„William, Sie erwähnten Neuigkeiten. Sind Sie dem Fuchs schon auf der Spur?“, begann Penelope und William störte sich ein wenig an dem unverbindlichen Plauderton der Juristin.
„Diese Spürhund-Fuchs-Sache ist gelegentlich ganz witzig. Wir veranstalten hier aber keine lustige Treibjagd, bei der die Sieger schon im Voraus feststehen. Unsere Zielperson ist ein hochintelligenter Verbrecher, der vor nichts zurückschreckt, gefährlich wie eine Python und flüchtig wie ein Reh.“ William erschrak über seinen scharfen Ton, mit dem er die verdutzte Penelope zurechtgewiesen hatte.
„Und wieder tummeln Sie sich in der Tierwelt. Warum sind Sie so gereizt? Sie waren es doch, der mit dem Vergleich begonnen hat. Erinnern Sie sich nicht mehr?“
„Okay, okay. Das kann schon sein, ich erinnere mich“, lenkte William ein. „Wie dem auch sei, mein Assistent Andy hat erste Hinweise geliefert, die ich überprüft habe. Alles deutet auf Larry Mazzini hin. Meine Zielperson verbirgt sich möglicherweise hinter einem gewissen Herbert Persitzky. Ich denke, in ein paar Tagen weiß ich mehr darüber“, deutete William an. Er wollte Penelope nicht mit Details über die nun notwendigen weiteren Maßnahmen langweilen, schließlich war sie Juristin und keine Agentin. Außerdem: Bei allem Vertrauen, William hatte schon die merkwürdigsten Dinge erlebt, und mit einer Frau hatte er während seiner gesamten FBI-Laufbahn kein einziges Mal im Zusammenhang mit einem ähnlichen Auftrag zusammengearbeitet.
„Haben Sie Jonathan schon informiert?“
„Das hat noch Zeit. Erst müssen wir ganz sicher sein. Stellen Sie sich vor, Persitzky hat einen Thriller mit dem Titel Lost Souls of Bangkok geschrieben.“
„ Lost Souls of Bangkok ? Davon gibt es hier zu jeder Zeit genügend Exemplare.“
Penelope warf William einen herausfordernden Blick zu. Dabei bemerkte sie, dass ihr Begleiter deutlich erholter und entspannter aussah und sein frisch gebügeltes mintgrünes Poloshirt ihm gut zu Gesicht stand.
Neben einem Verkaufsstand, in dem erotische Dessous angeboten wurden, entdeckte Penelope eine Tuk-Tuk-Garküche. Ein halbes Dutzend verbeulter Metalltische und eine Horde blauer Plastikhocker gruppierten sich um eine zur offenen Küche umgebauten Motor-Rikscha. Die Mitglieder einer Großfamilie rührten in Töpfen, zerkleinerten Zutaten für die Street-Food-Gerichte und riefen sich Kommandos zu. Für einen Ausländer mochte ein solches Restaurant ein Abenteuer sein. Für Thais war es die bequemste Möglichkeit, sich mit vernünftiger Hausmannskost zu unschlagbar günstigen Preisen zu versorgen.
„Haben Sie Appetit?“, fragte Penelope und griff dabei instinktiv nach Williams Arm.
„Hatten Sie nicht Heuschrecken vorgeschlagen?“, lachte William, und sie quetschten sich an den letzten freien Tisch in direkter Nachbarschaft zu einem Freiluft-Friseur. Der sanfte Kontakt mit Penelope hatte ihm gutgetan. Wann hatte ihn eine Frau das letzte Mal derart berührt, dass er darüber nachgedacht hatte? Er konnte sich nicht mehr erinnern.
„Schauen Sie, so werden hier lästige Haare entfernt.“ Penelope deutete auf die Mitarbeiter des Friseurs, die mit feinen Garnschlingen den Wildbewuchs in den Gesichtern und an den Ohren ihrer Kunden epilierten. Eine Bedienung mit fleckiger Schürze wühlte sich an ihren Tisch heran und nahm die Bestellung auf: gegrillten Tintenfisch mit einer höllenscharfen Chilisauce, mittelscharfen Papaya-Salat und eine Terrine Tom-Yam-Gai , eine sauer-scharfe Hühnersuppe mit Zitronengrass. William trank Coca-Cola und Penelope bestellte Bier.
„Darf ich Sie etwas fragen?“, begann Penelope, nachdem sie ohne große Worte das köstliche Essen und das bunte Treiben um sie herum genossen hatten.
„Was wollen Sie wissen? Ich bin zweiundvierzig Jahre alt und noch kein bisschen weise.“ William verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Jetzt war er es, der die Plauderebene auf keinen Fall verlassen wollte, weil er ahnte, was die Folge wäre.
„Weshalb haben Sie den Dienst beim FBI quittiert?“
„Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt …“ William zögerte und korrigierte sich. „Natürlich gibt es auf diese Frage eine Antwort. Aber sie wird Sie nicht interessieren.“
„Es interessiert mich wirklich“, widersprach Penelope. William traf ein warmer Blick aus dunkelbraunen Augen und er entschied, dass er wenigstens das preisgeben konnte, was Penelope vermutlich ohnehin von Jonathan erfahren hatte.
„Okay, aber wundern Sie sich nicht, wenn das eine Weile dauert“, warnte William.
„Nehmen Sie sich Zeit. Ich habe heute Abend keine weitere Verabredung“, ermunterte ihn Penelope augenzwinkernd.
„Wissen Sie“, begann William noch ein wenig zögerlich, „das FBI war einmal meine Familie. Schon mein Großvater hatte bis zu seinem Tod davon geträumt, ein schneidiger FBI-Marshall zu sein.“
„FBI-Marshall? Die gibt’s doch nur in Filmen.“
„Korrekt. Grandpa kannte das FBI auch nur aus Filmen. Er war ein einfacher Soldat und ist es auch sein Leben lang geblieben. Die Baumwollplantage, auf der er als Landarbeitersohn aufgewachsen war und die US-Navy waren die Schulen seines Lebens. Bewerber für die FBI-Akademie müssen eine abgeschlossene Berufsausbildung, besser noch einen College- oder Universitätsabschluss vorweisen. Für meinen Vater hat sich dann Grandpas Traum erfüllt. Leider ist er diesem letztendlich zum Opfer gefallen. Sie kennen die Geschichte? Jonathan muss sie Ihnen erzählt haben.“
Penelope nickte. Jonathan hatte ihr sogar mehr verraten, als William vermutlich lieb war. Natürlich hatte sie die Sorgen von Jonathan und die Anweisung Melindas verstanden: William LaRouche war zweifellos ein außergewöhnlicher Fahnder, der zudem als Einzelkämpfer schon immer die besten Resultate erzielt hatte. Aber er war derzeit mental nicht in der stabilsten Situation. Penelope hatte sich mit ihrer Rolle als sensibles, wachsames Kontrollauge abgefunden und wollte ihren Job möglichst unauffällig und respektvoll erledigen.
„Als Dad nicht mehr aus Kambodscha zurückkam …“ William stockte und trank einen Schluck Coca-Cola. „Wie gesagt, Dad war verschollen, und ich wollte irgendwie die Fahne hochhalten und bin dann auch zum FBI gegangen.“
Penelope wollte William nicht weiter bedrängen. Sie spürte, wie schwer es ihm fiel, über seine Vergangenheit zu sprechen. Doch William setzte seinen Bericht nach einer kurzen Unterbrechung überraschenderweise fort.
„Vor ziemlich genau dreieinhalb Jahren war ich mit einer FBI-Einheit im Süden Thailands unterwegs. Muslimland. Sie wissen schon. Die Gegend wird seit Jahren von islamistischen Separatisten terrorisiert. In Yala, Narathiwat und vor allem in der Provinz Pattani war seinerzeit die Hölle los. Wir waren auf der Suche nach einem Logistiker der Anschläge vom 11. September, der dort untergetaucht war. Unsere Aufgabe bestand darin, den Burschen zu identifizieren und das Feld für die CIA-Kommandos vorzubereiten, die dann den finalen Zugriff durchführen sollten.“
Die Bedienung brachte Penelope eine weitere Flasche Bier und wendete sich William zu. „One Cola one more?“
„ No Cola one more“, lehnte William ab und steckte sich eine Lucky Strike an.
„Zugriffe auf fremden Staatsgebiet. Vermutlich nicht einmal von den lokalen Behörden autorisiert. Das klingt nach verdammt illegalen Einsätzen“, fasste Penelope Williams Bericht sachlich zusammen.
„Kann schon sein“, gab William nachdenklich zurück. „Amerika befindet sich seit den New Yorker Anschlägen im Krieg gegen den internationalen Terrorismus. Wer fragt da noch, ob eine Aktion illegal ist oder nicht?“
William drückte den kurzen Rest einer Zigarette in einen Blechnapf. Dann steckte er sich eine weitere Lucky Strike an und ließ das Nikotin langsam durch seine Lungen strömen. Es tat ihm gut, über diese Zeit zu sprechen, auch wenn ihm bewusst war, dass er sich bis jetzt allenfalls an der Oberfläche bewegt hatte.
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