Damp raunte Behm zu: „Machen wir jetzt hier Urlauberbetreuung oder wollen wir einen möglichen Mord aufklären?“
Nelly kramte schon nach einem Block aus ihrer Tasche und wollte anfangen, die Telefonnummern zu notieren, da mischte sich Bökemüller ein. Er legte ihr die Hand auf den Arm. „Vielleicht kann das Notieren der Namen und Telefonnummern sowie die Ausgabe der Wartemarken die Inselverwaltung übernehmen.“ Dabei schaute er zu Förster, der auch sofort zustimmend nickte. „Und die Beamten machen mal ihren eigentlichen Job.“ Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Dann schob er Nelly mit leichtem Druck zum Polizeiwagen. „In Zukunft wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie solche Aktionen mit mir absprechen“, flüsterte er ihr beim Einsteigen in den Wagen noch zu.
„Was ist das eigentlich für ein Schiff, auf dem sie den Toten gefunden haben?“, fragte Bökemüller Damp, als sie im Auto saßen.
„Es war ein Hotelschiff, früher mal ein Jugendklub“, antwortete der Polizist. „Lief aber zuletzt nicht mehr so gut. Der Bürgermeister versucht gerade, den Besitzer aufzutreiben. Das scheint aber gar nicht so leicht zu sein.“
„Die Bergungskosten werden immens sein. Das wird der kaum bezahlen können.“
„Die Insel kann das aber auch nicht bezahlen“, erwiderte Damp.
„Dann bleibt das Wrack sicher, wo es ist. Auf dem Grund des Boddens.“
Der Wagen hielt.
Krüger, der Rechtsmediziner von der Uniklinik in Greifswald, stand auf dem Vorschiff der „Caprivi“ und schaute in den Raum mit Dehnes Leiche. „So wünscht man es sich“, begrüßte er den Chef der Stralsunder Spurensicherung, Holm Behm. „Die Leiche schon schön gekühlt. Da bleiben die Spuren frisch.“
„Waren Sie schon drin?“, fragte Behm nicht ohne Schärfe.
„Gott bewahre“, antwortete Krüger. „Ich werde Ihnen doch nicht vorgreifen, obwohl ich es kaum erwarten kann, endlich an die Beute zu kommen. Hier draußen wird es auch langsam etwas kühl. Allerdings fürchte ich, drinnen ist es nicht besser“, er zeigte auf Dehne, „wenn ich den Herrn da auf der Bank sehe.“
„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie Sie ihn hier raus und nach Greifswald bringen wollen?“
Krüger legte die Stirn in Falten. „Gute Frage. Nächste Frage.“ Er kratzte sich am Kopf. „Am besten wäre tiefgekühlt, aber so passt er wahrscheinlich nicht in die Luke des Rettungshubschraubers. Wir werden ihn auftauen müssen. Die Leichenstarre wird schon vorbei sein, wenn es stimmt, was die Feuerwehrmänner erzählt haben und er eine Tasche mit Silvesterraketen bei sich hatte. Aber ich müsste genau die Temperatur beim Auftauen kontrollieren. Bei dem Wetter könnte es außerdem ohne Hilfe etwas dauern.“
„Vielleicht mit so einem Gasheizer, die immer in den Biergärten stehen“, kam es von Barnhöft. Der Feuerwehrmann wollte endlich auch mit dem Auslegen der Ölsperren um das gesunkene Schiff vorankommen. Seit dem Fund der Leiche hatten sie die Arbeit eingestellt. Je schneller der Tote geborgen war, umso weniger Öl konnte weiter unters Eis in den Bodden laufen.
Krüger drehte sich zu Barnhöft um und schlug ihm auf die Schulter. „Guter Mann“, lobte er, „aber wo kriegen wir so ein Ding her? Jetzt ist nicht unbedingt Biergartensaison.“
„Vielleicht beim ‚Hiddenseer‘, vermutete der Feuerwehrmann, „gleich im Wiesenweg. Die haben solche Dinger im Sommer auf ihrer Terrasse und müssten noch aufhaben. Die hatten bestimmt Pensionsgäste über den Jahreswechsel.“
Barnhöft winkte drei seiner Leute heran und gab ihnen Befehl, einen Wärmestrahler vom „Hiddenseer“ zu holen. Wenn es Probleme gäbe, sollte der Wirt Damp oder ihn anrufen.
Behm hatte inzwischen angefangen, den Raum mit der Leiche zu inspizieren. Er pinselte das Schott, die Riegel und den Rahmen der Luke ab, die in den ehemaligen Barraum der „Caprivi“ führte. Dann wandte er sich dem Innenraum zu. „Wieder alles zerlatscht und wahrscheinlich auch angegrabscht. Wie schon bei diesem Bauunternehmer!“, fluchte er. „Könnt ihr nicht mal lernen, dass ein Tatort keine Spielwiese ist.“
Krüger grinste. „Behm, Sie haben ganz recht!“, meinte er mit gespielter Entrüstung, „mir sind diese Outdoor-Tatorte auch total suspekt. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen.“
Behm schaute ihn grimmig an. „Hatte ich Sie nach Ihrer Meinung gefragt?“
„Nicht direkt.“
Behm beließ es dabei. „Sascha!“, rief er nach seinem Assistenten. „Wir brauchen von allen Feuerwehrleuten und wer sonst noch hier in den letzten Stunden herumgetollt ist, Fingerabdrücke zum Vergleich. Die Fußspuren sind für den Ar … eh, ich meinte unbrauchbar“, verbesserte er sich, als er Nelly Blohm auf dem Vorschiff entdeckte.
„Wird gemacht, Chef“, antwortete der junge Spurensicherer und notierte die Anweisung in einem Block.
Während Behm jetzt in das Schiffsinnere kletterte, sprach er seine Beobachtungen in ein umgehängtes Mikrofon. „Nicht gerade gemütlich, diese ‚Bar Blue Mayday‘“, meinte er mit Blick auf das recht schlichte Mobiliar aus billigen Barhockern und Plastiktischen.
Damp stand mit Bökemüller noch am Kai. Beide traten vor Kälte von einem Fuß auf den anderen.
„Sollte nicht erst mal der Pathologe schauen, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt?“, fragte Damp leise. „Vielleicht hat sich Dehne hier nur einen eingetüdert, ist dann eingeschlafen und erfroren. Wie sagt man?, dumm gelaufen.“
Krüger hatte Damps Worte trotzdem gehört. „Im Prinzip keine schlechte Theorie, Herr Kommissar. Aber wo ist dann bitte die leere Flasche? Ich frage mal nach.“
Krüger lief zurück zur geöffneten Luke. „Behm?“
„Was ist denn schon wieder?“, blaffte der Spurensicherer ärgerlich.
„Haben Sie dort eine leere Flasche Alkohol gefunden?“
Behm sah sich um. „Nö, hier ist nix.“
„Dann könnte er natürlich die Flasche auch noch weggeworfen haben“, sagte Krüger leise zu sich. Er blickte sich um, doch der Schnee lag ringsherum so hoch, dass es sinnlos war, nach einer Flasche zu suchen. Allerdings entdeckte er etwas anderes. „Interessant“, flüsterte er. „Behm?“, rief er dann laut.
„Mein Gott! Kann ich hier mal in Ruhe arbeiten?“
Aber Krüger ließ sich nicht beirren. „Haben Sie das hier schon gesehen, Behm? Eine Skispur! Vom Schiff auf den Bodden.“
Die Polizisten liefen heran und lehnten sich wie der Pathologe über die Schiffswand. Auf der Eisfläche des Boddens waren noch die Spuren von zwei Skiern zu erkennen, obwohl sie schon von Neuschnee überdeckt waren. „Wir könnten ihr folgen“, schlug Krüger vor.
„Hier ist das Eis aber ziemlich brüchig, nachdem wir eine Rinne um das Schiff frei gekloppt haben.“
Nelly hielt das nicht auf. Sie kletterte wieder zum Anleger hoch, lief dann ein Stück an Land, bis sie auf den vereisten Bodden abbog. Die Spur führte nach Süden, in Richtung der Fährinsel.
„Mensch, Damp, trägt denn das Eis da draußen?“, fragte Bökemüller besorgt. „Die Frau hat doch ein Kind.“
Damp zuckte mit den Schultern.
„Keine Sorge, da ist es mittlerweile fast vierzig Zentimeter dick. Da können Elefanten drauf tanzen.“
Nelly Blohm blieb plötzlich stehen. Sie hockte sich in den Schnee und schüttelte dann den Kopf.
„Haben Sie was gefunden?“, schrie Bökemüller.
Die Polizistin winkte ab und kam wieder zurück. „Die Spur endet da hinten. Ganz plötzlich. Wahrscheinlich ist die vom Neuschnee zugedeckt oder vom Wind verweht worden.“
„Gestern Nacht, da habe ich einen Skifahrer hier in der Nähe vom Schiff gesehen. Als die Leiche entdeckt wurde. Er stand da hinten.“ Damp wies in Richtung der alten Pizzeria, die schon vor Jahren geschlossen hatte, aber deren Werbung immer noch an dem Haus prangte.
Читать дальше