„Die musst du dir merken. Bestens vernetzt und mit großem Einfluss in Thailand“, flüsterte Penelope William zu. Seit dem Abendessen an der Tuk-Tuk-Garküche duzten sie sich und Penelope hatte William zu diesem Empfang eingeladen. Sie entboten Mrs. Chantrakal einen respektvollen Wai , dann raunte Penelope: „Was gibt’s Neues von Mazzini?“
„Ich habe Persitzky observiert. Es passt alles. Er hat einen verkrüppelten Finger.“
Penelope blickte William fragend an.
„Mazzini hatte in jungen Jahren einen Unfall, bei dem er einen Teil seines linken Ringfingers verloren hat. Ich habe Persitzkys Apartment durchsucht. Auf dem Nachttisch steht eine Fotografie von Mazzinis Mutter Holly, außerdem habe ich Manuskripte gefunden. Hatte ich dir erzählt, dass Persitzky schreibt?“
„ Lost Souls of Bangkok . Ich erinnere mich“, bestätigte Penelope und schlug vor, dass sie sich für einen Moment zurückziehen sollten, damit sie ungestört sprechen konnten. Als sich die illustre Gästeschar dem Buffet widmete, traten Penelope und William auf den großzügigen Dachgarten hinaus, wo die Mittagshitze sie fast erschlug. William entdeckte ein halbwegs schattiges Plätzchen unter einem Bananenhain und fuhr mit seinem Bericht fort: „Persitzky skizziert seine Romankapitel mit der Hand, ehe er sich an den Computer setzt. Die Entwürfe tragen Mazzinis Handschrift.“
In diesem Augenblick bemerkten sie, wie Richard McGrowan mit einem graugelockten Farang und einem untersetzten Thai in einer Polizeiuniform auf sie zuhielt.
„Darf ich zwei gute Freunde unserer Kanzlei vorstellen?“
Penelope, die seit einem guten halben Jahr für Goldstein & Schulman in Bangkok tätig war, kannte natürlich den Polizeioffizier, dessen goldene Sterne auf den Schulterklappen in der Sonne funkelten. Dem vielleicht sechzigjährigen Ausländer mit der Albert-Einstein-Frisur war sie dagegen noch nicht begegnet.
„William LaRouche, das ist Lieutenant General Vitikorn, der Polizeidirektor von Bangkok. Penelope, ihr kennt euch ja bereits.“
Penelope verbeugte sich und deutete einen Wai an. Sie hatte William schon zu Beginn der Veranstaltung informiert, dass auch Bangkoks Polizeichef eingeladen war, dem Jonathan ein paar Basisinformationen zugesteckt hatte, damit man bei der Jagd auf Mazzini im Notfall rasch auf lokale Unterstützung zugreifen konnte. Nun griff William nach Vitikorns ausgestreckter Hand, die sich weich und biegsam anfühlte.
„Nice to meet you“, behauptete der Polizeigeneral. William nickte stumm.
„Und hier haben wir Dr. Jürg Bertoli, den Gründer des Baan Jai Dii, einer Einrichtung, die sich um alleinstehende ältere Menschen sorgt.“
Wieder gehörte Penelope die erste Aufmerksamkeit. Bertoli reichte ihr die Hand.
„Nice to meet you, Dr. Bertoli.“
„Oh, meine Liebe, nicht so förmlich. Ihr Name ist Penelope? Nennen Sie mich einfach Jürg. Ich bin schon lange in Bangkok. Auf Empfängen und Veranstaltungen trifft man immer wieder auf die gleichen Nasen. Es ist ein wenig wie in den Schweizer Bergen. Dort freuen sich die Bewohner der engen Täler, wenn gelegentlich ein neues Gesicht auftaucht. Vor allem, wenn es ein so attraktives ist wie das Ihre“, schmeichelte Bertoli und berührte väterlich Penelopes Unterarm, die eine Visitenkarte aus einem Etui entnahm und diese mit beiden Händen, wie in Asien üblich, überreichte.
„Und Sie sind William LaRouche, der Amerikaner mit dem eleganten französischen Nachnamen. Wie ich hörte, sind Sie Journalist?“ Neugierige graublaue Augen blickten William an, ein herzlicher Händedruck folgte.
„Ich arbeite als freier Mitarbeiter in der Online-Redaktion der Times-Picayune in New Orleans. Leider musste das Blatt seine Printausgabe vor ein paar Jahren einstellen“, antwortete William mit einer Mischung aus Flunkerei und Wahrheit.
„Möchten Sie nicht einmal über mein Seniorenheim Baan Jai Dii berichten?“
„Warum nicht?“, stellte William in Aussicht; dabei fiel sein Blick auf Bertolis linke Hand. Er stutzte einen Augenblick und verwarf seinen Gedanken sofort wieder. Das, was er da gesehen hatte, musste ein Zufall sein. In diesem Moment steuerte ein junger Mann, umhängt mit allerlei Gerätschaften, auf ihre Gruppe zu.
„Ah, der Fotograf der Bangkok Post . Nukatet ist Ihr Name, wenn ich mich recht entsinne“, begrüßte Richard den jungen Mann, der kurz darauf eine Kamera in Anschlag brachte.
„Khun Richard, Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis“, lobte der Thailänder auf Englisch und ließ es etliche Male klicken.
„Noch einmal lächeln! Wie schön. Eine asiatische Blume im Kreis von vier eleganten Gentlemen.“
„Khun Nukatet, wann wird der Artikel über unsere Veranstaltung in der Bangkok Post erscheinen?“, wollte Penelope auf Thai wissen.
„Oh, Sie sprechen Thai?“, gab der Fotograf überrascht zurück, blieb aber im Englischen. „Ich schieße nur die Fotos. Ich vermute, die Reportage wird am Wochenende in der Rubrik People & Life platziert.“
Als sich der Pressefotograf wieder in Richtung des Buffets zurückgezogen hatte, wandte sich Penelope an Bertoli. „Jürg, erzählen Sie mir von Ihrer Arbeit in Thailand.“
„Das mache ich gerne. Aber zuerst stärken wir uns am Buffet.“ Diesmal blickte Bertoli zu William und berührte ihn freundschaftlich am Oberarm. „Junger Mann, Sie sehen so aus, als könnten Sie ordentlich zulangen. Der Chefkoch ist ein Landsmann von mir und hat ein paar besondere Delikatessen vorbereitet. Sie müssen unbedingt die Luzerner Rösti und den echten Emmentaler Käse probieren.“
Die kleine Gruppe setzte sich, Bertolis Vorschlag folgend, in Bewegung und hatte das Buffet noch nicht ganz erreicht, da meldete Williams Mobiltelefon einen Anruf. Er zog das Gerät heraus, erkannte die Nummer und nahm das Gespräch an.
„Mr. LaRouche?“
„Andy, was gibt’s?“ William trat ein paar Schritte zur Seite und verbarg die Lippen hinter der vorgehaltenen Hand, eine Angewohnheit, die noch aus alten FBI-Zeiten in ihm steckte.
„Ich habe keine guten Nachrichten.“ Andy war undeutlich zu verstehen, er schien sich an einem belebten Ort aufzuhalten.
„Was ist passiert?“
„Herbert Persitzky ist tot. Ein Verkehrsunfall.“
In weniger als einer halben Stunde hatte Vitikorns Dienstlimousine das Polizeihospital erreicht. William und Penelope sprangen aus dem Wagen, der Lieutenant General folgte geruhsamen Schrittes, am Ohr sein Mobiltelefon. Der Polizeichef hatte ohne Umschweife seine Hilfe angeboten, obgleich sich ihm der Zusammenhang des Verkehrstoten mit der Mazzini-Fahndung offenkundig nicht erschloss.
William fluchte. Immer wieder war in seinen Unterlagen über das angebliche Ableben Mazzinis berichtet worden. In den 1990er Jahren war er in Südafrika an einer Lungenentzündung verstorben. Ein halbes Jahrzehnt später verunglückte er tödlich beim Absturz eines Kleinflugzeuges in Indonesien, und der bislang letzte bekannt gegebene Tod ereilte ihn erst vor wenigen Jahren, als er in Bukarest bei einer Gasexplosion verbrannte.
Als sie die weißgekachelten Räume der rechtsmedizinischen Abteilung betraten, schlug ihnen der Geruch des Todes entgegen. Penelope, für die der Besuch einer derartigen Einrichtung eine Premiere war, fröstelte.
„Es ist nur die Formalinlösung, die so unangenehm riecht“, beruhigte William die junge Wirtschaftsjuristin. Vitikorn hatte inzwischen sein Telefonat beendet und wandte sich dem diensthabenden Pathologen zu. „Meine ausländischen Freunde möchten einen kurzen Blick auf das Opfer des Verkehrsunfalls von heute Vormittag werfen.“
„Welches Opfer hätten Sie denn gerne?“, presste der in blaue Schutzkleidung gehüllte Mann durch seinen Mundschutz. „Bis zur Mittagspause wurden vier Verkehrstote eingeliefert.“
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