1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Damp saß schon am Schreibtisch und hämmerte auf die Tasten des Laptops. „Moin, Moin“, grüßte Rieder und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. „Die Insel gleicht ja einem Bienenschwarm.“
Damp schaute gar nicht auf. Er nickte nur geistesabwesend.
„Was machen Sie da?“
Jetzt blickte er hoch. „Ich habe mir überlegt, einen Aufruf zu starten. Es waren doch gestern so viele Leute am Kino. Vielleicht hat einer was gesehen oder gehört. Ich hänge ihn an den Hinweistafeln auf. Vielleicht meldet sich jemand.“ Schon tippte Damp weiter.
Rieder war überrascht. Sonst stand Damp kriminalistischer Arbeit eher ablehnend gegenüber. Die Idee war gar nicht schlecht. Zu viel Begeisterung wollte Rieder aber seinem Kollegen auch nicht gönnen. „Das könnte was bringen. Hat sich Behm schon gemeldet?“
„Geht neun Uhr bei Gebauer in Stralsund aufs Schiff.“ Uwe Gebauer war der Kommandant der Wasserschutzpolizei, zuständig für die Boddengewässer zwischen Hiddensee und Rügen. „Er wird wohl gegen zehn in Kloster sein. Ich hole ihn dort ab. Er will sich dort erst den Toten ansehen. Der Pfarrer weiß auch schon Bescheid“, erklärte sein Kollege, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
Rieder kam aus dem Staunen nicht heraus. Was war mit seinem Kollegen passiert? Warum legte er sich so ins Zeug?
„Dann würd’ ich mal versuchen, Frau Stein zu erreichen.“
„Äh ...“, Damp kratzte sich am Kopf, „das habe ich ganz vergessen. Die hat sich schon gemeldet. Sie weiß schon Bescheid.“
„Der Inselfunk?“ Damp schüttelte den Kopf, ließ aber offen, wie Frau Stein vom Tod ihres Mannes erfahren hatte. „Sie ist jetzt wieder zuhause“, teilte er nur mit.
Rieder hätte der Ehefrau lieber selbst die Todesnachricht überbracht. Aus der ersten Reaktion konnten sich schon eine Menge Schlüsse für die Ermittlungen ergeben.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Bürgermeister Durk kam herein. Er grüßte Rieder kurz. Dann wandte er sich an seinen Kollegen. „Ist der Aufruf schon fertig?“
„Bin in den letzten Zügen.“
Rieder schwante etwas. Also daher wehte der Wind. Durk machte Druck.
„Mit Ihnen müssten wir natürlich auch noch reden, um uns ein besseres Bild von Peter Stein zu machen“, wandte sich Rieder an den Bürgermeister.
„Kein Problem. Ich helfe Ihnen, wo ich kann. Sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie Unterstützung brauchen. Ich will auch nicht weiter stören.“ Er war schon fast zur Tür raus, da drehte er sich noch einmal um. „Herr Damp, Sie bringen mir das bitte dann vorbei. Die Damen von der Insel-Information sind schon instruiert. Sie vervielfachen den Aufruf und verteilen ihn.“ Dann schloss er die Tür.
Rieder schaute seinen Kollegen an. „Herr Damp ... und bitte bringen Sie mir das dann vorbei“, äffte Rieder den Bürgermeister nach. „Was ist denn hier los?“
Damp kratzte sich am Kopf. Er beugte sich vor, senkte seine Stimme. „Durk war heute Morgen schon bei mir im Büro. Er hat ein paar Vorschläge gemacht, was wir vielleicht tun sollten. Zum Beispiel den Aufruf“, gestand Damp ein. „Von ihm weiß ich auch, dass Stein nicht mehr in Kloster bei seiner Frau wohnte.“
„Sondern?“
„Hier in Vitte. Am Ende des Strandes.“
„Was hat er noch gesagt?“
Damp lehnte sich zurück: „Nichts weiter.“
„Hat er Frau Stein informiert?“
„Kann sein, kann auch nicht sein.“
Damp stürzte sich wieder an die Tastatur des Laptops. „Ich muss das hier fertigkriegen. Sie können ja schon zu Frau Stein fahren. Wir treffen uns dann an der Kirche.“
Rieder war das neue Bündnis zwischen Bürgermeister Durk und Revierleiter Damp ein Dorn im Auge. Da hieß es, höllisch aufzupassen. Bisher hatte er sich eingeredet, dass es ihm völlig egal wäre, dass Damp und nicht er selber Revierleiter auf Hiddensee geworden war. Die Entscheidung ihres Vorgesetzten, Polizeidirektor Bökemüller aus Stralsund, war Rieder logisch erschienen. Immerhin war sein Einsatz auf der Insel auf zwei Jahre begrenzt. Damp würde bestimmt länger auf der Insel bleiben. Sechs Monate waren davon schon um. Bökemüller hatte Rieder Damps Beförderung außerdem damit begründet, dass man seine Bewerbung für die Revierleiterstelle nach seinem Einsatz bei der Aufklärung des Mordes am ehemaligen Inselpfarrer Schneider nicht übergehen konnte. Außerdem sei Rieder für den Job des Revierleiters auf einer Ostseeinsel völlig überqualifiziert.
Rieder wurde allerdings nicht Damp unterstellt, sondern blieb direkter Mitarbeiter des Polizeidirektors. Hiddensees Revierleiter Damp hatte also nur einen Mitarbeiter – sich selbst. Die andere Seite des Schreibtischs, also Rieders Platz, war praktisch eine andere Dienststelle, eine Außenstelle der Polizeidirektion Stralsund. Wollte Damp was von Rieder, so musste er ihn eigentlich, wenn es nach dem Dienstweg ging, in Stralsund anfordern. So etwas hatte sich nur ein entscheidungsschwacher Chef ausdenken können.
Mit diesen Gedanken im Kopf war Rieder zum Zeltkino gelaufen. Dort stand noch sein Dienstfahrrad.
Dora Ekkehard war schon zugange. Sie sammelte leere Flaschen und zerknüllte Chipstüten zwischen den Sitzen des Kinos ein.
„Den Schreck schon verdaut?“
Dora winkte ab. „Hören Sie bloß auf. Der Weg hierher war das reinste Spießrutenlaufen. Jeder quatscht einen an. Und dann immer dieser verschwörerische Tonfall der lieben Nachbarn? Mich haben Hiddenseer angesprochen, mit denen ich im Leben noch kein Wort gewechselt habe, geschweige, dass sie mal hier im Kino waren.“
„Ist Ihnen noch etwas eingefallen? Haben Sie vielleicht doch Peter Stein gestern Abend hier gesehen?“
Dora Ekkehard beugte sich nach einer weiteren leeren Flasche. „Dass die Leute die Dinger nicht einfach in die Kästen stellen können“, fluchte sie.
Das Gartentor zum Grundstück der Steins am Inselmuseum war immer noch verschlossen. Rieder wollte sich gerade wieder auf sein Rad schwingen, um es am anderen Eingang des Grundstücks zu versuchen. Da kam aus dem kleinen Kiosk die Besitzerin gerannt. „Herr Polizist!“, rief sie. „Herr Polizist. Sie wollen bestimmt zu Frau Stein. Die Arme. Sie ist gerade zum Strand runter. Hoffentlich tut sie sich nichts an!“
Rieder blieb stehen. „Wie kommen Sie denn da drauf?“
„Würden Sie baden gehen, wenn Sie gerade erfahren haben, dass ihr Mann ermordet worden ist?“, entgegnete ihm die Kioskbesitzerin entrüstet. „Vielleicht machen Sie nun bald mal was!“
Rieder stellte sein Rad wieder ab und wollte in Richtung Strand. Da blieb er nochmal stehen.
„Was ist denn nun noch?“, rief die Frau.
„Wie sieht Frau Stein eigentlich aus?“, fragte der Polizist.
Rieder kletterte auf die kleine Mauer neben dem Inselmuseum und zwängte sich dann durch einen mit Heckenrosen überwachsenen Durchgang durch die Dünen zum Strand. Der Strand von Kloster war menschenleer. Für morgendliche Jogger war der Sand hier zu weich und zu tief. Auch von professionellen Bernsteinsuchern keine Spur. Durch den Steindamm, die Hucke, der hier das Steilufer schützte, gab es keinen Seetang, mit dem das Gold der Ostsee angespült wurde. Allerdings gab es eine kleine Lücke im Wall.
Gleich hinter der Düne lag ein rotes Badehandtuch im Sand, darauf ein weißer Bademantel. Eine einzelne Person schwamm im Wasser. Eigentlich sah man nur ihren Kopf. Auf dem Rücken liegend, strebte sie mit langsamen Kraulschlägen wieder dem Ufer entgegen. Rieder hatte schon die roten Haare erkannt. Also kein Grund zur Panik.
Erst kurz vor der schmalen Öffnung im Steindamm drehte sich Ulrike Stein auf den Bauch und tauchte aus den Wellen auf. Natürlich nackt. Im Gegenlicht der Morgensonne glänzte ihr nasser schlanker Körper. Rieder war das peinlich, aber er konnte sich gleichzeitig kaum losreißen von dem Anblick.
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