„Sie sind einfach losgegangen und haben einen Zirkel gegründet?“
„Glaube schon. Angus war diesbezüglich nicht besonders mitteilsam. Graf Draculas Geheimnisse zu enthüllen, zieht empfindliche Strafen nach sich.“
Rot-grüne Weihnachtslichter blinkten im Schaufenster auf. Sie erinnerten mich an glühende Chilis, aber vielleicht wurde ich auch nur unbewusst beeinflusst durch das mexikanische Restaurant auf der anderen Straßenseite. Mir fiel ein, dass ich kein Mittagessen gehabt hatte. Mein Magen knurrte. Vielleicht konnte ich Jake zu einem Abendessen überreden.
Wenn ich vor Hunger jammern würde, würde er sich Zeit nehmen. Meine Essensgewohnheiten entsetzten ihn, den Fitnessfanatiker, der an die heilige, in Stein gemeißelte Dreifaltigkeit von drei ausgewogenen Mahlzeiten am Tag glaubte. In der letzten Zeit hatten wir uns nicht oft gesehen. Ich war also bereit, eine Predigt über den Nutzen von komplexen Kohlenhydraten in Kauf zu nehmen.
„Du vergleichst Angebote, du vergleichst Preise, und findest so das richtige Auto für dich“, resümierte er und beobachtete mich, wie ich bei dem Forester stehen blieb.
„Klar.“
„Du brauchst keinen neuen Spritfresser. Wie wäre es mit einem Coupé? Oder einem Gebrauchtwagen?“
„Gebraucht im Sinne von benutzt?“
Mein Tonfall ließ einen kleinen Muskel in seinem Mundwinkel zucken.
Widerstrebend wanderte ich an den Autos entlang zu einem blauen Zweitürer.
Getönte Scheiben, Schiebedach, Lautsprecher von Bose. Der Preis war auch in Ordnung. Klimatisiert. Was bedeutete das? Klimaanlage?
Plötzlich sagte Jake grimmig: „Glaub es oder nicht – so ein Scheiß kann schnell außer Kontrolle geraten. Das Hollywood Police Department ist vor ungefähr einem Monat in den Hollywood Hills auf eine Jane Doe gestoßen. Ich gebe dir mein Wort darauf – sie war das Opfer eines Ritualmords.“
„Du meinst wie bei Teufelsanbetern?“
Ich hatte es eigentlich halb im Scherz gesagt, aber Jake erwiderte nachdenklich: „Irgendwie wünschte ich, du hättest den Jungen nicht aus der Stadt geschickt. Ich hätte gern mit ihm geredet.“
„Du kannst nicht wirklich glauben, dass Angus darin verwickelt ist“, protestierte ich. „Er ist ein bisschen seltsam, das stimmt, aber er ist ein anständiger Junge.“
„Du hast keine Ahnung, was oder wer er ist, Adrien.“ Jake, seit über zehn Jahren bei der LAPD, schlug gerne diesen Bullenton an, wenn ich ihm zu bürgerlich naiv erschien. „Du hast ihn vor ein paar Monaten eingestellt, das ist alles. Du hast ihn über eine Zeitarbeitsagentur gefunden. Glaubst du, die haben einen gründlichen Sicherheitscheck mit ihm gemacht?“
„Du meinst, das ist notwendig, um in einem Buchladen zu arbeiten?“
Er hörte gar nicht zu. „Es gibt einen kompletten satanischen Untergrund, von dem wir seit den Achtzigern immer mal wieder etwas hören. Vielleicht gibt es keinen Beweis für eine organisierte Bewegung, wie sie gewisse andere religiöse Gruppen auf die Beine stellen, aber wir haben schon viele Verletzte und auch Todesfälle gehabt, die daraus resultieren, dass die Leute dieses Zeug verdammt ernst nehmen. Und viele enden auch in der Klapsmühle. Es ist hässlich und gewalttätig, aber viele Kids fühlen sich davon angezogen.“
„Dann jagt das jetzt Angus hoffentlich eine Scheißangst ein, und er kann das seelisch verarbeiten und abschließen.“ Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ich hinter dem Steuer des Coupés saß, gab auf und ging zurück zum Forester.
* * * * *
Nachdem ich den Darlehensvertrag ausgefüllt hatte, gingen Jake und ich auf die andere Straßenseite, um in der Cantina zu essen. Ich hatte den Bronco in Zahlung gegeben, und weil der Händler noch eine Stereoanlage in das neue Fahrzeug einbauen würde, brauchte ich jemanden, der mich zurück nach Hause fuhr. Jake ließ sich überreden.
Während wir auf unser Essen warteten, sah ich ihm dabei zu, wie er zwei Brotkörbe mit Tortilla Chips leerte. Er kaute unablässig, als würde er dafür bezahlt, den Blick dabei starr auf den Blumentopf an der Wand gerichtet, in dem eine mickrige Bougainvillea aus Plastik steckte.
„Alles okay?“
Immer noch kauend, hielt er mitten im Griff nach seinem Bier inne. „Klar. Warum?“
„Ich weiß nicht. Du wirkst nachdenklich.“
„Nö.“ Er nahm einen Schluck Bier und sah mir in die Augen. „Alles ist cool.“
Unsere Beziehung war keine einfache. Jake war das Gegenteil von offen schwul. Er behauptete, das läge daran, dass er ein Cop war – dass der Job schon hart genug war, um sich auch noch mit den Jungs zu bekriegen, die eigentlich auf seiner Seite sein sollten – aber mittlerweile glaubte ich, dass der wahre Grund komplizierter war. Jake verachtete sich selbst dafür, dass Männer ihn sexuell anzogen. Obwohl er mir ein guter Freund und ein körperlich befriedigender Liebhaber war (wenn er denn bei mir war), gab es eine gewisse Spannung zwischen uns, die – so fürchtete ich – sich nie ganz auflösen würde.
Was verdammt schade war, denn mir lag was an ihm. Sehr viel sogar.
Als wir uns kennengelernt hatten, war er in der S/M Szene aktiv gewesen. Ich glaubte – hoffte –, dass er momentan weniger in den Clubs unterwegs war.
Was ich sicher wusste, war, dass er mit einer Frau zusammen war, einer Kollegin namens Kate Keegan. Er kannte sie schon länger als mich, und ich ging nicht davon aus, dass es nur eine Beziehung zur Tarnung war. Aber mit mir redete er nicht viel darüber.
„Wie ich höre, schreibt Chan ein Buch.“
Vor ein paar Monaten hatte sich Jakes früherer Partner, Detective Paul Chan, den Partners in Crime angeschlossen, der Schreibgruppe, deren Treffen ich wöchentlich in meinem Buchladen ausrichtete.
„Ja-ah, ein Polizei-Handbuch.“
„Taugt es was?“
„Ähm, nun ja …“
Jake lachte und schob mir den Korb mit den Chips zu.
* * * * *
Am nächsten Tag, Freitag, musste ich eine Signierstunde mit dem Bestseller-Autor Gabriel Savant vorbereiten. Savant schrieb die Serie mit Sam Haynes, dem okkulten Detektiv; eine Art Update der alten Jules de Grandin und John Thonstone Groschenhefte. Ich bin kein großer Horror-Fan, aber ich hatte Savants letztes Buch wenigstens kurz überflogen, um einfacher in die Diskussion einsteigen zu können, falls die Frage-und-Antwort-Session nach der Lesung zu schnell im Sand verlief. Nicht, dass ich wirklich damit rechnete. Nach einer zu Beginn eher glanzlosen Karriere in den Achtzigern hatte Savant sich selbst und seine Arbeit neu erfunden und war jetzt ein Medien-Liebling.
Während ich in Erwartung des abendlichen Ansturms im Laden hin und her hastete, wünschte ich mir selbstsüchtig, dass ich Angus’ Rettung bis nach dem Wochenende aufgeschoben hätte.
Ich arrangierte gerade Savants letztes Buch, Der Codex der Rosenkreuzer, auf dem vorderen Verkaufstisch und überlegte währenddessen, ob ich genug Flaschen von dem günstigen Champagner besorgt hatte, als ich einen weiteren Anruf von der dunklen Seite erhielt.
„Geschlagen, verprügelt, zerrissen, entzwei. Ich steche dich und Pein dir sei …“
„Da wir von Pein sprechen“, unterbrach ich, „Sie verschwenden Ihre Zeit. Angus arbeitet nicht mehr hier.“
„Wa-?“ Er – die Stimme war männlich – fing sich gerade noch. Es gab eine Pause, und dann ein Klicken, als die Verbindung unterbrochen wurde.
Ich versuchte, die Nummer zurückzuverfolgen, aber vergeblich. Nicht sehr überraschend, dachte ich. Ich wusste natürlich, dass es damit nicht zu Ende sein würde.
Tatsächlich erhielt ich am späten Nachmittag einen weiteren Anruf. Die Stimme am anderen Ende verlangte „Gus“. Dieses Mal war die Stimme weiblich und süß. In der ganzen Zeit, in der Angus bei mir arbeitete, hatte hier nur eine Frau angerufen, und das war seine Freundin Wanda gewesen. Wanda ist nicht weiblich und süß. Sie hört sich an, als würde sie ungefilterte Marlboros frühstücken.
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