„Sorry“, antwortete ich auf die Frage. „Er ist nicht hier.“
„Ach Gott“, sagte sie ärgerlich. „Ich muss mit Gus sprechen. Es ist so was wie … ein Notfall.“
„So was wie ein Notfall, aber doch nicht ganz?“
„Was?“
„Vergessen Sie’s“, sagte ich. „Hören Sie, er ist weg. Wirklich. Sagen Sie es weiter.“
Pause. Dann sagte sie zögernd: „Ich bin nicht sicher …?“
Ich versuchte es mit einem anderen Ansatz. „Darf ich Ihren Namen haben? Vielleicht ruft er mich an, wenn er angekommen ist. Sind Sie eine Freundin von Angus?“
Sie lachte klingend, ein Party-Mädchen-Lachen. „Tja, jaa! Natürlich! Und ich muss mit ihm reden. Er will mit mir sprechen, glauben Sie mir.“
„Oh, das tue ich“, erwiderte ich ebenso ernsthaft. „Aber er ist weg. Abgehauen. Ich würde gern helfen, aber … hey, warum hinterlassen Sie nicht einfach Ihren Namen und Ihre Nummer, und wenn er sich mit mir in Verbindung setzt, lasse ich ihn wissen, dass Sie angerufen haben.“
Wieder Zögern. Dann sagte sie kühl: „Selbstverständlich. Sagen Sie ihm, Sarah Good hat angerufen. Er kennt meine Nummer.“
666?
Sie legte leise auf. Ich ebenfalls. Im Spiegel auf der anderen Seite des Tresens erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf mein bedröppeltes Gesicht. Sarah Good. Eine der ersten Hexen, die in Salem gehängt wurde. Niedlich.
Obwohl – wenn man es positiv betrachtete … wenigstens wurde den Kids in der Schule noch ein bisschen Geschichte beigebracht.
* * * * *
Um achtzehn Uhr dreißig gab es im Laden nur noch Stehplätze. Mir wurde klar, dass ich mich zum einen mit dem Champagner, zum anderen damit, wie viel Hilfe ich benötigen würde, vollkommen verrechnet hatte. Ich hatte noch nie so viele Teenager mit schwarzem Lippenstift – Jungs UND Mädchen – oder Männer im mittleren Alter mit Panzerketten gesehen, die nicht auf Harleys saßen.
Nicht, dass es nicht großartig war zu sehen, dass so viele Leute lasen. Besonders Leute, die so aussahen, als ob ein Buch für sie wirklich das letzte Mittel der Wahl war, wenn es um Unterhaltung ging. Ich hoffte nur, dass der Abend nicht mit zerstörten Möbeln oder einem Blitzeinschlag enden würde.
Ich lief nach nebenan und bestach die Mädels von der Reiseagentur, damit sie mir halfen, die Massen unter Kontrolle zu halten.
Um viertel nach sieben musste man unseren glorreichen Autor ganz offiziell als verspätet bezeichnen, und die Eingeborenen wurden unruhig. Vor der Damentoilette hatte sich eine lange Schlange gebildet und in der Ecke mit den Landhauskrimis braute sich ein hässlicher Streit über den Ursprung der Swastika zusammen. Ein Lokalreporter versuchte, mich über meine Verwicklung in einen Mordfall im letzten Jahr zu interviewen. Ich widerstand dem Impuls, den letzten Champagner in mich hineinzukippen und mich im Lagerraum zu verstecken.
Um halb acht entstand am Eingang plötzlich Tumult. Mehrere Menschen, die offensichtlich zu einer Entourage gehörten, betraten den Laden. Drei langbeinige Damen, die eher wie lüsterne Dämonen als Angestellte eines respektablen Verlagshauses gekleidet waren, kamen hinein. Ein plumper, bebrillter Mann zog mich an die Seite und stellte sich mir als Bob Friedlander, Gabes Betreuer, vor.
Betreuer? Musste ein schöner Job sein, schätzte ich.
Ich verstand nicht viel von dem, was Friedlander sagte, denn in diesem Augenblick erschien der Prinz des Verkaufs.
Gabriel Savant war über 1,85 m groß und wie ein Model gebaut – und er sah doch tatsächlich aus wie die männliche Hälfte des Titelbilds einer historischen Schundromanze: ungebändigtes rabenschwarzes Haar umrahmte seine gebräunte Stirn, er hatte stechend blaue Augen und ein blendend weißes Lächeln. Waren da kleine glänzende Diamanten in seinen Zähnen? Auf jeden Fall leuchtete da etwas in seinem rechten Ohrläppchen. Er trug Jeans aus Leder und ein schwarzes Cape. Erstaunlicherweise lachte niemand über seinen Aufzug.
„Aber das ist ja charmant hier!“, versicherte Gabriel mir, nachdem Friedlander seinen Star in meine Richtung navigiert hatte. „Natürlich ist das nicht besonders groß, aber es ist hübsch.“
„Atmosphäre“, sagte Friedlander schnell. „Wunderbare Atmosphäre.“
„Wir geben alles“, sagte ich.
„Natürlich tun Sie das“, sagte Gabriel ermutigend. Er warf einen schnellen Blick auf seinen Betreuer. „Bobby, was gibt es hier zu trinken? Ich bin ganz ausgedörrt.“
Friedlander räusperte sich unbehaglich. Eine Mischung aus Gabes Moschus-Aftershave, Mundwasser und Bourbon wehte mir entgegen. Überwiegend Bourbon.
„Ein No-Name-Champagner macht die Runde“, sagte ich.
Es war, als hätte ich einem Vampir ein Glas Milch angeboten. Gabe erblasste. Er schluckte schwer und murmelte: „Oh Gott, bringen wir es schnell hinter uns.“ Er schlenderte zu dem riesigen antiken Tisch, den ich aufgestellt hatte. Enthusiastischer Applaus des wartenden Publikums brandete auf und wurde von den dunklen Deckenbalken zurückgeworfen.
„Diese Tournee war zermürbend“, sagte Friedlander entschuldigend. „Zwanzig Städte in dreißig Tagen … Radio-Interviews um vier Uhr früh, Talkshows im Kabelfernsehen, Mittagessen mit Buchclubs, und nicht selten drei Buchläden pro Tag. Gabe ist erschöpft.“
„Ich wette, das sind Sie beide.“
Er lachte. Hinter seinen Brillengläsern blickten die sanften Augen unerwartet aufgeweckt. „Ein wenig. Ich hörte, dass Sie auch schreiben.“
„Ein wenig.“ Gott sei Dank nicht so viel, dass mich irgendjemand dafür hinaus auf die Straße schicken würde.
„Sie sind zu bescheiden. Ich habe Ein Mord wird aufgeklärt gelesen. Sehr geistreich.“
Entweder hatte dieser Kerl seine Hausaufgaben gemacht wie noch niemand, den ich zuvor kennengelernt hatte, oder er war schwul. Meine Bücher zogen nicht sehr viele Mainstream-Leser an.
„Aber Sie brauchen einen Aufhänger“, sagte er. „Eine Plattform.“
„Sie denken nicht, dass ein schwuler Shakespeare-Schauspieler mit Amateurdetektiv-Ambitionen Aufhänger genug ist?“
„Nein. Auf keinen Fall. Sehen Sie sich Gabe an. Er hat Jahre damit verschwendet, wundervoll komponierte und von der Kritik hoch gelobte Literatur zu schreiben, die niemand lesen wollte, und was passierte dann? Er erfand Sam Haynes, den okkulten Detective. Der Rest ist Geschichte.“
Geschichte, Okkultismus und Romantik – alles zusammen geschrieben in einem schwülstigen Stil, dachte ich, während Savant laut aus seinem neusten Meisterwerk zitierte. Irgendwie erinnerte er mich an eine Art attraktiven Vincent Price, aber das Publikum liebte es. Sie schwiegen wie das sprichwörtliche Grab, während er las. Kein Flüstern, kein Kichern.
Als er fertig war, wurden ihm Fragen gestellt. Viele Fragen. Seine Fans wollten alles von ihm wissen: von „Woher er seine Ideen bekam“ (bei dieser Frage rümpfte er leicht die elegante Nase und bat um die nächste) bis „Ob er mit jemandem liiert war“.
„Ich bin mit jedem in Verbindung“, sagte Savant mit träge schleppendem Tonfall und tippte sich an die Stirn. Entweder um sein Drittes Auge anzuzeigen oder um anzudeuten, dass sein bewegtes Sozialleben ihm Kopfschmerzen verursachte.
Vielleicht hätte ihm der Sekt geholfen, aber seine Fans tranken direkt alles auf.
Friedlander hörte zu und aß Pizzarollen, als gäbe es kein Morgen mehr. Wann immer Savant mich gnädig „Andrew“ nannte, lächelte er nervös in meine Richtung.
Und dann fragte ein Kunde, woran Savant im Moment arbeitete. Offenbar war dies die Frage, auf die er nur gewartet hatte. Er stand auf und warf seinen Umhang nach hinten.
„Wie Ihr alle wisst, habe ich ein Vermögen damit verdient, Geschichten über Okkultismus und seine Anhänger zu erzählen, aber mein jetziges Projekt ist kein rein fiktives Werk. Während meiner Recherche habe ich Beweise für einen realen, geheimen Kult entdeckt, eine unheilvolle Organisation, die sich seit zwei Jahrzehnten die Jungen und Naiven als Opfer aussucht. Ein Kult hier, in genau dieser Stadt. Ich plane, in meinem nächsten Buch diesen Kult und seine Anführer der Welt zu enthüllen.“
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