Carla Amina Baghajati
25 Fragen –
25 Orientierungen
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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2015
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: stadthaus 38, 6020 Innsbruck
unter Verwendung eines Bildes von Maskot/Getty Images
Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Druck und Bindung: Alcione, Lavis (I)
ISBN 978-3-7022-3429-4 ( gedrucktes Buch ) ISBN 978-3-7022-3430-0 ( E-Book ) E-Mail: buchverlag@tyrolia.atInternet: www.tyrolia-verlag.at
„Für jeden von euch haben wir ein Gesetz und einen Lebensweg aufgezeigt. Und wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch Er wollte euch prüfen in dem, was Er euch gegeben hat. Darum wetteifert miteinander in guten Werken. Zu Allah werdet ihr alle zurückkehren. Dann wird Er euch Kunde geben davon, worüber ihr zu streiten pflegtet .“ (Koran 5:48)
Diese Verse waren die direkte Inspiration für Gotthold Ephraim Lessing bei der Niederschrift der Ringparabel in „Nathan der Weise“:
„Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: ‚Wähle!‘ Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: ‚Gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!‘“ (Lessing, 1777)
Einleitung
Gottesdienst
1.Wie stehen Mann und Frau in ihrem Menschsein zueinander?
2.Gibt es Unterschiede in der religiösen Praxis zwischen Männern und Frauen?
3.Wie kann ich mich Gott weiter nahe fühlen, auch wenn ich während der Periode nicht bete und faste?
4.Gibt es eine Kopftuchpflicht – auch beim Schlafen?
Rollenbilder
5.Bin ich als gute Muslimin vor allem auf die Rolle als Hausfrau und Mutter festgelegt?
6.Müssen Musliminnen die Männer in ihrer Familie bedienen?
7.Gilt die Zeugenaussage einer Frau wirklich nur halb so viel wie die Aussage eines Mannes?
8.Kann eine Frau nach islamischer Vorstellung eine Führungsrolle einnehmen – auch im Staat?
Zusammenleben
9.Wie können Musliminnen islamische Argumente in Richtung Frauenmitsprache nutzen?
10. Dürfen muslimische Frauen arbeiten gehen?
11. Was soll ich machen, wenn ich Kopftuch tragen möchte, aber das wegen meiner Arbeit nicht geht?
12. Sind Sportunterricht oder Klassenfahrten für muslimische Mädchen ein Problem?
13. Wie soll ich reagieren, wenn mir ein fremder Mann die Hand schütteln möchte?
14. Kann ich als Frau an einer Beerdigung teilnehmen?
15. Was hat es mit dem Gesichtsschleier auf sich?
Ehe und Familie
16. Gilt ein Bub mehr als ein Mädchen?
17. Darf ein Muslim mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet sein?
18. Worauf ist beim Abschluss des islamischen Ehevertrags zu achten?
19. Ist Sex nur zum Kinderkriegen da?
20. Sind Verhütungsmittel erlaubt?
21. Ist ein Schwangerschaftsabbruch haram , also islamisch verboten?
22. Haben muslimische Männer eine Art „Züchtigungsrecht“ über die Frau?
Im Namen der Ehre?
23. Mit welchen Argumenten lässt sich eine Zwangsehe beziehungsweise Kinderhochzeit verhindern?
24. Was tun gegen Verbrechen im Namen der Ehre?
25. Wie lässt sich FGM bekämpfen?
Ausblick
Zehn Punkte – zehn Wege für mehr Geschlechtergerechtigkeit
Anmerkungen
Glossar
Meine Mutter würde ein Problem mit meinem Kopftuch haben. So viel war mir damals, als ich frisch den Islam angenommen hatte, schon klar. Der Wunsch, auch äußerlich zum Islam zu stehen, war aber groß. Ich grübelte also, wie ich vorgehen sollte. Weil ich wusste, dass Diskussionen nur schmerzhaft und fruchtlos sein würden, bildete ich mir ein, eine Hauruck-Methode sei der einzige und beste Weg. Es einfach tragen und fertig – eine schlechtere Strategie hätte ich nicht wählen können!
Nach einem langen Nachmittag bei der türkischen Familie in Mainz, bei der ich die praktischen Seiten der Religion kennenlernte, behielt ich das Kopftuch, das man mir geschenkt hatte, einfach auf. Wie würden die Leute auf der Straße reagieren? Auf dem Weg nach Hause beobachtete ich die Reaktionen genau. Damals, Ende der 1980er-Jahre, begann man mehr und mehr über die so genannte Ausländerproblematik zu reden. Ich bekam sofort zu spüren, dass ich mit dem Kopftuch auf einmal als Fremde behandelt wurde – misstrauische Blicke, mangelnder Respekt und vor allem wurde ich angeredet, als könnte ich kein Deutsch: „Du gehen bisschen zur Seite!“. Ich hätte gewarnt sein sollen. Doch im Hochgefühl des Bewusstseins, für mich den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, trug ich den Kopf nur noch höher.
Unser Küchenfenster geht auf die Straße hinaus und da sah ich schon meine Mutter stehen. Ihr Blick fiel auf mich und wenn je der Ausdruck „in die Luft gehen“ wirklich zu beobachten war, dann bei ihr. Ihr blieb der Mund offen stehen, sie rang nach Luft und schien mit jedem Schnappen ein Stück weiter an die Decke heranzukommen. Einmal begonnen, wollte ich meine Aktion trotzdem nicht abbrechen. Anstatt das Tuch einfach gleich auszuziehen, trat ich also zu ihr ins Zimmer und merkte da erst, was für einen furchtbaren Fehler ich gemacht hatte. Ich musste noch froh sein, dass sie keinen Herzinfarkt bekommen hatte, so aufgelöst war sie. Schon prasselten die Vorwürfe auf mich ein: „Habe ich dich nicht zu einer freien jungen Frau erzogen? Musst du dich so zurichten? Das mit dem Islam ist ja schlimm genug – musst du es auch noch so herzeigen? Und willst du wirklich so eine unterdrückte Frau werden, wie man immer von den Musliminnen hört?“
Damit lagen die Fragen auf dem Tisch, die mich die nächsten Jahre, vielleicht bis heute, beschäftigen sollten. Für mich persönlich bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass mein Religionswechsel keinen Wechsel meiner Einstellungen und prinzipiellen Werte bedeutete. Die Chancengleichheit von Mann und Frau, Menschenrechte und auch ein demokratisches Bewusstsein waren mir von Jugend an wichtig und würden es auch weiterhin sein. Im Islam hatte ich nichts gefunden, das mich damit in Widerspruch bringen würde. Über die Verletzung von Frauenrechten konnte ich mich genauso aufregen wie jemand, der das von außen sah. Damals wurde der Bestseller „Nicht ohne meine Tochter“ heiß diskutiert, in dem es um die gescheiterte Ehe einer Amerikanerin mit einem Perser geht, der sich als Macho und Tyrann entpuppte. Wer weiß, was sich meine Mutter alles von aufgebrachten Freundinnen an Warnungen anhören musste. Von Anfang an spürte ich aber auch, dass gerade aus der Religion heraus der Widerstand gegen Frauenfeindlichkeit aufgebaut werden sollte. Denn von einer den Islam praktizierenden Gläubigen würde es doch die Zivilcourage verlangen, hier nicht einfach zuzusehen, sondern dagegen zu sprechen. Und wenn sich jemand in Bezug auf Frauenfeindlichkeit auch noch auf die Religion berufen wollte, ihm oder ihr die Stirn zu bieten und zu beweisen, dass das ein Unrecht ist.
Das Auseinanderklaffen von der Außensicht auf den Islam und der Innenwahrnehmung, speziell beim Frauenthema, bekam ich also sofort hautnah mit. Heute kann ich die Aufregung meiner Mutter viel besser verstehen. Ich sah mich weiter als moderne und selbstbestimmte Frau, während sie dies bezweifelte. Wir hatten dabei nicht nur einen Konflikt, weil sie angesichts vieler Schreckensmeldungen über frauenbenachteiligende Strukturen in muslimischen Gesellschaften Angst um die Zukunft ihrer Tochter hatte. Es ging auch um das Thema Identität. Sie hatte mich schließlich erzogen und mir viel mitgegeben. Würde ich das nun alles verleugnen und ablehnen? Und ich war auch noch so provokant, völlig gedankenlos in dieser Wunde herumzustochern, als ich etwa bei einem Besuch zu Weihnachten großartig tönte: „Bei uns im Islam …“, um zu erklären, warum ich keine Weihnachtslieder mitsingen wollte.
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