1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Und das funktioniert?“
„Ich denke schon.“
„Haben Sie eigentlich Kinder? Gibt es noch weitere Angehörige?“
Der Blick der Frau erstarrte. Sie nahm das Bild zurück und hängte es wieder an. „Kinder haben wir nicht. Peter hatte noch einen Bruder. Der lebt aber in Bremen.“
Als sie sich wieder umdrehte, wirkte sie angespannt. „Haben Sie noch mehr Fragen oder reicht das erstmal?“
Rieder stand auf. „Nein. Ich habe einen ersten Eindruck bekommen. Sie müssen Ihren Mann noch identifizieren. Wir haben ihn in die Leichenhalle an der Inselkirche gebracht. Ich werde natürlich auch Ihre Bekannten befragen müssen. Sie werden das verstehen?“
„Muss das sein?“
„Es geht um Ihr Alibi.“
„Das meine ich nicht“, erklärte sie. „Die Identifizierung. Möselbeck kennt ihn doch länger als ich. Seit Kindertagen. Und Durk auch. Die drei waren wie Pech und Schwefel seit der Schulzeit.“
Uwe Gebauer stand am Anleger der alten Reparaturwerft. Er blickte ungeduldig auf die Uhr. Es ging schon auf neun. Der Motor des Wasserschutzpolizeibootes tuckerte leise vor sich hin. Wenn Gebauer etwas hasste, dann Unpünktlichkeit. Acht Uhr dreißig wollten sie ablegen, um nach Hiddensee zu fahren. Doch bisher hatte sich keiner von der Spurensicherung sehen lassen, weder Behm noch seine Kollegen.
Da bog der graue VW-Bus in die Dänholmstraße ein. Mit Lichthupe antwortete der Fahrer auf Gebauers Winken.
Behm stieg aus. Statt einer Begrüßung raunzte er Gebauer an: „Einen besseren Liegeplatz gab’s nicht? Wir sind fast eine halbe Stunde rumgekurvt, um dich zu finden.“
Gebauer gab sich schuldbewusst. „Stimmt schon, liegt etwas ab. Aber hier macht es nicht so viel Aufsehen, wenn ihr euer Zeug an Bord bringt. In der Seestraße, am Hiddensee-Kai, gibt’s doch gleich einen Auflauf. Alle fragen, warum, wieso? Ihr habt doch sicher ein Navi im Auto?“
„In der alten Krücke?“ Behm zeigte auf den VW, der schon einige Jahre auf dem Buckel hatte: „Vergiss es.“ Dann wandte er sich an seine beiden Kollegen. „Bringt die Kisten aufs Boot.“
„Aber bitte vorsichtig!“, rief Gebauer dazwischen.
„Nun mach dir mal nicht ins Hemd. Uns reicht schon so die Plackerei mit den Kisten. Immer für die Insulaner alles verpacken ...“
Einsätze auf Hiddensee waren bei den Stralsunder Beamten nicht beliebt. Alles musste für Tatortuntersuchungen auf der Insel aus den Einsatzfahrzeugen der Spurensicherung in Kisten umgepackt und dann auf Gebauers Boot geschleppt werden. Dort mussten sie es dann unter seiner Anleitung rutschfest in dem engen Innenraum verstauen. Reibereien waren vorprogrammiert. Die Kollegen an Land rümpften sowieso die Nase über die Wasserschutzpolizisten. Sie nannten sie heimlich „Bodden-Enten“. Das wusste natürlich auch Gebauer. Er rächte sich gern an den „Landeiern“, wie er im Gegenzug die Beamten der Polizeidirektion bezeichnete. Musste er für sie Wassertaxi spielen, jagte er sein Schiff durch die Boddengewässer, ließ es gern auch mal heftig schaukeln beim Durchfahren von Wellenbergen und -tälern, fuhr tollkühne scharfe Kurven und beobachtete mit gnädigem Lächeln, wie sich die Kollegen krampfhaft an den wenigen Halterungen festhielten, im Gesicht immer fahler wurden und bald darum bettelten, er möge doch etwas langsamer fahren oder nach den Kotztüten riefen. Hatten sie dann wieder festen Boden unter den Füßen, drohten sie ihm mit Beschwerden. Das nahmen Gebauer und seine Crew gelassen. „Einsatz ist Einsatz!“, rief er ihnen dann nach. Außerdem unterstanden sie nicht dem Kommando des Polizeichefs Bökemüller, sondern gehörten einer eigenen Direktion mit Sitz in Rostock an. Bis dahin war der Dienstweg für Klagen weit.
Endlich hatten sie alles an Bord. Gebauer gab seinen beiden Besatzungsmitgliedern das Kommando zum Ablegen und stellte sich selbst ans Steuer. „Jetzt wollte ich eigentlich schon da sein“, maulte er Behm an, der neben ihm stand. Der gab sich gelassen. „Den toten Bauunternehmer stört’s nicht mehr, ob wir nun ’ne Stunde früher oder später auf Hiddensee sind. Die Spuren sind sowieso hin, weil die letzte Nacht alle durch den Tatort getrampelt sind.“ Gebauer manövrierte vorsichtig das Boot an zwei alten Schleppern vorbei und fuhr dann langsam in Ric htung Fahrrinne Strelasund. Backbord lagen das Ozeaneum und die alten Lagerhäuser, steuerbord die Fachwerkhäuser des Fischerdorfes Altefähr.
„Vitte, Neuendorf oder Kloster?“, fragte Gebauer.
„Erstmal Kloster. Da haben sie den Toten hingebracht. Der Tatort ist wohl am Zeltkino in Vitte. Den kann ich mir dann immer noch ansehen und mich weiter ärgern. Aber du kannst uns dann wieder in Vitte abholen.“
„Der Tote ist Bauunternehmer? Von Hiddensee?“
„Ja, ein gewisser Stein.“
„Peter Stein?“, fragte Gebauer.
„Genau. Kanntest Du ihn?“
„Ich hatte mal mit ihm zu tun, als sie den Anleger in Neuendorf neu gebaut haben und es für unsere Boote einen Liegeplatz geben sollte. War eigentlich ein netter Typ.“
„Augenscheinlich sahen das nicht alle so. Sonst hätte er ja nicht gestern Abend tot am Zeltkino gelegen.“
Behm steckte die Hände in die Taschen. Er hatte keine Lust mehr auf eine weitere Unterhaltung.
Gebauer schob den Gashebel langsam nach vorn. Die Turbinen wurden lauter. Der Bug des Bootes hob sich aus dem Wasser. Wasserfontänen spritzen steuerbord und backbord nach oben.
Nicht mal eine halbe Stunde dauerte es, bis die ersten Bojen für den Tonnenweg zum Hafen Kloster in Sicht kamen. Am Kai wartete Damp mit dem Polizeiwagen.
Auf dem Weg zur Leichenhalle berichtete er Behm, was in der vergangenen Nacht passiert war, wer Stein gefunden hatte, was Doktor Möselbeck vermutete und wie sie versucht hatten, den vermeintlichen Tatort zu sichern.
„Wer passt dort jetzt auf, nachdem es hell geworden ist, dass da keiner rumtrampelt?“
„Keiner“, antwortete Damp. „Wie sollen wir denn zu zweit alles organisieren? Rieder ist bei Steins Frau. Ich musste mich um den Zeugenaufruf kümmern ...“
„Als ob das jetzt so wichtig wäre ...“
Obwohl die Inselkirche nur gut dreihundert Meter vom Hafen entfernt war, kam Damp nur langsam mit dem Auto voran. Auf dem Hafenweg musste er zahlreiche Touristen und Reisegruppen umkurven. Obwohl sie gerade erst mit dem Schiff von Rügen angekommen waren, drängten sie sich gleich vor den beiden Souvenirläden kurz vor der Kreuzung am Pasterteich.
„Die haben noch nichts von der Insel gesehen, kaufen aber schon irgendwelchen Kitsch“, meinte Behm.
„Es ernährt aber seinen Mann hier auf der Insel“, erwiderte Damp.
„Für mich sind diese Läden nichts anderes als moderne Wegelagerei.“
Damp parkte auf dem Platz für die Fuhrwerke neben der Inselkirche. Von dort führte ein kleiner Pfad zur Leichenhalle.
Vor dem Gotteshaus hatten sich zahlreiche Schaulustige angefunden, darunter auch viele Insulaner. „Wo kommen die plötzlich her? Haben Sie den Termin auf Ihrem Aushang bekanntgegeben?“, fragte Rieder, der Ulrike Stein hierher begleitet hatte.
Damp wurde wütend. „Sicher! Bin ich ein Trottel oder was? Die können auch alle eins und eins zusammenzählen. Nicht nur die Herren aus der Hauptstadt. Dass Stein hier liegt, ist kein Geheimnis. Oder? Und dass die Witwe hier irgendwann auftauchen wird, können sich selbst die Hiddenseer an ihren Fingern abzählen.“
„Ist ja gut. Ich habe es ja nicht so gemeint“, entschuldigte sich Rieder.
Pfarrer Laube und Doktor Möselbeck warteten schon.
Behm begrüßte Rieder. „Ich halte mich erst mal im Hintergrund, bis die Ehefrau die Leiche identifiziert hat.“
Pfarrer Laube drückte Ulrike Stein fest die Hand und sprach ihr sein Beileid aus. Als Möselbeck Frau Stein sogar umarmen wollte, wehrte sie ihn ab und stieß ihn sogar leicht zurück. Rieder war darüber verwundert. „Ich dachte, Möselbeck und Stein waren Freunde“, flüsterte er Damp zu.
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