Thomas Breuer - Leander und die Stille der Koje

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Nahmen Rickmers, Leiter des Hegerings Föhr, wird in der Boldixumer Vogelkoje tot aufgefunden. Der Leiter der Inselpolizei, Torben Hinrichs, will vor allem den guten Ruf des Toten schützen. Also verwischt er Spuren, die darauf hindeuten, dass sich Rickmers wegen eines außerehelichen Verhältnisses im Kojenwärterhäuschen aufgehalten haben könnte, und lenkt den Verdacht auf den Umweltschutzverein Elmeere, der seit Jahren von den Bauern und Jägern der Insel massiv bekämpft wird. Der Bürgermeister erreicht über seine Kontakte ins Innenministerium, dass das LKA den Fall übernimmt. So bekommt Lena Gesthuysen, Kriminalhauptkommissarin des LKA, die Leitung der Ermittlungen übertragen. Sie stürzt sich statt in einen erholsamen Urlaub in die Ermittlungen und frisst sich innerhalb kürzester Zeit in den Intrigen und Wirrnissen der Inselverhältnisse fest. Ihr Freund Henning Leander greift schließlich trotz ihres Verbotes mit Hilfe seiner Skatfreunde in die Ermittlungen ein.

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Bennings und Dernau lachten und wandten sich wieder dem Nebenraum zu.

»Hinrichs und Chef der Mordkommission«, hörten die beiden Kriminalbeamten den Polizeibeamten noch sagen, als sie schon wieder in ihrem Büro waren, »das ist wirklich klasse! Der findet im Dunkeln nicht mal seinen eigenen Arsch, wenn ich ihm nicht die Kerze halte.«

Dernau grinste breit und schloss die Tür hinter sich. »Unser Freund Vedder kennt seinen Chef aber gut.«

»Kein Wunder, arbeite du mal jahrelang mit so einer Flitzpiepe zusammen«, kommentierte Bennings und fügte vorsichtshalber hinzu: »Kein falsches Wort jetzt! Hüte deine Zunge!«, bevor Dernau zu einem Kalauer gegen ihn ansetzen konnte.

Bennings schloss das Kartenlesegerät an seinen Laptop, wartete kurz die Installationsroutine ab und steckte die CF-Karte in den passenden Schlitz. Auf dem Bildschirm öffnete sich ein Auswahlmenü. Einige Klicks weiter war Bennings in dem Ordner mit den Fotos, die Baginski am Vorabend geschossen hatte.

»Oha«, kommentierte Dernau. »Und der Mann will Naturfotograf sein? Alles verwackelt, von den Viechern erkennt man ja rein gar nichts. Und total unterbelichtet, das ist dunkel wie im A…«

»Ist ja gut«, ging Bennings dazwischen, »jetzt krieg dich mal wieder ein.«

Er klickte das erste Foto an, das Baginski im Kojenwärterhäuschen geschossen hatte. Zum Glück war so eine Hütte kein bewegliches Ziel. Entsprechend scharf waren wenigstens diese Fotos geworden. Auf dem Bildschirm erschien ein kleiner Raum mit weiß getünchten Wänden. Links an der Wand stand unter einem Fenster ein kleiner Schreibtisch, dahinter ein Regal mit Aktenordnern. Rechts füllte ein Bett fast die ganze Wand aus. Das Bettzeug war durchgewühlt, am Rand ließen sich rote Spritzer und verwischte Streifen erkennen, wahrscheinlich Blut. Vor dem Bett lag auf dem Holzboden der Tote in merkwürdig gerader Haltung auf dem Rücken, als sei er aufgebahrt worden. Nur die Hände hatte man ihm nicht wie zum Gebet auf der Brust verschränkt. Sonst war nichts Auffälliges zu entdecken.

»Sieht nicht gerade spektakulär aus«, fand Dernau. »Wahrscheinlich hat er mit dem Schlag nicht gerechnet, jedenfalls sehe ich keine Kampfspuren. Er hat einen mitgekriegt, ist lang hingeschlagen und genau so liegen geblieben.«

»Dann hätte der Schlag von vorne kommen müssen. Es sieht aber so aus, als sei er von hinten niedergeschlagen worden. Dann ist er am Bett entlang nach unten gerutscht. Also müsste er auf dem Bauch oder auf der Seite liegen oder vor dem Bett sitzen, oder? Auf keinen Fall kann er so da liegen wie auf diesem Foto, parallel zum Bett und so entspannt und geradezu bequem gelagert.«

Dernau nickte. »Vielleicht hat der Täter ihn durchsucht, oder er konnte einfach nicht ertragen, dass Rickmers so verdreht auf dem Boden lag.«

»Ersteres deutet auf Raubmord hin«, überlegte Bennings. »Letzteres weist eher auf eine Beziehungstat hin und auf Totschlag im Affekt, jedenfalls nicht auf kaltblütigen Mord.«

»Es sei denn, der Täter ist ein Anfänger und hat die Sache zwar genau geplant, dabei aber nicht bedacht, dass so eine Leiche einem schon auf den Magen schlagen kann, wenn sie dann wirklich vor einem liegt.«

Bennings nickte und klickte sich durch die nächsten Bilder, bis es draußen im Wachraum laut wurde.

Vedder öffnete die Tür mit den Worten »Sie haben Besuch!« und schob einen jungen Mann im Alter von vielleicht achtzehn oder höchstens neunzehn Jahren herein. Bennings fand den Burschen auf Anhieb unsympathisch. Er trug ein sportliches Outfit aus teuren Markensachen. Damit hob er sich sicher deutlich und bewusst von seinen Altersgenossen hier auf der Insel ab. Seine feinen Gesichtszüge machten ihn garantiert zu einem Mädchenschwarm erster Güte. Dabei umspielte ein arroganter Zug seine schmalen Lippen, momentan gepaart mit Wut über die Unverschämtheit, dass man es wagte, ihn derart herumzukommandieren.

Vedder schloss die Tür wieder lautstark hinter dem Jüngling, der mit hochrotem Kopf vor den Kommissaren stand und gerade wieder lostoben wollte, als Bennings sich erhob und freundlich, aber bestimmt auf ihn zu trat. »Sie müssen Maarten Rickmers sein. Mein herzliches Beileid zum Verlust Ihres Vaters. Bitte, nehmen Sie doch Platz, wir haben einige Fragen an Sie. Wird bestimmt nicht lange dauern. Ich kann mir vorstellen, dass Sie an so einem Tag lieber Ihrer Mutter beistehen würden, aber es geht leider nicht anders.«

Das stoppte den Zorn des Knaben, und er schien sich schlagartig bewusst zu werden, dass er als trauernder Sohn nach dem Auftritt eben nicht mehr durchgehen würde. Jedenfalls entfärbte sich sein Gesicht wieder leicht und nahm einen etwas verlegenen Ausdruck an. Dabei hob er die Hände mit einander zugewandten Handflächen leicht an und ließ sie wieder sinken, was wohl beschwichtigend wirken und ihn harmlos erscheinen lassen sollte. »Schon gut, Sie machen ja auch nur Ihre Arbeit.«

»So ist es. Also, Herr Rickmers, wir fragen uns, was Ihr Vater gestern Abend so spät in der Vogelkoje gemacht hat. Haben Sie vielleicht eine Erklärung?«

»Ja klar, abends werden immer die Enten vom Teich ins Gehege geholt.«

»Und dafür ist Ihr Vater zuständig?« Bennings Ton verriet, dass er das wenig glaubwürdig fand. »Ich denke, dafür gibt es einen Kojenwärter?«

»Ja, schon, aber mein Vater war oft in der Vogelkoje. Er hat das gern gemacht, hat seine Aufgabe als Jäger immer sehr ernst genommen, und dazu gehört ja auch die Hege des Wildes.«

»Ihre Mutter hat uns erzählt, dass Ihr Vater gestern Abend einen wichtigen Termin gehabt habe. Wissen Sie etwas davon?«

Maarten Rickmers schüttelte den Kopf, überlegte aber dabei und antwortete schließlich: »Mein Vater hatte oft Termine, manchmal auch spät abends, geschäftliche und solche, die mit seiner Position in der Jägerschaft zu tun hatten. Ich habe da keinen Überblick.«

»Waren Sie auch gestern Abend in der Vogelkoje?«, erkundigte sich Dernau unvermittelt aus seiner Ecke.

Maarten Rickmers blickte ihn erstaunt an, als habe er ihn zuvor noch gar nicht wahrgenommen. »Nein, warum sollte ich?«

»Wo waren Sie denn dann?«, übernahm Bennings wieder die Befragung.

»Bei meiner Freundin. Das heißt, wir sind ein bisschen rumgefahren.«

»Es gibt also keine Zeugen? Außer Ihrer Freundin, versteht sich. Niemand, dem Sie begegnet sind?«

Maarten Rickmers schüttelte den Kopf, dabei umspielte ein anzügliches Lächeln seine Lippen. »Nicht dass ich wüsste. Wir sind abends gerne allein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und bei uns zu Hause geht das nicht; bei ihr auch nicht, ich habe nicht das beste Verhältnis zu ihren Eltern. Die kommen aus dem Osten und können sich noch nicht so recht an das freiere Leben hier gewöhnen.« Das Letzte begleitete er mit abschätzig verzogenem Mund und demselben Ausdruck von Hochnäsigkeit, den er bei seinem Erscheinen vorhin gehabt hatte.

»Wo Sie genau waren, können Sie uns nicht sagen?«, kam es nun wieder von Dernau, dessen Tonfall weniger verständnisvoll war.

»Anfangs sind wir nur so rumgefahren, später waren wir dann für längere Zeit auf dem kleinen Parkplatz am Siel draußen in der Marsch. Abends ist da keiner mehr, da ist man ungestört. Aber fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach der Uhrzeit, das kann ich beim besten Willen nicht sagen.« Wieder dieses anzügliche Grinsen.

»Haben Sie eine Ahnung, wer Ihrem Vater das angetan haben könnte?«, wechselte Bennings das Thema.

»Na!«, wurde der junge Mann nun wieder grimmiger. »Da gibt es ja wohl kaum einen Zweifel. Dieser Spinner Wiese oder einer der Idioten, die er immer im Schlepp hat.«

»Wen meinen Sie genau?«

»Zum Beispiel diesen Quacksalber aus Utersum, diesen Dr. Albertsen, Melf Albertsen, um genau zu sein. Der ist der zweite Mann hinter Wiese, auch so’n Ökospinner. Der glaubt, die Welt geht unter, wenn seine Gänse sich nicht ungestört vermehren können.«

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