Ulrich Brunner
Lernen S’
Geschichte,
Herr Reporter!
Bruno Kreisky
Episoden einer Ära
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1. Auflage
© 2020 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
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Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Umschlagmotiv: © ullstein bild - Imagno
ISBN 978-3-7110-0263-1
eISBN 978-3-7110-5288-9
Für Marina und Julian
Vorwort
Prolog
Ein Brief von Bruno Kreisky
Mein Weg zum Journalismus
Bei den sozialistischen Studenten
Der Niedergang der Arbeiter-Zeitung
Kreiskys Weg ins Kanzleramt
Kreisky im Gefängnis
Schwierige Rückkehr nach Österreich
Der Parteitag 1967
Zwischen Otto Bauer und Karl Renner
Kreisky auf Renner-Kurs
Der Einzelkämpfer
Die Traumata Kreiskys und Brandts
Kreisky und die »kleinen Leute«
Die Arbeiter und die Republik
Kreisky und die Journalisten
Erstes Telefonat mit Kreisky
Die Quadratur des Kreisky
Wie Kreisky Journalisten »einkochte«
Das Pressefoyer
Der Meister der präzisen Unschärfe
Die Generalvollmacht
Wie ich die Gunst Kreiskys verlor
»Lernen S’ Geschichte, Herr Reporter!«
Der Nimbus des Unbesiegbaren
Der unbeherrschte Kreisky
Der rastlose Politiker
Der Fall Schranz als Medienereignis
Kreisky und Bacher
Kreisky und die Macht
Politik als Kunst des Möglichen
Broda und Androsch als Zugpferde
Kreisky und Androsch
Ex-Nazis in Kreiskys Regierung
Der charismatische Kreisky
Kreisky und die Fristenlösung
Kreisky und die Frauenbewegung
Kein Leben ohne Politik
Kreisky und die Schulden
Kreisky und das Judentum
Die Juden in der Sozialdemokratie
Die Angst vor dem Antisemitismus
Die Wiesenthal-Affäre
Parallelen zwischen Kreisky und Rathenau
Kreiskys Humor
Kreiskys jüdische Identität
Das Ende der Ära Kreisky
Das Mallorca-Paket
Der schwerkranke Kreisky
Kreisky im Alter
Der Narzisst
Das Leiden von Politikerkindern
Das Ende
Epilog
Mein Abschied von der SPÖ
Postskriptum
Bibliografie
Personenregister
Zeittafel
Bildnachweis
2020 ist es 50 Jahre her, dass Bruno Kreisky die erste SPÖ-Alleinregierung der Zweiten Republik gebildet hat, vor 30 Jahren ist er in einem Staatsakt zu Grabe getragen worden. Er war gemeinsam mit Willy Brandt und Olof Palme eine der großen Gestalten der Sozialdemokratie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Parteiführer stehen für das goldene Zeitalter der Sozialdemokratie, die im Positiven wirkmächtigste politische Bewegung des 20. Jahrhunderts. Ein Blick zurück lässt den Niedergang der Sozialdemokratie umso deutlicher hervortreten.
Die Sozialdemokratie droht heute an einer Gemengelage zu scheitern, die nicht leicht aufzulösen ist. Hauptursache ist wohl die Globalisierung, also der freie Warenverkehr, dem in den letzten Jahren auch ein ziemlich unkontrollierter Menschenverkehr durch Migration und Asyl folgte. Der freie Warenverkehr hat schon länger zu einem schleichenden Wohlstandstransfer von den entwickelten Ländern in Entwicklungs- und Schwellenländer geführt. Das begann schon ab 1960, als die Textilindustrie nach Asien übersiedelte, dann folgte die Fotoindustrie, wofür in Österreich beispielhaft der Niedergang des Radio- und Kameraherstellers Eumig steht. Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums 1990 hatten westliche Konzerne plötzlich gut ausgebildete Industriearbeiter vor der Haustür, die billiger waren als einheimische Fachkräfte. Also wanderten wieder ganze Branchen ab. Eigentlich hätte die Abwanderung ganzer Industriezweige zu einem geringeren Einkommen der arbeitenden Menschen in den westlichen Industrieländern führen müssen. Das wurde aber durch neue Staatsverschuldung abgemildert.
Von ihrem programmatischen Anspruch her hätte die Sozialdemokratie Verständnis dafür zeigen müssen, dass auch Menschen in anderen Ländern Wohlstand haben wollen – und dass dies zum Teil auf Kosten der westlichen Welt gehen wird. Es wäre nicht einfach gewesen, das den Wählern zu erklären. Es ist erst gar nicht versucht worden. Noch schwieriger ist es, den eigenen Wählern zu vermitteln, dass Menschen als Migranten oder Flüchtlinge hierherkommen, weil in ihren Heimatländern der Aufbau eines demokratischen Wohlfahrtstaates gescheitert ist – durch Religion, Tradition und übergroßes Bevölkerungswachstum.
Diese Menschen kommen mit Wertvorstellungen, die in ihren Heimatländern genau zu jenen Zuständen geführt haben, vor denen sie emigriert oder geflüchtet sind. Sie legen diese Wertvorstellungen aber mit dem Erreichen Europas nicht ab. Dies führt zu Konflikten im Zusammenleben mit Einheimischen, die die sozialdemokratischen Parteien gröblich unterschätzt haben. Das Entstehen von Parallelgesellschaften, die Probleme in den Schulen, vor allem mit Kindern aus moslemischen Familien – das alles wurde weitgehend ignoriert. Die SPÖ stellte sich zum Migrationsthema zu lange tot. Dass die SPÖ keine klare Haltung in der Migrationsfrage entwickelt hat, hängt wohl mit der Angst vor einer Spaltung der Partei zusammen. Eine linke Minderheit steht für Verklärung von Multikulturalität, die Mehrheit findet den Anteil der Ausländer zu hoch, plädiert für geschlossene Grenzen. Die einen sehen Zuwanderung aus anderen Kulturen als Bereicherung, vor allem Unterschichten empfinden die Einwanderer als Konkurrenten am Arbeitsmarkt und um Sozialleistungen. Da sich die SPÖ nicht entscheiden kann, rinnt sie nach allen Seiten aus: die Multikulti-Fans zu den Grünen, die Migrationskritiker zur Kurz-ÖVP, zur FPÖ. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Klima-Debatte, wo die SPÖ viel zu spät reagiert hat.
Die SPÖ steht heute vor einer völlig neuen Situation. Früher bestand die Gesellschaft aus Klassen. Die SPÖ wurde grosso modo von den Arbeitern gewählt, die ÖVP von Bauern, Unternehmern und Beamten. Ex-Nazis aus allen Schichten wählten VdU, dann FPÖ. Kreisky war der erste SPÖ-Vorsitzende, der dies durchbrochen hat, indem er der SPÖ fernstehende Wähler einlud, »ein Stück des Weges mit der Sozialdemokratie zu gehen«. Die alte Klassengesellschaft gibt es heute nicht mehr. Heute definieren sich die Menschen nach ihrer Lebenswelt. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat in einer großen Untersuchung festgestellt, dass die Gesellschaft in viele Milieus zerfällt: sozial Engagierte, verdrossene Kleinbürger, leistungsorientierte Liberale, politikferne Einzelkämpfer, antimoderne Konservative, Hedonisten, desillusionierte Abgehängte usw. Alle diese Gruppen sind von einer Partei allein nicht mehr ansprechbar – jedenfalls nicht von einer linken. Rechte Populisten haben es da leichter.
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