„Guten Morgen, Amerika. Hallo, Melinda und Jonathan.“
„Schätzchen, fassen wir uns kurz. Ich habe gleich einen Termin beim Präsidenten, und du hast bestimmt auch noch etwas Nettes vor.“
„Penelope, welchen Eindruck hast du von William La-Rouche?“, begann Jonathan.
„Schwierig zu sagen. Ich kann den Mann nach der ersten Begegnung noch nicht einschätzen“, gab Penelope zu und erinnerte sich dabei, wie herausfordernd der ehemalige FBI-Agent sie immer wieder gemustert hatte.
„William ist der richtige Mann für diese Aufgabe. Ich hätte dir sagen sollen, dass er etwas verschroben ist. Aber ich garantiere für seine Integrität. Du kannst ihm vertrauen“, versicherte Jonathan.
„Penelope, Schätzchen“, mischte sich Melinda wieder ein, „du behältst LaRouche im Auge. Bleib an ihm dran, so schwer wird dir das doch nicht fallen. Der Bursche sieht doch ganz manierlich aus.“ Die Ministerin hob ein Foto von William in die Kamera und zwinkerte Penelope auffordernd zu.
„Melinda!“ Jonathan rollte mit den Augen. „Das ist eine Aufnahme, die LaRouche als Special Agent bei seinem ersten Einsatz in Kalifornien zeigt. Der Mann ist mittlerweile fünfzehn Jahre älter und ein paar Pfund schwerer geworden.“
„Okay, okay. Du klärst das mit Penelope. Wir sehen uns dann später“, entschuldigte sich die Ministerin und verschwand aus dem Bild.
„Melinda sieht in William nur den Agenten“, erklärte Jonathan mit gesenkter Stimme, obwohl seine Chefin bereits das Konferenzzimmer verlassen hatte. „Ich war mit seinem Dad in Vietnam und Kambodscha und kenne Bill schon seit Jahrzehnten. Es ging ihm in letzter Zeit nicht besonders gut.“
„William hat ein paar Andeutungen in diese Richtung gemacht. Bist du sicher, dass er mental stabil genug ist, um sich mit einem Mann wie Mazzini anzulegen?“
Es knackte in der Leitung. Das Bild flackerte für ein paar Sekunden. Dann stand die Verbindung wieder.
„Er wird es schaffen. Bill ist der beste Exposer, den ich kenne. Dieser Auftrag ist für ihn auch eine Chance, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und entschuldige Melindas Taktlosigkeit. Im Grunde wollte sie dich nur um Folgendes bitten: Wäre es dir möglich, Bill aufzufangen, sollte er wider Erwarten eine dunkle Stunde erwischen?“ Jonathan hielt kurz inne, um dann hinzuzufügen: „Sofern er es zulässt.“
„Ich werde mich um William kümmern, wenn es die Situation erfordert und er es zulässt“, wiederholte Penelope und verabschiedete sich nachdenklich von Jonathan und dem morgendlichen Washington. Auch Jonathan war noch ganz in Gedanken, als er zu Melinda Rodriguez zurückkehrte, die ihn in ihrem Amtszimmer mit dem Zeitplan für den Tag erwartete.
„Du behauptest also, William LaRouche ist ein Genie. Ein Genie, das ein Kindermädchen braucht. Bist du dir sicher, dass Penelope dafür die richtige Wahl ist?“, entfuhr es Melinda.
„Du warst eben unmöglich. Ein Elefant im Porzellanladen geht behutsamer vor. Und zu Penelope: Ich kenne Andrews Tochter nicht so lange, wie du sie kennst. Aber ich bin überzeugt, sie ist sensibler, als du es jemals sein wirst.“ Nur Jonathan durfte so mit der Ministerin sprechen. Er hatte die politische Karriere der ehrgeizigen Tochter eines mexikanischen Viehhirten über Jahre loyal begleitet und unterstützt. Er schätzte ihren unermüdlichen Einsatz für die amerikanischen Minderheiten, die in der Summe betrachtet inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Jonathan bewunderte zudem Melindas Konsequenz, wenn es um die Strafverfolgung von Verbrechern ging. Anders als die meisten ihrer Parteifreunde vertrat sie hier eine Null-Toleranz-Politik und kannte bei der Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten keine Freunde und Genossen, was sie in den eigenen Reihen und in den liberalen Medien zu einer Reizfigur hatte werden lassen.
„Jonathan, du weißt, dass ich die Gewalt autoritärer Eliten, die ihre Völker unterjochen, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfe. Dass Mazzini sich als amerikanischer Staatsbürger diesen Diktaturen als Folterspezialist andient, ist unerträglich. Ich will an diesem Mann ein Exempel statuieren. Die Welt soll sehen, wie die Justiz der Vereinigten Staaten Verbrecher vom Schlage eines Mazzini aus dem Verkehr zieht.“
Jonathan war grundsätzlich der gleichen Meinung, fand aber, dass Melinda mitunter undiplomatisch voranschritt. Statt einer abgestimmten multinationalen Aktion, plante sie im Mazzini-Fall einen Alleingang, um die von ihr geringgeschätzte internationale Gerichtsbarkeit zu umgehen.
„Nimm nur den Fall Mazzini“, hob die Ministerin wie auf Bestellung an. „Der internationale Haftbefehl verstaubt seit Jahren irgendwo in einer Schublade der Bürokratie. Der Strafgerichtshof in Den Haag ist ein zahnloser Papiertiger. Nichts ist passiert. Der Kerl läuft immer noch frei herum und treibt sein Unwesen. Wir sind gottlob nicht Mitglied in diesem Klub der Weicheier. Mazzini wird vor ein ordentliches amerikanisches Gericht gestellt. Ein zügiger Prozess nach amerikanischem Recht, das keinen Verteidiger-Hokuspokus zulässt und in ein paar Bundesstaaten auch noch mit der Todesstrafe enden kann.“
Melinda verfolgte unnachgiebig ihre Linie, denn sie hatte große Pläne. Die Unterstützung der Latinos, erheblicher Teile des schwarzen Amerikas, der Frauenverbände und der Intellektuellen der Ostküsten-Metropolen war ihr sicher. Um als erste Frau in der amerikanischen Geschichte als Präsidentin ins Weiße Haus einziehen zu können, benötigte sie jedoch zusätzliche Stimmen aus der konservativen weißen Mittelschicht. Ein Schauprozess gegen einen Feind Amerikas, der im südostasiatischen Dschungel brave amerikanische Farmerjungs aus dem mittleren Westen gefoltert und ermordet hatte, war insofern für sie ein probates Mittel zum Zweck.
Nurathat Chatchawan blinzelte benommen auf das Display seines Smartphones. Er hatte mit Freunden gepokert, dabei etliches getrunken und noch mehr verloren. Spät in der Nacht war er ins Bett getaumelt, ohne noch das ganze Ausmaß seines Verlustes wahrgenommen zu haben. Wer wollte ihn nun um halb fünf morgens sprechen? Etwas Angenehmes konnte das kaum sein. Als er die Nummer des ankommenden Anrufs erkannte, schoss er in die Höhe.
„Andy am Apparat. Sir? Was kann ich für Sie tun? Es ist sehr früh …“, stammelte dieser mit schwerer Zunge.
„Ich habe eine Aufgabe für dich. Es ist dringend.“ Die schneidende Stimme des Anrufers ließ keinen Zweifel offen, dass bei einem Misserfolg Unangenehmes zu erwarten war. Die nächsten Minuten saß Andy kerzengerade an der Bettkante und hörte so konzentriert, wie es in seinem Zustand möglich war, zu. Er bestätigte immer wieder mit „Yes, Sir!“ oder „Verstanden, wird erledigt!“, um dann ein letztes Mal seine Dienstbeflissenheit zu bekunden. „Sir, Sie können sich auf mich verlassen.“
Als der Auftraggeber seine Anweisungen beendet hatte, sank Andy ermattet zurück ins Laken. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Der Anrufer hatte schier Unmögliches von ihm verlangt. Würde es ihm dennoch gelingen, einigermaßen glimpflich aus dieser verzwickten Situation herauszufinden?
Sie fuhren schweigend mit der Rolltreppe in die zweite Etage des BACC, dem Kunst- und Kulturzentrum von Bangkok. Dort betraten sie ein Café, das belgische Waffelspezialitäten anbot. William bestellte einen Cappuccino, Andy einen Doubleshot, der einem doppelten Espresso entsprach. Andys Haare standen wirr in alle Richtungen, sein jugendliches Gesicht wirkte in dem künstlichen Licht des Lokals blutarm und gelblich-fahl.
„Ich habe erfreuliche Nachrichten“, verkündete Andy, der seine Augen hinter einer Sonnenbrille versteckte.
„Ich höre.“
William rührte in seinem Cappuccino und dachte dabei, in welch jämmerlichem Zustand Jonathan ihn vor nicht einmal zwei Wochen in seinem Büro in Hoboken angetroffen hatte. Andy hatte vermutlich nur ordentlich mit Freunden gefeiert und stand nun tapfer seinen Mann. Dieser junge Ermittler gefiel ihm. Penelope hatte bei der Selektion seines Assistenten die richtige Wahl getroffen.
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