»Nein diese Eugenie! Du bist doch ein freches Tier! – Ach Schlagsahne! – An der könnt’ ich mich tot essen!«
»Na – Gott segne Deine Studia!«
»Überfriss Dich nur nicht vor dem Juristenball!«
»Unser Tanzfest soll gleich hinterher sein«, schrie Eugenie. »Kinder – ich freue mich ja diebisch! Wir haben auch Deinen Vetter Martin eingeladen, Agathe! Wie sie selig ist …!«
»Es ist nicht wahr – ich interessiere mich gar nicht für ihn!«
»Kindchen, Kindchen, tu’ doch nicht so! Das kann ich nicht ausstehn!«
»Ach Du lieber Himmel, ob mich wohl Referendar Sonnenstrahl zum Kotillon engagiert?« seufzte Lisbeth. »Er hat so ’nen himmlischen Schnurrbart!«
»Ich finde den von Lieutenant Bieberitz viel schöner, Dein Sonnenstrahl hat ja krumme Beine.«
»Und Dein Lieutenant Bieberitz trägt ein Korsett!«
»Wie kannst Du so etwas behaupten?«
»Ich weiß es ganz bestimmt von unserer Schneiderin. Bei deren Mutter ist er in Logis.«
»Habt Ihr die Trine?«
»Zu uns darf sie nicht mehr kommen! Sie klatscht zu grässlich! Was die für Geschichten weiß! Scheußlich!«
»Erzähle – erzähle!«
»Nein – ich schäme mich.«
»Raus – raus mit der Sprache! Na –«
»Denkt nur, der alte verheiratete Tademir … Ach – Frau Regierungsrat …!«
»Nun, meine lieben Mädchen, amüsiert Ihr Euch? Agathe, bist Du eine aufmerksame Wirtin? Wie geht es zu Haus?«
»Danke, Frau Regierungsrätin!«
»Agathchen darf doch auf unsern Lämmersprung kommen, Frau Regierungsrätin?«
»Ach, Frau Regierungsrat – wie können Sie nur so etwas sagen – Sie genieren uns doch nicht …«
Andere Stimmen – andere Bewegungen – wohlerzogene Knixe – lächelnde, beruhigte Gesichter – wenn sie auch von dem heftigen Durcheinanderschreien noch in lebhaftem Rosenrot glühten – das stand ihnen gut zu den friedlich auf die Handarbeit gesenkten Augen.
Man sprach von Holzmalerei, von dem letzten Buch einer beliebten Jugendschriftstellerin.
Es waren doch nette Mädchen, Agathes Freundinnen. Eugenie allein erregte Frau Heidling Verdacht. Man munkelte etwas Unbestimmtes von einer dummen Liebesgeschichte, um derentwillen sie aus dem Haus geschickt worden sei. Gewiss nur eine von den gehässigen Nachreden, wie sie hübsche Mädchen so gern verfolgen. Die Regierungsrätin musste sich gestehen, dass sie noch nichts Bedenkliches hatte an Eugenie entdecken können. Das Mädchen besaß weit bessere Formen, als ihre Mutter, von dem alten Wutrow gar nicht zu reden.
1 Wimpffen=Adelsgeschlecht <<<
In dem Leitfaden fürs Leben: »Des Weibes Wirken als Jungfrau, Gattin und Mutter« stand zu lesen: Der erste Ball bedeute einen der schönsten Tage im Dasein eines jungen Mädchens. Alle Empfindungen, die das kleine, unter dem Tarlatan hüpfende Herzchen bei den Klängen der Tanzmusik selig durchschauern sollten, waren eingehend geschildert – ja, die Verfasserin verstieg sich in ihrer Beschreibung dieser wichtigsten Jugendfreuden zu einer wahrhaft dithyrambischen Sprache.
Aber nicht nur die aus dem Tempel der Poesie herabtönende Orakelstimme – auch die Präsidentin Dürnheim und die anderen Bekannten von Mama – spitze, hagere Rätinnen und schwere, verfettete Rätinnen, liebenswürdige, geistreiche Rätinnen, und einfache Rätinnen, Rätinnen vom Gericht und von der Regierung und unverheiratete, die sich nur zu Familienrätinnen hatten aufschwingen können – sie alle klopften der kleinen Heidling die Wange oder nickten ihr zu: der erste Ball –! So ein glückliches Kind! Ach ja, der erste Ball! – dass man auch einmal so schlank und froh und morgenfrisch seinem ersten Ball entgegensah …
Es ist also wahr! Der erste Ball muss etwas unerhört Bezauberndes sein.
Agathe hatte ja auch ein wunderhübsches Kleid bekommen. Nur lange Handschuhe wollte die Mama nicht spendieren – in ihrer Zeit trugen die jungen Mädchen niemals so lange Handschuhe, wie sie jetzt Mode waren. Mama begann neuerdings so ängstlich zu sparen – seit Walter sich entschlossen hatte, Offizier zu werden. Die Eltern mussten ihm alle Augenblicke dreihundert Mark schicken – das war freilich schlimm! Aber Eugenie hatte wunderbare Handschuhe – bis an die Ellenbogen – und kaufte sich gleich mehrere Paar, falls eins davon einen Riss bekäme. Es war ordentlich eine Qual, dass Agathe fortwährend an die Handschuhe denken musste. Dabei gab es soviel anderes, was sie hätte mehr beschäftigen sollen. Z. B. ob sie sich verlieben würde? Das geschah, dem Prachtwerk zufolge, meist auf dem ersten Ball. Schon acht Monate lang ein erwachsenes Mädchen – da war es doch die höchste Zeit!
Martin Greffinger kam, um den Juristenball mitzumachen, aus der nicht sehr entfernten Universitätsstadt herüber.
»Er wird Dir doch ein Bouquet schenken?« hatten Agathes Freundinnen geraten, und Agathe zeigte ihm deshalb eine Probe ihres Kleides. Der Strauß in der Farbe der Toilette – wonnig!
»Für all’ den Unsinn, den Du Dir anhängst, könnten drei Proletarier-Familien vier Wochen leben«, sagte Martin verächtlich. »Ich soll Dir wohl noch ein Bouquet –? Wenn ich doch mal heute hier den Affen spielen soll bei Euch Gänsen! Ja, Agathe, ich hätte nicht gedacht, dass Du auch gerade so würdest, wie die anderen alle!«
Agathe schmollte, und der Regierungsrat setzte seinen Neffen über die ungehörige Ausdrucksweise zur Rede. Agathe wurde für ihre Empfindlichkeit hart gestraft. Denn es entstand infolge dessen zwischen ihrem Vater und Martin ein Streit, der, bei Kaffee und Kuchen begonnen, die gemütliche Vorfeier vergällte und sich bei unzähligen Zigarren bis zum Abend fortspann.
Martins Vorliebe für Herweghs Gedichte wurde strenge getadelt.
Agathe hörte, während sie ab und zu ging, um ihre Ball-Vorbereitungen zu treffen, die zornigen Ausrufe:
»Wie kann man mit solchen Ansichten in den Staatsdienst treten wollen …? – Das Leiden von Millionen –. Die kapitalistische Wirtschaft –! Reiner Sozialismus – flaches Phrasentum –. Verknöcherte Gewohnheitsmenschen – verrottete Bourgeoisie …«
Martins Augen bekamen einen wilden, fürchterlichen Ausdruck, und die höhnischen Falten, die jetzt immer um seine trotzig aufgeworfenen und noch fast bartlosen Lippen lagen, verstärkten sich zur Grimasse. Der Regierungsrat ging in der Stube auf und nieder, wie er es zu tun pflegte, wenn er in sehr schlechter Laune war.
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