»Ich glaube, du musst anklopfen«, grinste Justus.
Ronja seufzte innerlich. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig. Sie klopfte.
Als sie Schritte sich von innen der Tür nähern hörte, wappnete sie sich gegen alles, was da kommen mochte, sie verkrampfte sich geradezu. Aber Marina würde ihr doch nicht tatsächlich im Evaskostüm öffnen. Oder würde sie?
Endlich bildete sich ein Spalt, dann wurde die Tür weiter aufgezogen. Marina trug einen Bademantel.
Am liebsten hätte Ronja sich jetzt erst einmal gesetzt. Aber das konnte sie natürlich nicht tun.
»Was ist?« Justus schaute sie auffordernd an. »Also ich würde so eine«, er warf einen hingebungsvollen Blick auf Marina, »wunderschöne Braut nicht warten lassen.«
Marina lächelte. »Vorfreude ist die schönste Freude«, erwiderte sie. »Die will sich Ronja nicht nehmen lassen.« Sie streckte einen Arm aus. »Aber jetzt wird es Zeit, Liebling. Da hat Justus recht.«
Bewegungslos, wie sie war – sie hatte das Gefühl, sie konnte allein keinen Schritt mehr machen, sich überhaupt nicht rühren –, ließ Ronja sich von Marina kraftlos in das Zimmer hineinziehen.
»Gute Nacht, ihr beiden«, warf Marina noch lächelnd in den Gang hinaus, dann schloss sie die Tür.
»Oh mein Gott!« Ronja stützte sich keuchend an der Wand ab. »Ich dachte, die bestehen noch darauf, mich nackt neben dich ins Bett zu legen!«
»Wäre das so schlimm gewesen?« Marina lachte leise.
Ronja zuckte zusammen. »Ich finde das nicht witzig, Marina.« Sie richtete sich auf. »Und im Übrigen fand ich es auch gar nicht witzig, was du mit meiner Großmutter gemacht hast. Wie kannst du ihr so etwas versprechen?«
Marina zuckte die Schultern und ging zum Bett. »Sie wünscht es sich so sehr. Warum sollte ich ihr die Freude nicht machen?«
»Und wenn ich ihr dann sagen muss, dass es leider nichts wird?«, fragte Ronja mit wütend funkelnden Augen. »Glaubst du, das ist gut für ihr Herz?«
»Ja.« Marina lächelte weich. »Es ist gut für ihr Herz, weil es ein Herzenswunsch von ihr ist. Und ich . . .«, sie senkte den Blick und schaute Ronja von unten herauf an, »werde ihr bestimmt nicht sagen, dass es nichts wird. Das ist nicht nötig.«
»Das ist es ja nicht allein.« Ronja lief aufgebracht im Zimmer herum. »Sie müsste dann auch erfahren, dass wir nicht verheiratet sind – nie waren – und dass das alles hier ein Schwindel ist. Das bringt sie um.«
»Ich würde lieber nicht so laut sprechen«, warnte Marina und legte sich einen Finger auf die Lippen. »Ich könnte mir vorstellen, dass Sissy noch da draußen ist und lauscht.« Sie lachte leicht. »Sie mag mich nicht. Sie hat was gegen mich.«
»Aber nein. Das bildest du dir ein.« Ronja runzelte die Stirn. »Sie ist wie meine kleine Schwester.«
»Weiß sie das auch?« Marina schmunzelte. »Und klein ist sie nun wirklich nicht mehr. Sie ist älter als ich.«
Ronja lachte hohl auf. »Das ist nicht besonders schwer.«
»Bin ich dir zu jung?« Überrascht hob Marina die Augenbrauen. »Justus findet glaube ich, ich bin genau im richtigen Alter.«
Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte Ronja sie an. »Dann solltest du vielleicht Justus heiraten.«
»Das wäre Bigamie«, bemerkte Marina trocken.
Ronja schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht verheiratet, hast du das schon vergessen?«, fragte sie geradezu entgeistert, denn sie hatte wirklich das Gefühl, dass Marina sich langsam so in ihre Rolle hineinsteigerte, dass sie noch anfing, daran zu glauben. »Das alles hier ist nichts als eine Komödie, die wir für meine Großmutter aufführen, damit sie sich nicht aufregt. Mehr steckt nicht dahinter.«
»Wirklich nicht?« Marinas blaue Augen wandten sich mit einem kindlich ungläubigen Blick an sie.
»Marina!« Ronja blitzte sie an. »Mach nicht mehr daraus, als es ist. Glaubst du jetzt schon unseren Schwindel?«
»Vielleicht will ich ihn glauben.« Marina trat vom Bett her nah an sie heran und blieb nur Zentimeter entfernt von ihr stehen. »Vielleicht möchte ich dich nur ein einziges Mal küssen.«
»Das hatten wir doch schon.« Ronja wandte sich ab. Ihr Herz klopfte schnell und so laut, dass sie meinte, es müsste von den Wänden widerhallen.
Marina lachte. »Das war kein Kuss! Du hast dich gewehrt, als wärst du eine Jungfrau, die ihre Unschuld verteidigen müsste.«
»Damit hattest du bestimmt nie Probleme«, warf Ronja ihr über die Schulter hinweg zu.
»Au«, sagte Marina. »Das tat weh.«
»Tut mir leid.« Ronja ging ein paar Schritte, drehte sich um und verschränkte ihre Hände ineinander. »Wir sollten uns einfach nicht mehr darüber unterhalten, was . . . was in meiner Wohnung war. Es war ja eigentlich auch nichts.«
»Nein, es war nichts«, bestätigte Marina, aber irgendwie mit einem merkwürdigen Unterton.
»Jetzt«, Ronja seufzte, »haben wir ein anderes Problem.« Sie wies mit dem Kinn zur Tür. »Ich muss da raus, um in mein Zimmer zu kommen.«
»Willst du das wirklich?«, fragte Marina und kam wieder auf sie zu. »Was ist so schlimm daran, hier zu übernachten, wie alle es von dir erwarten?«
»Was ist so schlimm?« Ronja blieb fast der Mund offenstehen. »Hier ist nur ein Bett!«
»Ein ziemlich großes«, stellte Marina fest und warf einen Blick darauf. »Ein wirklich hochherrschaftliches Ehebett.«
Ronjas Augenbrauen zogen sich zusammen. »Es war das Bett meiner Eltern!«
Marina lachte wieder leise. »Dann kennt es sich ja damit aus, was in so einem Ehebett zu geschehen hat. Vermutlich wurdest du hier gezeugt?« Sie sah Ronja ganz unschuldig blauäugig an.
»Hör auf!« Ronja verschränkte die Arme vor der Brust und verzog ihre Mundwinkel nach unten. »Du hast diese ganze Katastrophe hier angerichtet, und jetzt stehe ich da und muss die Folgen tragen. Findest du das so in Ordnung?«
Marina schien bei weitem nicht so viel an der Situation auszusetzen zu haben wie Ronja, aber das war ja auch nachvollziehbar. Sie würde wieder gehen, sie würde nicht mit den Konsequenzen zu kämpfen haben, wenn sie fort war. Für sie waren das nur ein paar anscheinend äußerst unterhaltsame Tage, wie ein Urlaub vom Alltag.
Und wenn man nach Hause kam, hatte man nichts mehr damit zu tun, was im Urlaub geschehen war. Urlaubsflirts, Telefonnummern – das verschwand in einem weit entfernten Teil der Erinnerung oder wurde höchstens in einem Urlaubsordner abgelegt wie all die Fotos, die man nie wieder anschaute.
»Ronja . . .« Marina hatte sie nun erneut erreicht und verringerte den Abstand zwischen ihnen noch mehr. »Gefalle ich dir denn überhaupt nicht? Findest du mich so . . . abstoßend?« Sie hob eine Hand und strich sanft mit einem Finger über Ronjas Wange.
Ronja begann zu zittern. Sie griff nach Marinas Handgelenk und hielt es fest. »Du weißt sehr gut, dass du nicht abstoßend bist. Du bist«, sie schluckte, »sehr attraktiv. Aber das hat hier jetzt keine Bedeutung. Wir geben etwas vor, das wir nicht sind, ein Ehepaar. Und das ist einfach nicht richtig.«
»Das macht dir wirklich Sorge, hm?« Marina biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Das hätte ich nicht gedacht.« Sie warf einen Blick auf ihr Handgelenk. »Du kannst mich loslassen. Ich fasse dich nicht an, wenn du das nicht willst. Ich dachte nur . . .«, eindringlich musterte sie Ronjas Gesicht, »wo wir schon einmal hier sind . . .«
»Und dein Verlobter? Dein Bräutigam?«, fragte Ronja heftig. »Den scheinst du ja wohl völlig aus deinem Gedächtnis gestrichen zu haben. Dabei hast du heute Morgen noch mit ihm am Traualtar gestanden, und ihr wolltet euch das Jawort geben. Ist das alles so einfach für dich zu vergessen?«
»N-nein.« Diese Bemerkung schien Marina auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. »Das habe ich nicht vergessen.«
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