»Es ist das erste Mal, dass die Menschheit einen lebenden Parliden untersuchen kann«, erklärte sie. »Zumindest glaube ich, dass er noch am Leben ist.«
Entgegen den ersten Befürchtungen waren seine Marines nicht auf feindliche Parliden gestoßen. Stattdessen hatten sie einen der Sternköpfe in einem Stasetank auf der Krankenstation der PROTECTOR gefunden. Die Marines und Paramedics begannen mittlerweile damit, die Toten auf die HYPERION zu überführen. Außer dem Brückenoffizier, den Corporal Pride schlussendlich betäubt hatte, und dem Parliden gab es keine Überlebenden.
»Zeigen Sie ihn mir.«
Doktor Petrova betätigte eine Taste, worauf die Oberfläche des Tanks transparent wurde. Die Physiognomie ähnelte der eines Menschen: zwei Arme, zwei Beine, Hals und Kopf. Die Haut war jedoch von einem rötlichen Schwarz und schimmerte metallisch. Überall am Körper gab es Wölbungen und stachelartige Auswüchse. Die Augen glichen zwei ölig schimmernden Murmeln. Es gab Theorien, wonach die Parliden allesamt Rüstungen trugen, doch falls dem tatsächlich so war, konnte niemand sagen, wie sie darunter aussahen. Und das war auch alles, was sie generell über die Parliden wussten.
»Faszinierend, nicht wahr«, bemerkte Doktor Petrova. »Unsere medizinischen Scanner können die Außenhaut nicht durchdringen. Ich kann nicht einmal die Zusammensetzung der obersten Hautschicht feststellen. Anscheinend wurden subkutan Störsender in die Haut implantiert, anders kann ich mir die Störstrahlung nicht erklären, die von dem Körper ausgeht.«
»Sie können mir also nicht sagen, weshalb er oder sie in Stase liegt?«
»Ich fürchte, darüber kann uns nur das Logbuch des Chefarztes Auskunft geben. Bisher wurde es jedoch nicht zu mir transferiert.«
»Und das wird auch noch einige Zeit dauern«, erwiderte Jayden. »Mittels meiner Kommandocodes wurde ich von der K.I. der PROTECTOR als ranghöchster Offizier akzeptiert. Wir haben die Datenbank des Schiffes überspielt, mussten jedoch feststellen, dass Captain Bowman sie verschlüsselt hat.«
»Das wundert mich nicht. Aus irgendeinem Grund scheinen da drüben alle durchgedreht zu sein. Was ich bisher sah, lässt vermuten, dass sie sich gegenseitig umbrachten.«
»Und Sie schließen etwas Virologisches nach wie vor aus?«
»Zumindest konnte ich im Blut der Toten nichts dergleichen nachweisen. Natürlich habe ich die Quarantänebestimmungen beachtet.«
»Da habe ich keinen Zweifel.« Jayden wandte sich ab. »Senden Sie mir bitte eine Kopie aller Untersuchungsergebnisse, die den Parliden betreffen. Wie geht es unserem anderen Überlebenden.«
Sie führte Jayden zu einem zweiten Stasetank. »Lieutenant Michael Larik, Marsianer. Er war der Kommunikationsoffizier der PROTECTOR.«
»Warum ist er noch immer bewusstlos?«
»Was auch dort drüben geschehen ist, führte bei ihm zu einem schweren neurologischen Schock. Ich musste ihn in ein künstliches Koma versetzen.«
Jayden betrachtete das Gesicht des jungen Mannes. Die länglichen Züge, die großen Augen, bedeckt von pigmentierten Augenlidern. »Wie lange wird es dauern, bis wir ihn wecken können?«
»Schwer zu sagen. Ich werde Sie über seinen Zustand auf dem Laufenden halten. Prognosen sind zu diesem Zeitpunkt kaum möglich.«
»Danke, Doktor.« Jayden nickte kurz.
Während Doktor Petrova sich wieder ihren Patienten widmete, ging Jayden in Richtung Brücke.
Der Friedensvertrag mit den Parliden besagte eindeutig, dass diese das Territorium der Solaren Union nicht betreten durften. Der Schluss lag nahe, dass Captain Bowman dem Parliden irgendwie hatte helfen wollen. Alles andere wäre einer Kriegserklärung gleichgekommen.
Eine weitere Klausel in dem Vertrag besagte, dass es der Menschheit verboten war, Parliden zu untersuchen. Allein der Aufenthalt dieses Wesens auf der Krankenstation konnte katastrophale Folgen nach sich ziehen.
*
»Darf ich Sie kurz stören, Commander?«
Lieutenant Commander Giulia Lorencia blickte auf. »Ach du liebe Zeit! Holen die euch mittlerweile schon direkt aus den Holo-Kursen?«
»Wie bitte?« Lieutenant McCall trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
Giulia lächelte. Sie mochte es, die Frischlinge ein wenig aus der Reserve zu locken. Auch wenn es sich bei diesem Frischling um ein Mitglied der Brückencrew handelte. »Nichts, Lieutenant, schon gut. Sie sind hier wegen der Dechiffrierung?«
»Das ist korrekt. Captain Cross schickt mich.«
Als hätte sie ‘nen Stock verschluckt. Mal sehen, ob wir das Eis brechen können. »Was die aktuellen Protokolle zur Verschlüsselung von Datenbanken angeht, ist mein Wissen ein wenig eingerostet. Vielleicht kommen Sie ja weiter.«
Mit diesen Worten führte sie McCall durch ein Meer aus herumrennenden Technikern zu einer der Maschinenraum-Konsolen.
Die Kommunikationsspezialistin schaute einem der Techniker hinterher. »Sie wirken alle ein wenig aufgeregt.«
»Wir haben ein paar Probleme mit dem Helix-Konverter. Das bringen Prototypen so mit sich. Sie sind nun mal meist unzuverlässig.« Sie bedeutete McCall, Platz zu nehmen. »Hier können Sie arbeiten. Je früher wir erfahren, was dort drüben geschehen ist, desto eher können weitere Schritte geplant werden.«
»Die Admiralität wird zufrieden sein, dass wir die PROTECTOR so schnell gefunden haben.«
Giulia entschlüpfte ein Lachen, bevor sie es herunterschlucken konnte. »Aber sicher.«
»Was meinen Sie?«
Giulia seufzte. Nun war es ausgerechnet sie, die einem unschuldigen Frischling die Illusionen rauben musste. Ähnlich war es ihr selbst damals ergangen. »Die HYPERION ist ein Projekt, das parteiübergreifend nicht nur Zustimmung fand. Was die Besatzung angeht, sind wir ein Spiegelbild politischer Seilschaften und Gefälligkeiten.«
»Ich verstehe nicht.«
»Es ist relativ simpel: Ein Teil der Admiralität steht hinter uns, während ein anderer Teil darauf hofft, dass wir Mist bauen.«
»Warum?«
»Ist das nicht offensichtlich? Um daraus politisches Kapital zu schlagen. Wir wurden quasi fast im Alleingang von Admiral Sjöberg und Admiral Jansen ausgewählt. Sie gehören allesamt ins Lager der Gemäßigten. Durch die Unterstützung von Admiral Pendergast konnten sie sich gegen die Hardliner unter Michalew durchsetzen. Die hoffen jetzt natürlich darauf, dass wir scheitern, um diverse Posten neu zu besetzen.«
»Aber das ist doch lächerlich!« Auf Lieutenant McCalls Wangen bildeten sich rote Flecken. »Natürlich werden wir auch Fehler machen. Wir sind allesamt Menschen.«
»Eben.« Giulia warf die Arme in die Luft. »Der Posten auf der HYPERION ist ein Schleudersitz. Das sollte Ihnen klar sein. Wenn die Hardliner ihren Coup d'État bekommen, sind die Senioroffiziere sofort weg vom Fenster. Vielleicht wird man Sie auf ihrem Posten belassen und Lieutenant Task – naja, den auch. Aber das war es auch schon.«
»Sie klingen ganz schön verbittert.«
»Ich bin nur realistisch. Mein Job macht mir Spaß. Der Maschinenraum ist der Platz, an dem ich arbeiten will. Solange die mir kein Arschloch vor die Nase setzen, das es ständig besser weiß, ist alles bestens. Man sollte immer über das informiert sein, was die Politiker so treiben.«
McCall gab einige Parameter über die Touch-Oberfläche in das Panel ein und aktivierte so einen Dechiffrierungsalgorithmus. »Es wird nicht ganz einfach. Aus irgendeinem Grund hat Captain Bowman nicht das aktuelle Passwort gewählt, um die Datenbank zu schützen. Wir können nur darauf hoffen, dass sie nicht zu kreativ war.«
»Wie wollen Sie vorgehen?«
»Als wir auf der Akademie waren, entwickelte ich gemeinsam mit einigen Kommilitonen ein Programm, das eine schnelle probabilistische Suche nach dem Urbild eines gegebenen Hashwertes ermöglicht. Hierfür speicherten wir über einen Zeitraum von mehreren Jahren Lookup-Tabellen, um im Fall der Fälle Zugriff auf Datenbanken mit unbekanntem Passwort zu erhalten.«
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