Feindseligkeit gegenüber Journalisten war mir auch vor Battle Creek begegnet. Dafür muss man dieser Tage nicht mehr über antidemokratische Regime schreiben oder sich mit Diktatoren anlegen. In den Jahren vor der Rückkehr in die USA hatte ich mich als Reporter mit dem Themenkomplex Rechtspopulismus, AfD, Pegida und auch Rechtsterrorismus beschäftigt. Mein Berufsstand ist nicht gerade populär bei den Neuen Rechten. »Lügenpresse, Lügenpresse« – das Geschrei kenne ich von ostdeutschen Marktplätzen und vor allem von Dresdener Demonstranten. Bei einem Pegida-Aufmarsch auf der Dresdener »Cockerwiese« musste ich erleben, was Sportreportern gelegentlich von ultragewalttätigen Hooligans widerfährt: Das sogenannte Ü-Wagen-Schütteln. Der verharmlosende Begriff meint tätliche Angriffe auf Übertragungswagen. Das Demolieren der Fahrzeuge, aber auch physische Angriffe auf Tontechniker und Reporter. An jenem Abend in Dresden hatten uns äußerst aggressive Pegidisten umzingelt. Hatten versucht, unser Fahrzeug umzuwerfen. Hatten uns Prügel angedroht. In den USA habe ich Handgreiflichkeiten zwischen Trump-Anhängern und Journalisten nie erlebt. Auch nicht davon gehört. Aber es sagt viel aus über eine Gesellschaft, wenn nicht ein Freizeitagitator wie Lutz Bachmann in Dresden seine Anhänger gegen Reporter aufhetzt, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten das tut. Wie in Battle Creek. Fühlt sich nicht gut an.
Auf der Trump-Rally in Battle Creek habe ich es nur kurz im sicheren Journalistengehege ausgehalten. Schließlich war ich hierhergereist, um mit Anhängern des polarisierenden Präsidenten ins Gespräch zu kommen. Ging nicht in der Halle, geht vielleicht außerhalb, in den Gängen mit den Bierständen und den Souvenirbuden. Das ist einen Versuch wert: Hier müssen die Menschen Schlange stehen, hier müssen sie Zeit totschlagen und hier würden sie vielleicht erfreut sein über eine kleine Abwechslung. Ich stelle mich also bei den Wartenden als Reporter aus Deutschland vor. »Ach, von so weit sind Sie gekommen?« – »Nein, nein, ich bin ja als USA-Korrespondent in DC stationiert.« – »Ach so …«
Zunächst komme ich mit Christin ins Gespräch. Die Mittvierzigerin ist extra aus dem Nachbarstaat Indiana angereist. »Ich liebe ihn!«, sagt Christin über Trump, »weil er den Sumpf trockenlegt. Nicht nur zum Wohle Amerikas, sondern für die ganze Welt!« Den Sumpf trockenlegen: »Drain the Swamp!« Das hört man immer wieder, wenn außerhalb von Washington DC die Rede auf Politik kommt. »The Swamp«, der Sumpf, das ist das faulige, modrige Politmilieu. Der »Deep State«: eine Verschwörung aus korrupten Bürokraten, die sich seit Jahr und Tag auf Kosten des übrigen Amerikas bereichern. Die nicht das Allgemeinwohl im Sinne haben, sondern ausschließlich ihre eigenes und das ihrer Subkultur. Elitär sind die, und Globalisten, keine Patrioten. »Globalist elitists« – das ist unter Trump-Anhängern das vernichtendste Schimpfwort. Sogar noch vor Fake News. Den »globalistischen Eliten« hat Trump, der politische Quereinsteiger, den Kampf angesagt: »Drain the Swamp!« Und wie recht er damit hat, zeige sich am erbitterten Widerstand des »Deep State«, findet Christin. Die Demokraten seien die Partei der elitären Globalisten. Elitär, weil sie auf Leute wie Christin herunterblicken. Globalisten, weil sie an der Globalisierung verdienen, während Leute wie Christin ihre Jobs verlieren. Trump hole die Jobs zurück nach Amerika. Deshalb wollten die Globalisten ihn vernichten. »Was mich am meisten stört, was mich mehr als alles andere wütend macht«, sagt Christin, »ist, dass die unseren Präsidenten als russischen Spion anklagen wollten, wegen Hochverrats!« Gemeint ist die Untersuchung wegen angeblicher russischer Wahlmanipulation zugunsten Trumps. »How dare they?«, fragt Christin an die Adresse von Trumps Widersachern, »how dare they?« Eine bewusste Anspielung auf die berühmte Greta-Thunberg-Phrase. »Wir sind wütender denn je!«, sagt sie. Wie Greta.
Ein älterer Herr, ein paar Schritte weiter, hat weniger Schaum vor dem Mund als Christin. »Gegen Erfolg lässt sich schlecht argumentieren«, sagt er mir. Gemeint ist Trumps Wirtschaftsbilanz. Das Jobwunder, das Amerika unter diesem Präsidenten erlebt hat. Die Corona-Krise ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abzusehen. Weiter hinten in der Schlange steht ein jüngerer Mann. »Das ist der am härtesten arbeitende Präsident aller Zeiten«, schwärmt er. »Eine ehrliche Haut!« Ehrlich? Wirklich? Ausgerechnet Trump, der sich die Realität so gerne zu seinen Gunsten zurechtbiegt? »Der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube«, sagt mir Lisa, eine ältere Dame aus Battle Creek. Trump sei authentisch. Man wisse immer, was er denkt! Und seine Tweets seien eine prima Sache: Wann hatte man je einen derart tiefen Einblick in das, was der Präsident der Vereinigten Staaten gerade denkt. Was ihn umtreibt. Etwas kleinlaut frage ich, ob es Lisa nicht stört, wie zornig und hasserfüllt Trump gegen seine Gegner austeilt. »Ich finde es gut, dass er so gradeheraus ist«, kontert Lisa. Das Impeachment-Verfahren jedenfalls sei eine völlige Zeitverschwendung; darin sind sich alle, mit denen ich in Battle Creek spreche, einig. Seit 2016 würden der Sumpf und der »Deep State« versuchen, Trump aus dem Amt zu befördern und die Wahl ungeschehen zu machen. Das sei ein Dauerangriff auch auf sie, die Trump-Unterstützer. »Je härter sie zuschlagen«, sagt Christin, »desto stärker werden wir!« Und wer nicht in völlige Verzückung über Trump gerät, der rechnet mir ganz nüchtern dessen Erfolgsbilanz vor: »Was haben denn die Demokraten in all den Jahren unter Obama erreicht?«, fragt mich ein älterer Herr. Und hat gleich auch die Antwort parat: »Nichts!« Trump habe in kürzester Zeit so viel geschafft: »I want more of it!« Davon habe er noch lange nicht genug. Authentisch sei dieser Präsident: Der hält, was er verspricht. »Promises made, promises kept!«
Ich schlendere wieder zurück in den Pressepferch. Trump steht noch immer am Rednerpult. Rechts und links davon stehen Weihnachtsbäume, auf deren Spitzen Wahlkampfkappen mit dem »Make America Great Again«-Logo, MAGA, thronen. Gerade erklärt Trump, dass man es ihm persönlich zu verdanken habe, dass Amerika wieder »Merry Christmas!« wünschen dürfe. Und nicht mehr politisch korrekt »Happy Holidays!« sagen müsse, wie es die säkularen Eliten eingeführt hätten. »Ihr seid die Elite!«, brüllt Trump seinen Fans zu. Die Halle kocht.
Zum Ausklang des Abends plärrt wie immer »You can’t always get what you want!« von den Rolling Stones aus den Lautsprechern. Keine Ahnung, warum Trump ausgerechnet an diesem Song einen Narren gefressen hat. Ich kann mir kein Motto vorstellen, das noch weniger zu seiner Person passt. Während der Trump-Show läuft eine Handvoll von anderen Songs in Dauerschleife: »Sympathy for the devil«, noch ein Stones-Titel. Und »Macho man!«, von den Village People. Bei dem singen fast alle mit. Trumps Dauer-Tournee bringt die immer gleiche Show auf die Bühnen. Variationen gibt es je nach tagespolitischer Themenlage. Aber das Kerngerüst bleibt gleich. Trump teilt aus. Verletzend, gehässig, unter der Gürtellinie. Dem Publikum stockt der Atem. Na, der traut sich was! Eine Mischung aus Befremden und Bewunderung entsteht bei seinen Zuhörern. Ein bisschen wie bei Dieter Bohlen in Deutschland. Dann breitet Trump seine Arme aus. Geschickt versteht er es, sich zum Anwalt und Interessenwahrer seiner Unterstützer zu stilisieren. Seine Kulturrevolution: Das ist kein Egotrip. Das ist eine Massenbewegung! Sie kommt eigentlich aus der Mitte des Volkes. Trump hat sie lediglich entfesselt. Nun ist es ein Gemeinschaftsprojekt. Weil Trump selbstlos vorausschreitet, lässt man ihm auch so manches durchgehen. Das endlose, eitle Eigenlob? Geschenkt! »Everything he does is for the American people«, hatte mir ein Teilnehmer in Battle Creek erklärt. »We the people!« Mit diesen drei Worten – »Wir, das Volk« – beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten.
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