Mia C. Brunner
Schattenklamm
Kriminalroman
GRENZÜBERSCHREITEND Auf einem Parkplatz in Kempten wird ein Mann kaltblütig und scheinbar völlig grundlos erschossen. Der einzige Hinweis, dem der Kemptener Hauptkommissar Florian Forster nachgehen kann, führt nach Hamburg. So gerät die ehemalige Hamburger Hauptkommissarin Jessica Grothe, die seit einigen Monaten im Allgäu wohnt, zuerst in die Rolle der Verdächtigen, dann unfreiwillig in die der Ermittlerin. Im Umfeld des Ermordeten scheint niemand ein Motiv zu haben. Erst als Hauptkommissar Forster plötzlich spurlos verschwindet, begreift Jessica die wahre Tragweite dieses dramatischen Falles und erkennt, in welcher Gefahr sie und ihre Familie schweben. Kann sie die drohende Katastrophe zusammen mit Hauptkommissar Forsters Kollegen noch rechtzeitig verhindern? Oder wird es noch mehr unschuldige Opfer geben? Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt.
Mia C. Brunner wurde in Wedel in der Nähe von Hamburg geboren. Seit fast 15 Jahren lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im Allgäu. Waren es früher nur Kurzgeschichten, die sie für ihre Kinder schrieb, machte sie später ihre ersten Krimierfahrungen mit selbstverfassten Dinnerkrimis, in denen sie ihre Faszination fürs Schreiben und ihre Leidenschaft fürs Kochen verbinden konnte. Nach »Schattenklamm« und »Schonfrist«, ebenfalls erschienen im Gmeiner Verlag, ist »Tödliche Klamm« ihr dritter Allgäukrimi.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Mordsklamm (2020)
Tödliche Klamm (2019)
Schonfrist (2017)
Schattenklamm (2016)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
4. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © pathip – Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-4960-4
»Nein danke, wirklich nicht.« Martin Hansen schüttelte nicht nur vehement den Kopf, sondern hob zusätzlich noch abwehrend die Hand.
»Ach, komm schon, Martin. Das wird doch lustig.« Die junge gut aussehende Frau mit der etwas ungewöhnlichen dunkelbraunen Lockenpracht legte herausfordernd ihren Kopf leicht schräg und lächelte, unterstrich ihre Geste noch mit einem ausgedehnten »Bitte«, und zog schließlich schulterzuckend ab, als Martin erneut dankend, doch dieses Mal etwas rüder, ablehnte.
»Es reicht mir schon, dass ich überhaupt hier sein muss, da will ich mich nicht auch noch bei dämlichen Partyspielen zum Affen machen«, zischte er seinem besten Freund und Kollegen Wolfgang zu, der neben ihm stand und zustimmend nickte. Diese Party hier war der reinste Kindergeburtstag.
Doch die jährliche Weihnachtsfeier im hiesigen Polizeirevier war eine Pflichtveranstaltung, vor der man sich nicht so leicht drücken konnte. Wie in jedem Jahr wurde die Kantine in einen Partyraum umgewandelt, winterlich geschmückt und mit allerlei stimmungsvollen Liedern beschallt. Die Kolleginnen und Kollegen der Davidwache im Hamburger Stadtteil St. Pauli feierten ausgelassen, sangen vergnügt und lauthals die abgedroschenen Weihnachtslieder mit, die von Schnee, Schlittenfahrten und klingenden Glöckchen handelten, und aßen und tranken viel zu viel. Von weißer Weihnacht waren die Reeperbahn und ganz Hamburg jedoch weit entfernt. Draußen fielen dicke Tropfen auf den Asphalt und die wenigen Menschen, die sich bei diesem Wetter überhaupt auf die Straße trauten, liefen tief gebückt, mit hochgestellten Mantelkrägen oder unter großen Schirmen vor Nässe geschützt, so schnell sie konnten zu dem Ziel ihrer Träume. Selbst die Nutten hatten sich heute in ihre Löcher verkrochen. Kundschaft gab es bei diesem Wetter höchstens in der Herbertstraße oder in den unzähligen schillernden Klubs, die an so einem verregneten Tag nicht nur Amüsement, sondern auch Wärme und Trockenheit boten. Es würde ein ruhiger Abend für die diensthabenden Polizisten werden und das war gut so, denn richtig feiern konnten die Beamten nur, wenn sie wussten, dass ihre arbeitenden Kollegen nichts auszustehen hatten.
Polizeiobermeister Wolfgang Reuter lehnte mit dem Rücken an der Wand neben der Tür, die linke Hand in der Hosentasche, die rechte hielt ein Glas Bier. Er zog es genau wie Martin vor, den ganzen Trubel aus der Ferne zu beobachten.
»Hallo, ihr beiden!« Eine kleine rothaarige, etwas untersetzte Frau baute sich vor ihnen auf. »Warum probiert ihr nicht den Punsch? Zu Weihnachten trinkt man doch kein Bier«, sagte sie und versuchte dabei, recht streng und ermahnend zu schauen. Da sie aber aufgrund ihrer gerade mal einsfünfundfünfzig weit zu den beiden Männern hochschauen musste und da noch dazu ihre Augen strahlten, sei es nun, weil sie sich so sehr amüsierte oder weil sie selbst schon ein paar Gläser Punsch intus hatte, verlor die gespielte Strenge ihre Wirkung und alle drei prusteten wie auf Kommando los.
»Nee, Irene, vielen Dank.« Martin schüttelte heftig den Kopf. »Ich verarbeite immer noch den Alkohol von der letzten Weihnachtsfeier. Das Zeug war die Hölle.« Wolfgang stimmte lachend in das Kopfwackeln ein, nur dass er im Gegensatz zu seinem Freund heftig nickte.
»Genau«, brummte er. »Ich war drei Tage tot nach diesem Teufelszeug. Das will ich nicht noch einmal riskieren. Morgen ist ein Ausflug mit den Kindern geplant«, erklärte er, hob sein Glas und prostete ihr lächelnd zu. Irene war sozusagen die gute Seele der Wache. Als Schreibkraft erledigte sie unliebsame Tipparbeiten genauso wie die Vorsortierung der Post. Außerdem kochte sie den besten Kaffee von ganz Hamburg und hatte ein offenes Ohr für die Probleme der Kollegen und immer einen kessen Spruch auf den Lippen. Wolfgang mochte sie sehr und wusste, dass es nicht nur ihm so ging.
»Gestorben ist noch keiner an dem Punsch«, kicherte Irene nun und schlug ihr Glas klirrend an das Bierglas von Wolfgang. »Du gibst allerdings eine prima Zielscheibe ab«, flüsterte sie augenzwinkernd und tippte Wolfgang mit dem Zeigefinger auf die Brust. Genau über seinem Herzen leuchtete ein blutroter, kreisrunder Fleck. »Ketchup?«, fragte sie, grinste breit und ließ die beiden Männer einfach stehen.
»Scheiße, so ein Mist.« Fluchend rieb Wolfgang mit dem Hemdärmel über seine Brust. Natürlich hatte diese Aktion nur zur Folge, dass der Fleck größer wurde und der Ärmel ebenfalls rote Farbe annahm. »Warum hast du denn nichts gesagt?« Vorwurfsvoll schaute er seinen Freund an, der nur entschuldigend die Schultern hob, reichte ihm schließlich sein Bierglas mit den Worten: »Sofort die Luft rauslassen. Bin gleich wieder da« und verließ die Kantine in Richtung Umkleideräume.
Wolfgang Reuter war Streifenpolizist mit Herz und Seele. Er liebte seinen Job, mochte sein Revier und war gleichermaßen beliebt bei Arbeitskollegen und den Menschen auf der Straße. Natürlich nicht bei denen, die Dummheiten machten, die meinten, das Gesetz könnte hier und da etwas gebeugt werden zu ihren Gunsten. In diesen Dingen verstand Wolfgang überhaupt keinen Spaß. Und ebenso wenig mochte er Unordnung und Dreck. Er war einer der wenigen Polizisten, dessen Schreibtisch immer aufgeräumt, dessen Kleidung immer sauber und dessen Ausdrucksweise immer korrekt war. Ein kleiner Fehler, eine kleine Unachtsamkeit hatte große Folgen, also lebte er mit dem Vorsatz, allen Unwägbarkeiten schon im Vorfeld vorzubeugen.
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