.“
„Wer dann?“
„Ich.“ Die beiden Polizisten drehen sich verwundert um. Felix Stürzler steht hinter ihnen, den Kopf schuldbeladen gesenkt. Die beiden Polizisten entschuldigen sich und nehmen Felix Stürzler in ihre Mitte.
13.46 Uhr! – Ich bin endlich allein. Vor Felix habe ich vorerst Ruhe. Ich überlege einen Moment, ob ich noch einmal den Computer anmachen soll, entschließe mich aber, den heutigen Arbeitstag zu beenden.
13.49 Uhr! – Das Telefon klingelt. „Hast du endlich unseren Fernseher geholt?“ – Der Fernseher, schreie ich innerlich auf. „Tut mir leid, es ist etwas dazwischengekommen.“
„Dazwischengekommen!?“, brüllt meine Frau. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“
„Das frage ich mich mittlerweile auch.“
„Auf der Stelle holst du unseren Fernseher!“
„Das ist im Moment nicht möglich.“
„Was soll das heißen, nicht möglich?“
„Felix ist nicht zu Hause. Vor einer halben Stunde wurde er verhaftet.“
„Verhaftet? Weshalb?“, flötet meine Frau schadenfroh durchs Telefon.
„Er hat einen schweren Unfall verursacht und ist danach abgehauen.“
„Ich hab’s immer gewusst, eines Tages geht es diesem Verkehrsrowdy an den Kragen“, weiß meine Frau und sagt mit tiefster Verachtung: „Das sieht diesem Feigling ähnlich, Fahrerflucht!“
„Und das auch noch mit unserem Auto“, ergänze ich der Vollständigkeit halber.
„Sag das noch mal!“, schreit meine Frau hysterisch.
Schweren Herzens erfülle ich ihr diesen Wunsch.
„Das ist ja interessant, das ist ja hochinteressant“, sprüht sie ihren Zynismus durch die Leitung. „Erst gibst du diesem Choleriker unseren Fernseher und dann auch noch das Auto. Ich möchte wetten, du hast heute noch keinen müden Euro verdient.“
„Aber hundert Euro ausgegeben, für ein mittelmäßiges Bild von Richard Querstrich.“
Man sollte am Sonntagabend, zur besten Krimizeit, nie ans Telefon gehen. Anrufe um diese Zeit bringen in der Regel nichts Gutes. Wie oft habe ich mir schon geschworen, diesen aufdringlichen Klingelton einfach zu ignorieren. Wichtige Anrufe sind eh nie dabei.
Als es letzten Sonntagabend bei uns klingelte, gewann ich den Spurt zum Telefon. Es war ein wichtiger Anruf, und er war für mich.
„Ich brauche dich, dringend!“, hauchte eine zarte Frauenstimme. Sie gehörte Martina Stiebstein, einer blutjungen Zeitungsredakteurin.
„Bist du allein zu Hause?“
„Ich sitze in der Redaktion, in anderthalb Stunden ist Redaktionsschluss, und mir fehlt noch immer ein Beitrag“, erklärte sie ohne Umschweife und schien meine anzügliche Frage überhört zu haben.
„Wie soll ich denn in neunzig Minuten einen Beitrag herzaubern?“, fragte ich ratlos.
„Es handelt sich um eine Filmkritik.“
„Ist das nicht Schmierfinks Sache?“
„Der hat sich heute Morgen den Arm gebrochen, beim Tennis.“
„Und die anderen, die sonst die Kritiken schreiben?“, versuchte ich abzulenken.
„Büchner ist im Urlaub, Niesenstiesel in den Flitterwochen und Schoppentau bei einem Redaktionslehrgang in Frankfurt. Und jetzt hat mich unser verehrter Herr Chefredakteur mit der Filmseite beauftragt.“
„Ein Unglück kommt zum Zelten nie allein“, scherzte ich.
„So ist es“, bestätigte Martina Stiebstein. „Jetzt kann mir nur noch einer helfen, und das bist du.“
„Was bekomme ich für diesen Gefallen?“
„Den üblichen Satz.“
„Damit kann man aber keine großen Sätze machen“, hielt ich dagegen.
„Falls du an etwas anderes gedacht hast – tut mir leid, ich bin verheiratet.“
„Ich auch.“
„Uwe, bleibe bitte ernst! Für mich ist das ziemlich wichtig.“
„Okay, um welchen Film handelt es sich?“
„Tatort.“
„Welchen?“
„Den von heute Abend.“
„Hab ich aber leider nicht gesehen“, bedauerte ich erleichtert.
„Denkst du, Büchner, Niesenstiesel und Schoppentau sehen sich die Filme an, die sie hinterher verreißen?“
„Aber Filmkritiken liegen mir nun mal nicht“, begann ich, mich wie ein Wurm zu winden.
„Winde dich nicht wie ein Wurm!“, kam es ungehalten aus dem Hörer. „Filmkritiken können bereits Zehnjährige schreiben. Dazu gehört gar nichts.“
„Und was schreibt man da so?“
„Na, zum Beispiel, dass die Handlung ziemlich geradlinig war, wodurch keine echte Spannung aufkommen wollte, und außerdem wären die Dialoge alles andere als umgangssprachlich gewesen, sondern wirkten steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen.“
„In einer Stunde maile ich dir meine Kritik!“, versicherte ich Martina Stiebstein. Ich wäre ja bescheuert, mir für so einen läppischen Text die hundert Euro durch die Lappen gehen zu lassen.
Also setzte ich mich sonntagabends an meinen Computer und schrieb die erste Filmkritik meines Lebens. Als ich sie über die Datenautobahn jagte, hielt ich sie für die beste, die ich je verfasst hatte. Ich schrieb meine ehrliche Meinung, offen und schonungslos – ohne Rücksicht auf Verluste. Immerhin war ja die Handlung ziemlich geradlinig, wodurch keine echte Spannung aufkommen konnte, und außerdem waren die Dialoge alles andere als umgangssprachlich, sondern wirkten steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen.
Als ich den Text noch einmal las, konnte ich nur noch den Kopf schütteln, welch schwachsinnige Streifen die Sender ihren zahlenden Zuschauern zumuten. Der Intendant sollte sich schämen. Der Intendant schämte sich nicht, er rief mich an.
„Sind Sie der Autor dieser Filmkritik?“ Er klang verärgert.
„Ganz recht“, antwortete ich standhaft, „und ich stehe dazu!“
„Prima“, erwiderte er, und seine Stimme wurde freundlicher. „Ich möchte Sie gern sprechen! Persönlich, unter vier Augen!“
„Das ehrt mich. Wann passt es Ihnen?“
„Sagen wir morgen, um drei Uhr nachmittags!“
„Und wo treffen wir uns?“
„Sie kommen ins Funkhaus, in mein Büro!“
„Ich werde pünktlich sein.“
„Das will ich hoffen!“
Mir mussten die Sicherungen durchgeknallt sein. Erst nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, wurde mir klar, dass das eine Falle war. Eine Einladung zum Intendanten einer Fernsehanstalt nach einem saftigen Filmverriss konnte doch nichts Gutes bedeuten. Ich rief Martina Stiebstein an und beichtete ihr das Unheil, das sich drohend über mir zusammenbraute.
„Ich hoffe, du gehst nicht hin.“
„Morgen Nachmittag drei Uhr.“
„Dann zieh dich warm an! Oder besser noch, regle gleich deinen testamentarischen Nachlass!“
Ich wollte weder das eine noch das andere. Viel mehr erwog ich, diesen Termin einfach platzen zu lassen. Aber was sollte ich antworten, wenn Martina Stiebstein mich fragen würde, wie es gelaufen sei. Feigheit vorm Feind? Das wollte ich mir unter keinen Umständen nachsagen lassen, dann würde ich schon lieber den heldenhaften Tod durch eine Intendantenkugel sterben. Natürlich fuhr ich nicht ins Funkhaus, ohne mich vorher warm angezogen und mein Testament aufgesetzt zu haben. Man kann ja nie wissen.
Als die Sekretärin hinter mir die Tür schloss, sprang der Intendant aus seinem Ledersessel und stürzte sich auf mich. Im ersten Moment glaubte ich, nicht durch eine Pistolenkugel ins Jenseits befördert zu werden, sondern durch die bloßen Hände dieses Fleischklopses. Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle ab. Aber der Intendant hatte plötzlich ein strahlendes Lächeln aufgesetzt und führte, wie ich im zweiten Moment feststellte, keine mörderischen Absichten im Schilde.
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