Nancy Aris
Dattans Erbe
Roman
mitteldeutscher verlag
Nancy Aris, geboren 1970 in Berlin, Studium der Russistik, Polonistik und Neuesten Geschichte in Berlin, Moskau und Wrocław. Promotion zur Geschichtsschreibung im Stalinismus und umfangreiche Archivrecherchen in Moskau. Seit 2003 ist sie stellvertretende Sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Diverse Publikationen zur Diktaturgeschichte. Im Mitteldeutschen Verlag erschien 2014 „Passierschein, bitte! Nachtnotizen aus Wladiwostok“.
2016
© mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)
www.mitteldeutscherverlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: Erdmute Hufenreuter
Umschlagabbildung: fotolia.com – alien185
Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)
ISBN 978-3-95462-764-6
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
Cover
Titel Nancy Aris Dattans Erbe Roman mitteldeutscher verlag
Die Autorin Nancy Aris , geboren 1970 in Berlin, Studium der Russistik, Polonistik und Neuesten Geschichte in Berlin, Moskau und Wrocław. Promotion zur Geschichtsschreibung im Stalinismus und umfangreiche Archivrecherchen in Moskau. Seit 2003 ist sie stellvertretende Sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Diverse Publikationen zur Diktaturgeschichte. Im Mitteldeutschen Verlag erschien 2014 „Passierschein, bitte! Nachtnotizen aus Wladiwostok“.
Impressum 2016 © mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale) www.mitteldeutscherverlag.de Alle Rechte vorbehalten. Lektorat: Erdmute Hufenreuter Umschlagabbildung: fotolia.com – alien185 Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) ISBN 978-3-95462-764-6 E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
Die Anzeige
Erstkontakt in den Neunzigern
Post aus München
Ankunft in Wladiwostok
Treffen in Naumburg
Versal & Flober
Im Archiv des Fernen Ostens
Wohnungssuche
Nadezhda, meine Hoffnung
Erste Begegnungen im Block
Regentin des Lesesaals
Olgas Verschwinden
Wolodja
Tom Sawyer streicht ein Zimmer
Kreuzzug in Schlappen
Doppelter Fund
Unliebsamer Besuch
Böse Entdeckungen
Eingangskontrolle
Pflanzenfresser mit Biss
Ljudmila nahe am Wahnsinn
Fotoalben und die Kiste
Sackgasse und Sprint
Bewachung rund um die Uhr
Demut vor dem Dokument
Briefe, Briefe, Briefe
Die Stunde der Wahrheit
Plötzliche Gelassenheit
Magnet
Überraschung im Trott
Die Kündigung
Neue Wege
Kehrtwende
Der Durchbruch
Späte Klärung
Übergabe
Drei Namen
Orakelstimmen
Der Entschluss
Wodka früh um zehn
Aussichten am Meer
Noch mal von vorn
Verbannungsgeschichte reloaded
Krieg
Verhaftet
Verbannt
Eroberer
Verbannung mit Tea-Time
Schwimmendes Massengrab
Geplante Dreharbeiten
Neu in Petrograd
Verzögerte Rückkehr
Ossendowski privat
Unerwarteter Besuch
Flucht nach vorn
Minkchens Briefe
Zweifel
Nichtfinden als Auftrag
Beleidigte Leberwurst
Zettelwirtschaft
17.02.1921-aussergewoehnlich-interessant.doc
Gruß aus Japan
Brief-Finale
Kleine Helfer
Geordneter Rückzug
Minkchen
Abschied
Wieder zu Hause
Die Inspektion
Übergabevorbereitung
Die Offenbarung
Seelentröster
Jetzt erst recht
Die Mühen der Ebene
Das russische Berlin
Alexander
Reisevorbereitungen
Ankunft
Berlin
Premiere
Paris
Zum Buch und Dank
Weitere Bücher
Ich hatte gekündigt. Meine Kollegen hielten mich für verrückt. Sie verstanden nicht, wie jemand in meiner Position alles aufgeben konnte. Einfach so, von heut auf morgen. Solide Posten wie dieser waren rar gesät und auch ich war nicht mehr die Jüngste. Sie begriffen die Welt nicht mehr. Warum hörte ausgerechnet ich auf? War ich nicht diejenige, die nie Probleme im Job zu haben schien, die immer gut gelaunt ins Büro kam? Alle wussten, dass mir meine Arbeit Spaß machte. Viele beneideten mich. Die Freiheiten, die ich genoss, waren für mich alltäglich. Doch auch ich wusste, dass es woanders ganz anders zuging. Es gab also keinen Grund, einfach aufzuhören. Und auch für mich hätte es ihn nicht gegeben.
Aber ich tat es.
Von denen, die mich zum Bleiben drängten, wusste keiner etwas von meinem Vorhaben. Außer Bernd, mein Chef. Auch ahnte keiner, dass ich seit einem halben Jahr reich war. Sehr reich sogar. Ohne real etwas dafür getan zu haben, hatte ich über Nacht so viel Geld, dass ich mir um nichts mehr Sorgen machen müsste. Auch für Martin und Paul würde es reichen. Geldprobleme waren mir ohnehin fremd, aber nun wusste ich, dass ich auch in Zukunft nie in Geldnot geraten würde, egal wie viel ich verdiente. Es würde immer reichen. Und das war ungemein beruhigend.
Trotzdem verhielt ich mich nach diesem Geldsegen ganz normal, so wie immer. Ich ging weiter arbeiten, kaufte im Discounter ein und putzte selbst. Äußerlich war kein Unterschied zu bemerken. Wir hatten immer noch kein Auto, wohnten weiterhin in unserer Mietwohnung, und ich kleidete mich nicht bei Max Mara ein, sondern blieb bei meinen Jeans. Nur gingen wir öfter schick essen, nahmen ein Taxi oder buchten im Urlaub teure Hotels. Ich genoss diese Annehmlichkeiten und das Gefühl, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, ob wir uns das leisten konnten oder nicht. Wir konnten.
Warum also hatte ich plötzlich genug von meinem Job?
Angefangen hatte alles an diesem Sonntag im Mai, eine Woche vor meinem Geburtstag. Wir saßen im Garten und frühstückten, obwohl es zu kühl dafür war. Ich hatte Martin und Paul dazu überredet, weil ich gern im Garten saß. Eine gemütliche Frühstücksatmosphäre kam trotzdem nicht auf. Ich hatte sie zwar rumgekriegt, aber sie saßen fröstelnd da, tranken einsilbig ihren Kaffee und verschwanden bald wieder. Ich blieb demonstrativ sitzen, kuschelte mich in eine Decke und begann mit der Sonntagslektüre. Ich liebte es, am Wochenende faul im Garten zu sitzen und in der ZEIT zu blättern. Und plötzlich war da diese Annonce. Ich las keine Stellenanzeigen, hatte das Inserat nur zufällig beim Umblättern entdeckt, weil es riesig war und mir ein russisches Wort in fetten roten Lettern in die Augen sprang:
ВНИМАНИЕ!
Russischsprachige Anzeigen in der ZEIT ? Ich las weiter.
Suche ab sofort Historiker für Archiv-Recherche in Wladiwostok. Vorausgesetzt werden sehr gute Russischkenntnisse, Abenteuerlust und Beharrlichkeit. Bei zufriedenstellenden Rechercheergebnissen erwartet den Bewerber eine überdurchschnittliche Bezahlung.
Dann eine Chiffre-Nummer. Was war das denn? Ich las noch einmal. Es schien ein Widerspruch in sich: Abenteuerlust & Beharrlichkeit, Archivrecherche & gute Bezahlung. Das passte nicht zusammen. Alles wirkte unseriös, auch die russische Überschrift. Und dann noch in der ZEIT . Und wer setzte über eine Stellenausschreibung schon ein „Achtung!“, ein sprachliches Warnschild? Wovor sollte der Rechercheur gewarnt werden? Und was sollte die Chiffre-Nummer? So etwas kannte ich nur von Partneranzeigen. Alles war geheimnisvoll und doch so unprofessionell. Warum stand da nicht, wer der Auftraggeber war und worum es ging? Kein Institut, keine noch so blasse akademische Einrichtung würde so inserieren. Der ganze Duktus war antiquiert, wie aus einer anderen Welt. Offenbar war da jemand am Werk, der noch nie eine Anzeige aufgegeben hatte. Jeder seriöse Historiker hätte weitergeblättert, hätte die drei Sätze, die verloren im protzigen, überdimensionierten Rahmen bibberten, nicht einmal zur Kenntnis genommen. Nur ich hatte sie entdeckt, weil ich immer erst die abseitigen Dinge sah, bevor ich das Offensichtliche bemerkte. Mittlerweile saß ich schon zwanzig Minuten vor dieser Anzeige und grübelte fieberhaft, was dahinterstecken konnte. Was gab es am östlichsten Rand des Russischen Imperiums, kurz vor Japan, zu recherchieren? Mir fielen irgendwelche Geschäfte ein – Pelze, Gold, Kaviar. Vielleicht ein Business mit japanischen Gebrauchtwagen? Aber warum das Archiv und warum ein Historiker, der zudem auch noch beharrlich sein sollte?
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